La Gomera #8
An der Stadtmauer von Alojera stirbt eine kleine Katze vor sich hin. Die Schale mit Wasser rührt sie nicht mehr an, wir gehen weiter dorthin, wo das Meer mit voller Wucht gegen den Strand und die Kaimauer knallt, von der nicht mehr so viel, aber genug übrig ist, man sieht, wie das Meer an den Kanten nagt, das Ufer hat aufgegeben. Eine richtige Abfahrt mit Haltepunkt gibt es nicht mehr, wir parken dort, wo auf großen Schildern in allen erdenklichen Sprachen vor Steinschlag gewarnt wird. Hier lebt kaum noch jemand. Außer vielleicht der Frau Mitte Vierzig und ihrer Mutter, die in der einzigen Kneipe zwischen den eng stehenden Häusern steht und so tut, als kämen sie gleich. Also die, die man gerade nicht sehen kann und die vermutlich nicht mehr kommen werden, als wären sie nur kurz ausgeflogen. Im Fernseher in der hinteren Ecke läuft ein Western, in der Kühltruhe liegen Eissorten bereit. Hinter der Bar hängt ein Blatt Papier in einer Plastikfolie an Reißzwecken: „Bück dich vor niemandem“ steht in Spanisch darauf. Die dürren Katzen unter den Tischen draußen sehen erst auf den zweiten Blick so aus, als lägen sie auch bald neben der Mauer. Bis dahin zerfleischen sie abwechselnd einen zuckenden Salamander mit Blick auf das Boot, das auf den Treppen zum Strand hin angebunden wurde. Die Häuser sind nicht verfallen, manche scheinen frisch gestrichen, frisch verriegelt, die Gardinen haben noch keinen Gilb angesetzt, aber die ersten Spinnweben klettern langsam an den Balken hinauf. Auf dem Tresen des zerfallenen Motels steht noch das Welcome-Schild, sodass der Blick direkt drauf fällt, wenn man durchs Fenster sieht. Da steht noch ein Sofa, das man nur mit dem Blick einfach kurz zurechtrücken müsste, im Raum ein bisschen fegen, die blaue und grüne Farbe an den Fensterläden erneuern. Der Tischtennisplatte auf dem Dach die andere Hälfte zurückgeben. All die guten, bunten Häuser stehen leer, es gibt kein Geräusch außer dem Meer, außer dem Wind, und man merkt erst eine Sekunde zu spät, wie seltsam das klingt. Man sieht die Einsamkeit in den Löchern unter den Treppen vor der Eingangstür, die Einsamkeit, die sich einstellt, wenn jemand gegangen und weggeblieben ist ohne Bescheid zu sagen.
Zurück daheim dem Knistern der Palmenblätter zuhören und dem Rauschen, das vom Berg herkommt, weil dort der Wind durch die Bäume fährt. Wäre ich ein Kind, das Leben hier würde sich allein an den handtellergroßen Maracujablüten bemessen, die aussehen wie Ufos, an dem Winseln der Katze, die immer viel mehr essen will als sie essen kann, an den wütenden Kohlmeisen, die in den knisternen Wedeln sitzen und sich in einem Singsang aufregen, den sie sich eventuell von den Menschen abgeschaut haben. Es ginge nur darum, passgenaue und biegsame Stöcker zu finden, die sich zu einem Kreis binden lassen. Es ginge darum, den Moment der Fähre nicht zu verpassen, Ama oder Fred Olsen, und dann auf das Geländer zu steigen und „Amerika!“ zu rufen, obwohl es nur Teneriffa ist, was sich an der Horizontlinie türmt. Es ginge nur darum, solange zu bleiben, bis die Fährspuren sich wieder mit dem Meer verwoben haben, darum auszuhalten, dass es eine Weile dauert, nur darum, den Blick auf die Spuren im Blau zu legen, vor dem Verschwinden nicht loszulassen.