Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Thema: Blicke

Lumen

Lumen

Ich stelle mich mit dieser Glühbirne an, als ginge es um was. Als bräuchte ich einen wirklich guten Moment, um die Leiter hervor zu hieven, drauf zu steigen, die Lampe abzuschrauben, die alte Birne rauszudrehen, runter zu steigen, die Leiter wieder zu verstauen, weil das Badezimmer mit aufgeklappter Leiter unbenutzbar wird, wenn man es erst einmal geschafft hat, die Leiter in diesem wohlgeformten Badezimmer überhaupt so aufzustellen, dass man sich selbst und die Einrichtung nicht kaputtmacht bei Besteigung. Jedenfalls stelle ich mich an und ich weiß wirklich nicht, wieso. Ich bin in der Lage, halbwegs komplexe Dinge zu tun den Tag über, ich sortiere und ordne, ich formuliere und erinnere, ich gebe durch und leite weiter, ich tausche aus und bastle um, ich denke und ich spreche und ich mache es so, dass irgendetwas dabei herauskommt, manchmal rette ich Menschen vor dem Ertrinken (ist das schon ein Talent?), aber ich bekomme es nicht hin, diese Glühbirne auszuwechseln.

Morgens habe ich sehr viel damit zu tun, mir eine Mahlzeit zuzubereiten, dem Wetter angemessene Kleidung auszuwählen und so an mir zu befestigen, dass sie nicht abfällt den Tag über. Ich denke jedes Mal, wenn ich morgens das provisorische Licht im Bad einschalte: „Jetzt könnte ich’s eigentlich machen“, das mit der Leiter. Aber meistens kommt eine Müdigkeit dazwischen, ein Einfall, häufig ein Gefühl, eine kleine Lethargie, die sich betonähnlich in mir ausbreitet, wenn ich den Kopf in den Nacken lege und an das Quietschen der Metallleiterstufen denke. Mittags bin ich nicht im Hause und wenn am Wochenende doch, passieren häufig so viele Dinge innen und außen, dass es mir unmöglich ist, diese Leiter für das zu benutzen, für das sie gedacht ist, oder gar einen Baumarkt zu besuchen, um das richtige Leuchtwerk auszuwählen, Essen kann ich einkaufen, gar kein Problem, manchmal sogar allerlei Unsinn oder beinahe praktische Dinge, nur die Glühbirne vergesse ich seit mittlerweile zwei Wochen. Und abends ist es sowieso immer zu spät für alles. Vermutlich werde ich die Birne erst auswechseln, wenn ich mir ob der mangelnden Helligkeit einen ernsten, körperlichen Schaden zugefügt habe, wenn es wirklich gar nicht mehr geht, wenn es draußen noch dunkler und so wenig heimelig geworden ist, dass selbst im Bad die alte Ordnung hergestellt werden muss, um überlebensfähig zu bleiben, erst dann. Vielleicht. Es geht da um was. Ich spür’s.

Nephologie

Clouds

Als Mensch, der gern auf Wolken schaut, hat man dieser Tage eine gute Zeit. Wenn man den Kopf in den Nacken legt, sieht es ständig aus, als würde jemand euphorisch Theater spielen, als habe jemand um sich geworfen mit Kissen und Farbe, manchmal, als würde sich jemand versöhnen (mit etwas, mit jemand anderem, mit sich). Und wenn man nicht, sobald die Häuserfront an einer Kreuzung unterbrochen wird und man direkt in das Orangerotblaulila starrt, das sich zwischen die Fassadenkanten legt, vom Rad steigt, weil man so nicht fahren kann, wenn man sich beeilt, um noch vor Ende dort zu sein, wo keine Häuser sind, dort zu sein, wo man den Himmel nicht nur in Streifen sieht, sondern ausgelassen, wenn man es bis dorthin schafft, bevor das Drama sich wieder verzogen hat, kann man sich hinsetzen und den Kopf auf die Hände stützen und sich fragen, warum man eigentlich nicht raucht, weil das so ein Moment wäre, in dem man eine rauchen und sehr tief einatmen und fühlen könnte, wie das Gefühl, das auf den Zug folgt, sich im Körper verteilt und einen Ort sucht, man kann dann sitzen und trotzdem sehr tief einatmen und wieder ausatmen, vielleicht sogar hörbar, und sich vornehmen, das häufiger zu tun, wieder mehr so zu atmen, dass man es selbst hört, und dann kann man sich sicherer werden in der Vermutung, dass Mittelbarkeit einen hier und da rettet, dass nur etwas passiert, wenn man nicht so nah an allem steht, dass einen nichts mehr streifen kann.

