La Gomera #6

Am Sonntag verstecken sich die Menschen in Agulo, falls es überhaupt mehr Menschen gibt als jene, die uns vereinzelt über den Weg laufen; eher huschen als laufen. Der ältere Herr, der die etwas jüngere Dame fragt, wo sie herkomme. „Von den Blumen!“, ruft sie und winkt ihm lachend zu, er humpelt ihr mit seinem Stock entgegen, das Geräusch des Stockes rollt die schmalen Gassen entlang, in denen man im Schatten läuft, weil es in der Sonne zu warm ist und weil man im Schatten besser schauen kann, besser erkennt. Später die zwei Männer mit den sich unter quietschbunten T-Shirts wölbenden Bäuchen, sie tragen Plastiktüten über den schmalen Weg zwischen Bananenplantage und Ortsgrenze, unterhalten sich laut und rufen am Ende des Weges laut den Autos entgegen, die sich vor der roten Wand die Serpentinen hinunter schlängeln, den Autos, die der Berg aus dem Tunnel spuckt. Es sind nicht viele diesen Sonntag. Wir essen neben einem französischen Wanderpaar, die sich das Wasser aus den gewöhnlichen Flaschen in grüne, bauchige Dreiviertelliterflaschen umfüllen am Tisch. Er studiert die Karte und lächelt sie unentwegt an. Sie diskutiert mit dem Kellner und steht später hinter ihrem Partner, als sie gemeinsam auf die Karte schauen, ihr Blick fällt dabei auf seinen Hinterkopf und irgendetwas gefällt ihr daran nicht, sagt ihr Blick, sie hebt die Hand, als wolle sie hineingreifen in seinen Igelschnitt, aber kurz davor zieht sie doch die Hand zurück, lässt sie sinken, hebt nur die Augenbrauen. Er merkt davon nichts, er schaut nur nach vorn und studiert die Strecke, die heute noch zu gehen ist. Der Mann mit dem großen Tattoo hängt auf dem Dach die Wäsche auf und sein Sohn hilft ihm dabei. Ein anderer kommt telefonierend aus dem Haus, mehr Menschen sehen wir nicht.

Oben auf dem Berg mit der roten Erde stehen plötzlich sehr viele Menschen und fotografieren von oben auf den Ort, sie stehen vor der Glasabsperrung, als markiere nur diese eine Sensation. Der Himmel zieht sich zu. Auf dem kleinen Skywalk steht ein älteres Paar, die Kinder führen sie bis nach vorne ans Ende, wo man sich fühlen würde, als stünde man im Nichts, wären da nicht die Schlieren auf dem Boden, vielleicht eher im Nebel stehen. Der ältere Herr mit Hut wankt dort, voller Ehrfurcht und schaut und winkt ab, als sein Sohn ein Foto von ihm machen will, vielleicht braucht er das nicht mehr. Dafür verschränkt er die Hände hinter dem Rücken und senkt den Kopf. In der Ecke telefoniert der Kellner und poliert Gläser. Die Festtagsgesellschaft wird mit dem Bus ankommen, in der Zeit kann man nicht nach unten fahren, weil die Straße nicht breit genug ist. Der rote Staub fällt noch Tage später aus den Schuhen.

K. kann uns nicht sagen, was das Schwimmbecken neben vier riesigen Säulen früher mal gewesen ist. Man klettert erst über die Absperrung, läuft dann den staubigen Weg nach unten, das Meer wirft sich an die Klippen daneben, überall kleben Schilder, man solle aufpassen auf den Steinschlag, die großen Brocken liegen überall. Und man will gar nicht nachlesen, was das früher einmal war, was sich dann vor einem auftut, eine zerfallene Terrasse mit kleinen bunten Häuschen, in denen niemand mehr sitzt und aufs Meer schaut oder Eis verkauft, man könnte aus ihnen heraus sehr gut Eis verkaufen, das Orange und das Rosa und das Blau hängen hin großen Fetzen herab, aber strahlen noch immer, wie sich das mal jemand ausgedacht hat. Damals, als die Dächer dem Steinschlag noch nicht nachgegeben hatten. Dahinter dann die Treppe nach unten und der Blick auf die sanften Übergänge zwischen Meer und Schwimmbecken. Das eiskalte, stille Wasser geht einem nur bis zum Hals. Beim Schwimmen habe ich trotzdem das Gefühl unter mir geht die Tiefe endlos weiter, als würde ich in einem aufgegossenen Hochhaus schwimmen, neben mir die Fische. Zwei, drei Seeigel wohnen in den Ecken, der Rest ist mit weichem Algenteppich bedeckt, und man kann ohne Probleme stundenlang sitzen und dabei zusehen, wie sich das Wasser über die Felsen, über den Beton rollt, wie es sich selbst auffüllt, als brauche es nichts und niemanden sonst. Auch so ein Ort, wo man ganz genau sieht, was man eigentlich nicht sehen kann und nie sehen wird, und wo man okay ist damit. Die eigene Unzulänglichkeit zu den anderen werfen und einfach warten, was passiert.

An Sonntagabenden gehen K., C. und die Kinder hoch an die letzte Kurve der Straße, die nirgendwohin führt. Sie schreien dann ins Tal, alle zusammen, die Kinder am lautesten. Irgendwohin gehen und die Welt in regelmäßigen Abständen anbrüllen, sodass es niemand abbekommt und dann nichts mehr mit hinunter nach Hause nehmen. Ich habe selten ein schöneres Ritual gesehen. In der Nacht randaliert die Maus im Abwasch und findet nicht hinaus.