Die zweite Woche Jahr
Manche Dinge kann man nur in der Dämmerung aufschreiben, weil dann die Welt die Klappe hält, weil man selbst noch nicht so eingestellt ist wie sonst und vielleicht auch so früh am Morgen eher sagt, was man wirklich meint, also dort, wo man es nicht unter Kontrolle hat. Dann noch ein Schläfchen, mit der Decke über allem, was beschützt werden muss.
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Das erste Buch 2016 zu Ende gelesen. Auerhaus. Bov Bjerg erzählt darin, wie es ist, mit jemandem zu wohnen (nicht nur in einem Haus, sondern auch in einem Leben), der manchmal leben will und manchmal nicht und davon, wie man es nie ganz kapiert, wenn man selbst nicht weiß, wie es ist, gar nicht mehr leben zu wollen, und wie man sich dreht und wendet und manchmal hofft, im anderen wäre es vorbei gegangen, das mit dem nicht mehr wollen, und wie es dann doch nicht vorbei ist.
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Von der Kunst, Einflüsse als solche zuzulassen. Das etwas in dich hinein fließt, aber auch wieder raus kann, etwas, das nicht sofort dein eigenes Bauchgefühl aushebelt, aber auch die Möglichkeit hat, Spuren zu hinterlassen. Kommt vermutlich aber auch auf die Beschaffenheit des Bauchgefühls an. Dennoch: Semipermeabilität war schon immer eine große Aufgabe.
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Beobachtet: dieses Ringen um Meinungshoheit von Eltern(sorten). Jochen König darin als spannenden Neuentwurf gehört. Warum haben eigentlich nicht mehr Freunde Kinder miteinander?
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Feststellen, besser geworden zu sein im Wissen um den eigenen Radius. Also wie viel Luft es braucht und wie viel Platz und was darin stehen kann und was im Gefüge eher stört. Noch zaghaft, aber (und wäre wankelmütig hier ein passendes Wort, ich würde es verwenden, weil es eigentlich so schön klingt ((wenn man mutig ist und zwar wankt, aber ach)) es ja dann aber doch meistens sowas wie ‚mankelwütig‘ meint im Sinne von irgendetwas mit Unbedachtheit und Wut und Unsinn) im Zentrum der Zaghaftigkeit dann aber spürbar bestimmter als früher, man muss sich ja manchmal erst einmal herantasten an neue Körper- und Lebensformen (die eigenen vor allem). Jedenfalls laufe ich die ganze Zeit mit dem Zollstock in mir selbst herum und denke „Oh“ und „Ah“ und „Achso“ und „Na hätten wir das mal früher gewusst“. Aber das haben wir ja nicht, deswegen vermessen wir erneut. Mit neuen Daten können wir arbeiten.
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Es schauten nur die Flugblätter der Windräder aus den Wolken heraus. Als seien sie wahnsinnig hoch und es gäbe sonst nichts außer mit ihnen zu schneidende Schlagsahne.
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Und dann sangen wir doch noch einmal „Starman“ mit Gänsehaut auf dem Kopf am Ende der Probe, als draußen schon der Barbetrieb losging. Wie so ein Plakat, das man aufhängt, wenn man eigentlich eine Postkarte schreiben will, aber nicht abschicken kann, weil alle Briefkästen der Stadt abgehängt wurden und die Türen unten zu sind.
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„Als Kind war ich klüger als jetzt“, sagte Opa und saß in seiner Sofaecke mit dem Kissen hinter dem Rücken, dessen Stoff er damals unter seinem Hintern nach Deutschland geschmuggelt hat aus Zell am See. „Ich wusste immer, ich lebe in einer wahnsinnigen Zeit und ich wollte alles wissen. Und wenn du einmal alles wissen willst, hörst du ja nicht mehr auf.“
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Das Dessert lag auf einem goldenen Pappteller in Zürich und ich könnte schwören, um meinen Kopf tanzte Lametta mit Armen und Beinen, als ich hinein biss.
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J. verabschiedet. Alles wird anders die ganze Zeit. Wir könnten uns jetzt auch mal dran gewöhnen.
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