Chappuis Absorption

Pluto

Die Welt hat heute Pluto zum ersten Mal von Nahem gesehen. Und mir regnet es auf den Kopf, während ich auf dem Mittelstreifen der Urbanstraße stehe, kaum ein Auto vor oder hinter mir, aber oben zwischen den Baumschatten siebzig Grade von Blau, ich versuche das Lied zu vergessen, das mir seit Tagen im Kopf klebt und mich weich macht an Stellen, an denen ich das nicht gebrauchen kann. Jetzt, das ist neben der halben Stunde am Morgen das beste Licht, wenn man sich draußen aufhält (ist man drinnen, kann gleißender Sonnenschein ganz wundervoll aussehen, also wenn man ein Dach hat und eine Ecke, an der es vorbei fällt). Das Licht ist es, wenn die Menschen über den Himmel reden und das Blau wie noch nie, denke ich und warte noch länger und erinnere mich wieder an den Einfallswinkel des Lichts, denn der macht die Farbe, also doch keine Poesie, nur Ozon und wie das Licht damit umgeht. Ich schließe die Augen, ich warte, vielleicht bin ich ein Zwergplanet. Ich habe ein hydrostatisches Gleichgewicht, aber keiner kommt dran.

„In der blauen Stunde entfällt das direkte Sonnenlicht; übrig bleibt das Himmelsblau.“

Schwebeteilchen

Morgen

Es ist selten, dass man in der kurzen Zeit aufwacht, in der hier keine Autos fahren, es gibt diese halbe Stunde vielleicht, die zwischen den Tagen liegt, kalendarisch schon einzuordnen im nächsten ist diese halbe Stunde doch aber erst dieser Rinnstein, der die beiden Tage trennt, obwohl der neue, wenn man es genau nimmt, schon ein paar Stunden alt ist. Es kommt selten vor, dass man den eigenen Tag in dieser vielleicht halben Stunde beginnt, dass man genau dann aufsteht, wenn das Alte verfliegt und die Stadt steht, aber die Tiere nicht, wenn die Fenster ruhen, die Luft sich aber vor ihren Augen umzieht, und ich vermute, dass eigentlich das, was als Morgenstunden bezeichnet wird, eigentlich nur dreißig Minuten sind. Diese kurze Zeit hat der Nebel, um sichtbar zu werden, in diesen dreißig Minuten ist nichts vorhanden außer ein Schnarchen hier und da, manchmal taumeln noch ein paar Ausgespuckte, aber selbst die scheinen sich in dieser halben Stunde hinzusetzen und zu warten, es gibt keine Flugzeuge, keine Fahrräder, nur den Fuchs, der nach den Kaninchen in den Büschen neben der Bibliothek schaut. Es ist selten, dass man spürt, wie klar der Morgen eigentlich ist, er hat einen Anfang und ein Ende, alles, was darüber hinausgeht, hat schon nichts mehr mit ihm zu tun, es hat sich noch niemand die Mühe gemacht, dafür einen angemessenen Namen zu finden, aber der Morgen wohnt in dieser halben Stunde, da bin ich mir sicher, den Rest der Zeit spaziert er im Garten umher und bekommt nasse Socken.

Essen allein unter Frauen.

Ich sitze zum ersten Mal in einem Women Only Café, weil das Menü auf dem Straßenaufsteller so nett klang, und ich hätte nicht übel Lust jetzt zum Mittag schon ein Glas Wein zu trinken, allein unter Frauen, mein Leben ist ja sonst eher ein Gemischtwarenladen, aber gut, einfach machen. Mir wird ein bisschen schwindelig beim Blick auf die Wand vor mir, ein psychedelisches Geäst rankt sich über die gesamte Tapete, ich muss wieder auf die weißen Tischdecken schauen, sonst werde ich nichts essen können, die Bedienung begrüßt mich sehr nett und trägt eine Schürze. Aus irgendeinem Grund sind mir Menschen mit Schürzen immer erst einmal sympathisch, vielleicht bilde ich mir das aber auch ein, ich selbst habe noch nie eine Schürze besessen, weil ich glaube, ich würde sie immer vergessen zu benutzen.

