Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Noctiluca scintillans

Stockholm

Meistens lese ich Zeitung nur im Flugzeug. Die richtige Zeitung, die, von der man schwarze Finger bekommt und die so laut ist, dass man denkt, gleich dreht sich einer um, gleich ramme ich der Stewardess meine Hand in den Hintern, also aus Versehen und dann verschüttet sie das Bier und dann riecht sie den ganzen Abend danach, also auch auf den nächsten Flügen. Vor mir steht ein Pappbecher, eine zusammengeknüllte Serviette und ein Stück gelbes Plastik liegen darin, dazu ein halb gebrauchtes Päckchen Zucker. Es ist Freitagabend, ungefähr um neun, mein Handy ist aus, ich trage meistens keine Armbanduhr, das wird sich jetzt vielleicht ändern, ich habe eine zum Geburtstag geschenkt bekommen, eine blaue, ich habe eine Bluse in genau diesem Blau, sonst nichts, aber das Blau ist das Blau, was kein Himmel je erreicht und kein Meer, das sieht man nur, wenn man einen Stein aus einem Felsen klopft, die haben bestimmt dieses Blau in sich, oder wenn man einen der Stifte erwischt hat, die auslaufen, dann sieht man das Blau, also überall, ungefähr um neun wird schon stimmen, wir sind irgendwo zwischen Frankfurt und Berlin in der Luft. Die eine Stewardess zieht den Wagen, den sie eben noch nach vorne schob, um allen ihre Getränke einzugießen, nun rückwärts, gleich davor ihr Kollege mit hochrotem Kopf, sie klagt: “Es ist so warm.“ Er sagt nichts und sieht aus, als würde er versuchen, nicht zu schwitzen, die Zeitung ist zu groß, ich erwarte jeden Moment einen Schlag auf den Hinterkopf, sie könnten mich einwickeln in das Zeitungspapier danach, das macht mein Großvater mit den Geschenken zu Weihnachten auch, das ist praktisch und effizient. Ich hätte besser aufpassen sollen heute morgen, da hatte sie noch gesagt, wie viele Tage wir noch haben bis Weihnachten, jeden Tag einer weniger, das ergibt sich von selbst, das geht so schnell, eben war noch März, und dann sitze ich an Silvester wahrscheinlich in meinem Zeitungshaufen und weiß nicht, wohin damit, ich werde die Zeitung nicht aufheben sondern brav wegschmeißen am Wochenende, wir brauchen einen Behälter für das Altpapier, aufschreiben, Lisa, aufschreiben oder wenigstens merken. Vor dem Fenster ist es schwarz. Eben, als wir über Frankfurt kreisten, dachte ich, dieser Blick von oben aus einem Flugzeug auf Städte, wenn es schon dunkel ist, der gehört zu den schönsten Dingen, die man so sehen kann. Das ist dann keine Stadt mehr da unten sondern leuchtender Plankton.

Was kommen wird.

Bist du noch wach?

Korngrößen

Beach

Es gibt im Großen und Ganzen nur zwei Farben: Sand und Blau. Wenn man den Kopf senkt, sieht man meistens Sand in einigen Variationen, befindet man sich auf einer der Grenzlinien, wird genau diese Grenzen zwischen Sand und Blau meist durch verwaschenes Weiß beschrieben, ob Wolken oder Schaum oder Staub oder Fliesen. Man gewöhnt sich sehr schnell daran, vor allem im Liegen, man gewöhnt sich schnell an das Liegen und an das Gucken, an das Schweigen und daran, dass man nichts muss, am Anfang steht man morgens sehr schnell aus dem Bett aus und schaut sich um und denkt „Was geht jetzt los? Was muss getan werden?“, aber schon direkt nach dem Frühstück möchte der Körper sich wieder hinlegen, man muss gar nicht denken, nur Folge leisten, man wippt ein zwei Tage nervös mit dem Bein, aber das geht sehr schnell vorüber. Das mit den Farben ist das eine, das mit dem Durst ist das andere.

Ich habe verlernt ihn zu spüren, den Durst, der langsam im Hals nach oben gekrochen kommt, den rauen, mitunter sogar schmerzhaften Durst, der kommt, wenn man in der Sonne einschläft oder auch im Schatten eines Schirmes oder Daches, der so plötzlich in deiner Brust sitzt, dass du ihn nicht ignorieren kannst. Ich dachte, ich hätte verlernt durstig zu sein, weil immer etwas in der Nähe ist oder zumindest soviel zu tun, dass ich ihn nicht spüre und durch zwei drei Beeren oder Kaugummi vertreiben kann, aber hier bin ich wieder durstig und zwar ständig, ich trinke gierig, mitunter läuft das Wasser an meinem Mund vorbei über mein Kinn irgendwohin, ich war lange nicht so durstig, vielleicht war ich es, aber ich habe davon nichts bemerkt. Und die Pigmentstörung am Fuß, die ist mir auch neu.

