Kunstteich, Wetterode.

Kunstteich

Manchmal fegt ein Wind darüber wie über Frischhaltefolie, dann zwirbelt sich die Oberfläche zusammen, schiebt sich übereinander und die Elemente geraten durcheinander, das Knarzen der Kieselsteine unter unseren Schuhen hallt nicht, sondern verschwindet seltsam plötzlich zwischen den Bäumen. Es ist frisch geworden, wir schieben die Pressspahntür auf, eine mit einer goldenen Türklinke, eine von denen, wo kurz hofft, sie wären wirklich so schwer, wie sie aussehen sollen, aber dann ist es überzogenes Plastik, Kunststoff. Ein kleiner Flur führt in den dunklen Speiseraum, es ist 16:30 Uhr, Kaffeezeit vorbei, die Torten in der beleuchteten Auslage sind nur halb angeschnitten, gefüllter Bienenstich, Butter-Streusel, Schwarzwälderkirsch. Daneben die Eistheke, die Sorten stehen nicht dran, das Eis wartet in tiefen, weißen Kübeln, „‚Softeis gibt’s nur hinten am Kiosk“, wir schauen einander kurz fragend an, „aber ich geh’s Ihnen holen, einen Moment. Vanille, Aprikose hab ich da, was möchten Sie?“. Ich antworte: „Einmal gemischt, mittelgroß“ und schon verschwindet sie durch die schmale Tür hinten links. Neben uns sitzen die beiden, älteren Herren mit Bäuchen in gesteiften Hemden, die Teller von sich geschoben, es riecht nach Fleischsauce und Kaffee, die Packung Zigaretten liegt neben leeren Blumenvase. Man schaut uns an, ohne uns anzuschauen.

Wir blinzeln kurz, als wir mit dem Eis wieder nach draußen treten, es ist hell, aber unten an der Badestelle sitzt nur noch eine Gruppe Jugendlicher, die bald gehen werden, sie trinken gerade die letzten Flaschen aus. Kurz durch den Wald, dann auf den aufgeschütteten Damm zu den neuen Bänken, alle noch strahlend weiß, dann der Kiesweg, dann der steile Hang zum Teichufer, dem Ufer des Teiches, der eigentlich ein See sein könnte, aber irgendwie zwischen See und Teich hängt, man fühlt sich beim Sagen von beidem etwas komisch. „Schau mal, ein Kranich“ sagst du und ich schaue zur Seite, wo sich gerade ein älterer Herr aus der Hose pellt, blaue Badehose, Handtuch über den Schultern, einen Fuß langsam vor den anderen den Abhang hinunter. Auf der anderen Seite stürzt ein Hund einem Stock hinterher, sein Herrchen wirft, als gelte es das Leben, und der Stock fliegt nur zwei Meter weit. Wenn die Wolken die Sonne verdecken, wird es kühl, wir legen uns das orangene Handtuch über die Beine, du isst das letzte Brot.

Von der Straße hören wir lautes Kichern, eine Gruppe Senioren, alle in hellen Tönen, beige und weiß, alle mit Bügelfalten, sie reden laut und lachen, laufen langsam, manche haben Mühe, das Gleichgewicht zu halten, wir müssen lächeln. Vor uns stellen sie sich auf, schauen auf das Wasser, Wind kommt auf, aber von den Baumspitzen in der Ferne bewegt sich keine einzige. Die älteren Herrschaften halten einander manchmal am Unterarm, andere stemmen die Arme in die Hüfte, sowieso sind sie viel mit ihren Fingern zugange, auch wenn die Arme eher lose neben dem Körper baumeln, die Hände vergewissern sich die ganze Zeit. Plötzlich dreht sich die kleine Dame mit der Stoffhose und der braunen Brille zu uns und ruft: „Wir haben auch ein Freibad!“ Du grinst sie an, „das ist aber schön!“ und zuppelst das Handtuch zurecht. Die anderen ihrer Gruppe machen sich schon wieder auf den Rückweg, man wolle gar nicht einmal um den See, nur mal kurz schauen, sie hätten es eilig. „Ich werde 79!“ ruft die Dame und schaut uns wieder an, ihre Begleiter laufen schon voraus, „Ich hab’s mit der Hüfte!“. „Sieht man kaum“ rufst du zurück und lächelst immer noch. „Am 9. Oktober werde ich 79!“ und ich muss lächeln. „Das ist mein Geburtstag“ sage ich leise, während die Dame versucht, ihre Reisegruppe einzuholen. Der tropfende Kranichmann keucht den Abhang hinauf. „Man tut, was man kann“ ruft die Dame im Gehen, sie schaut nach vorne und winkt irgendwohin. Der Hund will nicht mehr schwimmen. Ich könnte für immer hier sitzen.