Ich bekomme eine kleine Karte und setze mich auf die mit Leder überzogene Bank, die über die gesamte Raumlänge reicht, neben mir trinken zwei ältere Damen Cocktails mit bunten Strohhalmen aus bauchigen Gläsern, es ist halb zwei. Vor mir sitzt eine grauhaarig schöne Dame, isst einen Auflauf und liest Zeitung dabei, die Fahrstuhlmusik dudelt so vor sich hin und nervt dabei ein wenig, aber in auszuhaltendem Maße und auch nur für kurze Zeit, man dudelt sich ja selbst so hinein, wenn man erst einmal drinsteckt und nicht weg kann. Draußen laufen geschäftig Touristen und Menschen herum, die sicherlich etwas mit Mode oder Kunst oder Darstellungsthemen zu tun haben, hier drinnen sitzen ganz andere Menschen und ich lehne mich zurück. Vor mir auf dem Tisch steht ein kleiner Kaktus unter einer großen Glasvase, daneben ein Teelicht zwischen Kaffeebohnen.

Ich bestelle Zucchini-Nudeln und mein Hirn denkt sofort, das seien Nudeln aus Zucchini, aber selbst das ist hier unprätentiös gelöst, denn am Ende bekomme ich Nudeln mit Zucchini oben drauf auf einem Teller, der auf einem Unterteller steht. Ich kleckere das grüne Pesto sofort auf die Tischdecke, nichts absichtlich, aber alle in diesem Raum scheinen mit kurzen Vollkornspaghetti besser zurechtzukommen als ich. Das Schöne ist: Es interessiert hier niemanden. Die Bedienungen schauen diskret auf ihre Limonadenflaschen, die anderen Damen haben einfach mit sich selbst zu tun. Das Mutter-Tochter-Gespann trinkt Latte-Macchiato, das Freundinnen-Cocktail-Duo erzählt sich aus der letzten Woche, ich schweige, schaue und horche.

„Ernst ist jetzt zum zweiten Mal eine junge Frau ins Auto gefahren und der Trottel hat wieder nicht die Polizei gerufen, jedes Mal sag ich’s ihm wieder und er kriegt es dann nicht hin, ich weiß nicht, wie die das machen, das die ihn dann so überreden, aber die zweite, die natürlich auch Schuld war, die verklagt ihn jetzt und deswegen jammert er jeden Abend und ich sage, biste selbst schuld, jetzt haste den Salat, muss er halt lernen, nich? Findet er ja auch nich gut, dass wir hier sind, aber weißte, ich koch doch jetzt nicht jeden Tag für ihn, dann müsste ich ja völlig umplanen, der ist jetzt im Ruhestand, da hat er doch genug Zeit für sich zu kochen, ich hab auch meine Dinge zu tun, ich bitte dich.“

Ich möchte beinahe gar nicht mehr weg, der Tisch wackelt und ich sollte mir vielleicht Notizen machen, stelle aber zum Wohle des Moments fest, dass ich keinen Stift, dafür aber drei Röllchen Klebeband mit mir herumtrage, also keine Notizen sondern Nudeln auf die Gabel schaufeln, die Hälfte auf dem Weg zum Mund verlieren und noch einmal von vorn. Das Essen schmeckt, wie ich in letzter Zeit manchmal versuche zu kochen. Wenig Gewürz, denn wenn man es mal aushält, dass es nicht sofort knallt im Mund, folgt nach der kurzen Verwunderung das Hinschmecken und ich will wissen, was Lebensmittel so für sich allein können, ohne ständig noch daran herum zu optimieren und allerlei Zeug drauf oder dazu zu schütten. Pure Sahne, puren Joghurt, pure Nudeln, sanftes Pesto, manchmal etwas Pfeffer, kaum Salz. Nur um es zu wissen und mich dann noch einmal zu entscheiden.

An den Wänden hängen eingerahmte Urkunden, ich schaue nicht so genau hin, in einem Hinterraum stehen Sofas mit Decken und Kissen, wieder kommt eine ältere Dame herein, bestellt sofort eine große Apfelschorle und lässt sich in einen dieser Rundledersessel fallen, in die man gar nicht so richtig fallen kann, weil sie so steif sind, das spürt sie auch und guckt ganz verwundert und sitzt dann etwas gerade auf ihrem Sessel herum, während sie in der Karte blättert. Alle sprechen relativ leise, aber ungehemmt, sie sehen einander kaum an, die Bedienungen sind zurückhaltend, wirklich sehr freundlich, etwas unsicher vielleicht, aber sehr akkurat in der Körperhaltung, keine Bewegung zu viel, die Hände immer gefaltet und wenn man sie anlächelt, schauen sie verschmitzt zur Seite, aber lächeln auch, als wären sie das nicht gewöhnt.