You arch the frame, I’ll span the beams.

And we’re not just islands lying beside each others shorelines. We’re all bound with veins and hopes, we are not each others ghosts.“ (Listener)

Isochor.

Back

Es gibt diese Tage, an denen sich einem der Nacken pellt, die Fingernägel zu weit weg sind vom Nagelbett, man kennt das, die Luft zischt dann hinein wie Zahnseide zu tief. Diese Tage, an denen du zwischen all den Menschen auf der Brücke stehst und als einziger stehst, weil jeder andere läuft und rennt und schwirrt, diese Tage, an denen von jeder Seite Musik kommt und sich in dir zu einem Brei vermischt, der dir aus den Ohren und den Augen und den Poren kommt, diese Tage, an denen dir jeder ansieht, dass etwas verrutscht ist, diese Tage, an denen nach dem nullten Hauptsatz der Thermodynamik solange Energie vom wärmeren zum kälteren Körper übertragen wird, bis beide im thermischen Gleichgewicht stehen und alle sind wärmer dann als du, an den Tagen strömt auf den eigenen Kopf herab, so sehr und so viel, dass ein Einteilen in Strähnen nicht mehr möglich ist. Das Beste ist dann, einfach zu warten, sich ruhig zu verhalten, nicht versuchen, das Klopfen zu zählen, nicht damit anfangen die Faust zu ballen. Das hat nichts mit diesem Sprichwort zu tun, in der die Wange vorkommt und wem man sie hinhalten soll, es hat zu tun mit dem Körper an sich, und dass man versuchen muss, sich zu konzentrieren auf jeden Millimeter Epidermis, der standhält. Denn Temperatur ist eine intensive Größe, die auch durch Teilung gleich bleibt, sich zusammenhalten, sich auf die Risse konzentrieren und anspannen, das ist keine Energie, das ist keine Menge, nur ein stoffliche Eigenschaft. Sich bügeln, aber nicht krempeln, warten, bis es Abend wird, um zu wissen, das ist nur gefühlt, nichts physikalisches. Die Hand an der Stirn ist nur eine Zustandsbeschreibung, keine Charakterisierung, morgen früh hast du Tau auf dem Puls.

Lerchenkopf

Pugs

Die Verhedderung an sich ist unumgänglich. Ich kenne niemanden, der es schafft, sein Leben so zu führen, dass alles unwiederbringlich Sinn macht, dass es keinen Zweifel gibt und keine Verbrennung. Einige kenne ich jedoch, die zögern so sehr, dass sie natürlich auf der einen Seite alles in Ordnung bringen können, die bügeln und legen und ordnen und schmeißen weg und recherchieren, bevor sie etwas Neues in ihr Leben lassen, die wissen auch immer genau, wo was liegt und was in welcher Schublade vorhanden ist, manchmal vermute ich, diese Menschen kennen auch die genaue Anzahl der Haare auf ihrem Kopf an jedem Morgen und legen jene, die sie über Nacht verloren haben, in Reih und Glied auf den Nachttisch, um sie später abzuheften. Keine Sorge, ich habe nichts gegen gesunde Skepsis, ich gebe gerne auch etwas von meiner ab hier und da, ich habe reichlich davon, aber solche, die nur tasten und jedes Mal zucken, wenn es knallt, machen mir Angst, weil ich insgeheim glaube, dass sie schon viel älter sind, als sie zugeben, bei dem Weg, den sie in dieser geringen Geschwindigkeit zurückgelegt haben müssen.

Die Verhedderung machte ich mir früher zum Spiel, wenn ich mit meinem Großvater in den Garten fuhr, in einem dieser Abteile sitzend, deren Polster mit rotem Kunstleder bezogen waren. Nur durch Armlehnen waren die einzelnen Plätze von einander getrennt. Klappte man die Lehnen aber nach oben, konnte ich mich ohne Probleme längs legen und den Bäumen und Masten und Wolken beim Vorüberzischen zusehen. Mein Großvater trug manchmal Schnur in seinem Rucksack mit, er hatte eh immer Allerlei dabei, denn niemand wusste, ob wir nicht unterwegs eventuell verloren gehen würden, da bräuchte man auf jeden Fall Schnur und drei Sorten Unterlegscheibchen, ein Taschenmesser, einen Schraubenzieher, Briefmarken und auch etwas zu Essen. Manchmal schnappte ich mir das Knäuel Schnur und machte wahllos Knoten hinein, ich verwirrte den Faden bis zum letzten Zentimeter, nur um mich dann daran zu machen, alles wieder in Ordnung zu bringen. Mein Opa schüttelte den Kopf, ich jedoch konnte mir teilweise keine schönere Beschäftigung vorstellen, als alles wieder fein säuberlich aufzuwickeln, auch wenn ich in den anderen Teilen meines Lebens nicht zu solcher Ordnung neigte. Fragen Sie meinen Großvater, wenn Sie ihn mal treffen, er wird Ihnen von den Fotos meines Kinderzimmers erzählen, auf denen kein Weg zum Bett zu erkennen war. In Handschrift hatte ich jedoch immer eine Eins.