Die Rechnung bekommt man auf einer kleinen Untertasse mit Serviette und Kaffeebonbon. Für eine ordentliche Portion Nudeln und eine große Apfelschorle bezahle ich 5,60 Euro, mir dudelt der Kopf, die Damen neben mir bestellen noch einmal Cocktails, ich kann durch eine Durchreiche in die Küche schauen, eine ältere Frau steht dort in weißer Arbeitskleidung und lacht, redet angeregt, aber lacht wieder, ich kann sie nicht hören, aber sehen, sowieso sehe ich sie hier alle gerne an, weil der Rest draußen so anders funktioniert, weil sich dort alle so abmühen und glatt gebügelt durch die Mittagspause staksen, hier drin stakst niemand, die drei, die einzeln das Café betreten, während ich esse, seufzen alle erst einmal nach dem Hinsetzen und schnaufen aus.

Arteria poplitea.

Fraenkelufer

Ich werde mich erinnern an dieses Jahr als das Jahr, in dem ich lernte, wie meine wirklich guten Freunde unter ihrer Haut aussehen, in all ihren Winkeln und Ecken, mit all ihrem Blut und Sehnen und Knochen, mit all dem, für das es keinen angemessenen Namen gibt und das man vor allem einfach halten muss, obwohl man nicht genau weiß, wo es liegt, aber wenn man es hat, dann spürt man, dort muss die Hand jetzt einfach einmal bleiben, dort darf man sich nicht rühren, dort muss man verharren, damit dem anderen nichts passiert, dort wird man stehen, solange es nötig ist, und nötig ist länger als notwendig, nötig ist vor allem über den nächsten Atemzug hinaus, wirklich nötig dauert über das Defizit hinaus, über ein Auffüllen hinweg, nötig ist immer bis zu einem sicheren Vorrat, vorher geh ich nicht, keinen Schritt, und wirklich, ich habe eine Karte gemalt, um nichts zu vergessen und ich werde mich erinnern an dieses Jahr als das Jahr, in dem ich sagte „Wir bekommen das hin“ und wusste, es stimmt.

Milchstraßensystem.

Jet

Entbündelung als Aufgabe erkennen. Nicht einmal als Entwirrung verstehen (denn es muss ja nicht alles ungeordnet und verwirrt sein, was kompakt ineinander liegt). Sondern eher als Prozess des Platz Schaffens betrachten, als Entzerrung und Setzkasten. Ein Akt für mehr Linigkeit (denn ob gerade oder gekreuzt spielt dabei erst einmal keine Rolle, es geht vor allem um den Abstand zwischen den Dingen, um Luft und Bewegungsfreiheit). Wieder (mehr, neue, andere, bestehende) Zusammenhänge identifizieren und damit die Episodenhaftigkeit abschütteln, das Würfeln abschütteln. Und sowieso weniger Sollbruch. Stattdessen: Wollbruch und Prävention.

Alles aufreihen, allem erst einmal Raum lassen und dann schauen, ob es funktioniert, allem einen einzelnen Platz zu geben (denn Platz büßt ja im Gegensatz zu Raum schon irgendwo an Dimensionalität ein und wenn man sich dafür entscheidet, dann soll es doch bitteschön passen, gut aussehen, sich so anfühlen, als wäre es keine Einbuße sondern zumindest ein Gleichbleiben, es muss ja auch nicht sofort alles messbarer Zugewinn sein, die Unveränderlichkeit von Dingen ist so rar geworden, dass man auch sie manchmal ins Museum stellen möchte, aufpieken und in einen Glaskasten legen). Jedenfalls: Allem Raum geben, dem, was war, was ist, was kommen kann. Und dann erst entscheiden, was überdauernd (und noch immer) oder überraschend neu zusammengehört. Denn Zeit vergeht, und mit ihr Perspektiven. Nichts ist ohne Arbeit gültig für immer.

„Die wichtigsten Geschichten behielt man besser für sich.“

Zweig
Stamm
Halm
Halb
Up

„Denn jede Geschichte, die man erzählte, gehörte einem nicht mehr ganz. Man musste darauf achten, was man teilte.“ (S.256, Das grössere Wunder, Thomas Glavinic)

Alle haben immer schon so viel erlebt, bevor sie einen treffen.

Feathers

Man vergisst das so schnell.

Kunstteich, Wetterode.

Kunstteich

Manchmal fegt ein Wind darüber wie über Frischhaltefolie, dann zwirbelt sich die Oberfläche zusammen, schiebt sich übereinander und die Elemente geraten durcheinander, das Knarzen der Kieselsteine unter unseren Schuhen hallt nicht, sondern verschwindet seltsam plötzlich zwischen den Bäumen. Es ist frisch geworden, wir schieben die Pressspahntür auf, eine mit einer goldenen Türklinke, eine von denen, wo kurz hofft, sie wären wirklich so schwer, wie sie aussehen sollen, aber dann ist es überzogenes Plastik, Kunststoff. Ein kleiner Flur führt in den dunklen Speiseraum, es ist 16:30 Uhr, Kaffeezeit vorbei, die Torten in der beleuchteten Auslage sind nur halb angeschnitten, gefüllter Bienenstich, Butter-Streusel, Schwarzwälderkirsch. Daneben die Eistheke, die Sorten stehen nicht dran, das Eis wartet in tiefen, weißen Kübeln, „‚Softeis gibt’s nur hinten am Kiosk“, wir schauen einander kurz fragend an, „aber ich geh’s Ihnen holen, einen Moment. Vanille, Aprikose hab ich da, was möchten Sie?“. Ich antworte: „Einmal gemischt, mittelgroß“ und schon verschwindet sie durch die schmale Tür hinten links. Neben uns sitzen die beiden, älteren Herren mit Bäuchen in gesteiften Hemden, die Teller von sich geschoben, es riecht nach Fleischsauce und Kaffee, die Packung Zigaretten liegt neben leeren Blumenvase. Man schaut uns an, ohne uns anzuschauen.

Wir blinzeln kurz, als wir mit dem Eis wieder nach draußen treten, es ist hell, aber unten an der Badestelle sitzt nur noch eine Gruppe Jugendlicher, die bald gehen werden, sie trinken gerade die letzten Flaschen aus. Kurz durch den Wald, dann auf den aufgeschütteten Damm zu den neuen Bänken, alle noch strahlend weiß, dann der Kiesweg, dann der steile Hang zum Teichufer, dem Ufer des Teiches, der eigentlich ein See sein könnte, aber irgendwie zwischen See und Teich hängt, man fühlt sich beim Sagen von beidem etwas komisch. „Schau mal, ein Kranich“ sagst du und ich schaue zur Seite, wo sich gerade ein älterer Herr aus der Hose pellt, blaue Badehose, Handtuch über den Schultern, einen Fuß langsam vor den anderen den Abhang hinunter. Auf der anderen Seite stürzt ein Hund einem Stock hinterher, sein Herrchen wirft, als gelte es das Leben, und der Stock fliegt nur zwei Meter weit. Wenn die Wolken die Sonne verdecken, wird es kühl, wir legen uns das orangene Handtuch über die Beine, du isst das letzte Brot.

Von der Straße hören wir lautes Kichern, eine Gruppe Senioren, alle in hellen Tönen, beige und weiß, alle mit Bügelfalten, sie reden laut und lachen, laufen langsam, manche haben Mühe, das Gleichgewicht zu halten, wir müssen lächeln. Vor uns stellen sie sich auf, schauen auf das Wasser, Wind kommt auf, aber von den Baumspitzen in der Ferne bewegt sich keine einzige. Die älteren Herrschaften halten einander manchmal am Unterarm, andere stemmen die Arme in die Hüfte, sowieso sind sie viel mit ihren Fingern zugange, auch wenn die Arme eher lose neben dem Körper baumeln, die Hände vergewissern sich die ganze Zeit. Plötzlich dreht sich die kleine Dame mit der Stoffhose und der braunen Brille zu uns und ruft: „Wir haben auch ein Freibad!“ Du grinst sie an, „das ist aber schön!“ und zuppelst das Handtuch zurecht. Die anderen ihrer Gruppe machen sich schon wieder auf den Rückweg, man wolle gar nicht einmal um den See, nur mal kurz schauen, sie hätten es eilig. „Ich werde 79!“ ruft die Dame und schaut uns wieder an, ihre Begleiter laufen schon voraus, „Ich hab’s mit der Hüfte!“. „Sieht man kaum“ rufst du zurück und lächelst immer noch. „Am 9. Oktober werde ich 79!“ und ich muss lächeln. „Das ist mein Geburtstag“ sage ich leise, während die Dame versucht, ihre Reisegruppe einzuholen. Der tropfende Kranichmann keucht den Abhang hinauf. „Man tut, was man kann“ ruft die Dame im Gehen, sie schaut nach vorne und winkt irgendwohin. Der Hund will nicht mehr schwimmen. Ich könnte für immer hier sitzen.