Die Verhedderung erzieht mich. Sie zwingt mich, auszuatmen, langsam zu machen, mich zu erinnern, was ich eigentlich wollte und ob das hier immer noch der richtige Weg ist. Manchmal ist sie dabei nicht besonders sanft, die Verhedderung, was hin und wieder auch mit meinem Übermut oder zu großen Schritten zu tun haben kann, es hilft jedoch, sich dann Eis auf die Knie zu legen und irgendwo einfach anzufangen. Es ist nicht so, dass ich mir jede Woche ein neues System überlegen muss, aber vielleicht alle zwei Jahre. Als würde sich der Pullover nach und nach aufribbeln und irgendwann merkt man, dass es zieht an den Seiten. Meistens kommt es ganz langsam, der Druck nimmt nach und nach zu und fällt dann irgendwann in einem Faden aus meiner Hosentasche, weil der Platz nicht mehr ausreicht. Ich merke das, wenn mir im Bus Menschen auf die Hände sehen, weil meine Finger plötzlich von mir unbemerkt die leisen Bewegungen nachahmen, die früher im Zug immer geholfen haben. Etwas wird sich ändern, oder hat sich vielleicht schon, der Blick, die Sprache, der Grund.

Altvögel

Das Bureau Mirko Borsche hat ein Magazin für Intel umgesetzt und gestaltet. Ich bin darin mit einer Geschichte namens „Altvögel“ sowie drei Fotos vertreten. Vielen Dank an das Team, ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis. Online anschauen könnt ihr euch das Magazin hier. Mit supercooler Vergrößerung zum Lesen der Texte auch hier.

Altvögel

In High Heels um die Welt

Lisa

Seit letztem Freitag steht das Buch der Travelettes „In High Heels um die Welt“ in den Läden. Ich bin auch mit einer Geschichte im und einem Foto auf dem Buch vertreten und freue mich sehr, in so guter Gesellschaft zu sein. Im Buch findet ihr 33 Geschichten von Frauen rund ums Reisen und das Leben unterwegs. Passend zum Release gab es natürlich auch eine kleine Party mit Lesung, die Katja in einem Video festgehalten hat. Und ja, ich bekomme sofort Fernweh.

(Das Foto von mir ist übrigens auch von Katja.)

Cold hands / hold hands

Tulips

Die Angst ist weg und das Unbehagen, und was gekommen ist, fühlt sich trotzdem seltsam an, weil mit dem offenen Raum auch die Möglichkeit auf Richtungen kommt, mit dem sicheren Boden kommt die Frage, was man damit an- und am Ende auch draufstellt, mit den schalldichten Fenstern kommt das Besondere der kühlen Nächte zurück. Die Angst ist weg und das Unbehagen, und was gekommen ist, schwirrt wie Nebel über den Büchern, wie Staub auf den Platten, es knistert wie hauchdünnes Eis auf dem Fluss, weil du weißt, jetzt ist die Zeit, von der du nicht wusstest, ob du sie jemals erreichen würdest, jetzt ist das Alter, in dem immer früher nur die anderen waren, das sind die Menschen, die auf die Sätze aus den Reportagen passen, jetzt hast du all das und jetzt mach was damit, zum Teufel, fahr es nicht gegen die Wand. Die Angst ist weg und das Unbehagen, und was gekommen ist, könnte man vielleicht Respekt nennen und ein neues Bedenken, Angst ist etwas anderes als Sorge, in Sorge steckt kein selbst, in Angst hängst du immer mit drin, aber die Angst ist weg, weil du in der Mitte sitzt und keine Wand im Rücken hast, aber einen Boden, der hält. Es wird nichts passieren, weil schon soviel passiert ist, das Schlimmste war schon, die See ist so ruhig, man kann bis auf den Grund gucken. Die Angst ist weg und das Unbehagen, du schüttelst ab, was sich über Jahre in dich hinein gefressen hat, es ist so viel Platz, und die Kunst ist dabei immer, nicht sofort loszugehen. Unterscheiden lernen und dabei keine Angst vor der Antwort zu haben, keine Angst, die ist fort. Dir kann nichts mehr passieren, weil dir schon soviel passiert ist.

And every every day she would echo / echo / in every single way she should let go / let go.