Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Thema: Blicke

Mitternachtskäsebrot

Das Flüstern am Fenster über die Leerstellen im Leben, auf die man Acht gibt, die man beinahe einzäunt, zumindest absperrt. Die Absperrung später durch einen Glaskasten ersetzt, manche Leute schaffen es, die Leerstellen einfach so im Raum zu lassen ohne sie zu markieren und die Besucher treten trotzdem nicht drauf. Da mal hinwollen, das irgendwann können. Umwege nicht mehr als solche zu begreifen.

Beim Karneval läuft nach dem Gewitter das Wasser an der riesigen Hüpfburg hinab, im Rinnstein schwimmt eine Honigmelone davon. Zwei Morgen danach fahren die Autos plötzlich nicht mehr, die Kreuzung ist gesperrt, überall stehen Last- und Kranwagen, es riecht nach Teer. Und während die einen die oberste Schicht von der Straße abtragen, um eine neue draufzulegen, beschneiden die anderen die Bäume. Alles auf einmal, die Kreuzung sieht aus, als würde man sie operieren.

Gegenüber wohnen die zwei, die immer am Fenster rauchen. Vielleicht haben sie keinen Kühlschrank, oder einen zu kleinen. Aber viele Lebensmittel hoben sie bis vor kurzem in einem selbstgebauten Kasten auf dem Fensterbrett auf. Fünfter Stock. Manchmal lassen sie einander den Schlüssel zur Haustür in einem roten Beutel an einem Seil herab. Manchmal lehnen sie sich beim Rauchen zu sehr auf das Holz, es könnte sein, dass irgendwann jemand von Joghurt, Margarine und Milch erschlagen wird. Aber nicht jetzt, nicht im Sommer.

Als ich morgens am Kanal nach Hause laufe nach den Liedern und den Reimen auf dem Balkon ist das Licht schon da, ohne da zu sein, und niemand sonst; für einen Augenblick das Gefühl, allein zu sein in der Stadt, so als habe jemand für ein paar Minuten einen anderen Filter eingestellt. Die Schwäne schwimmen brav in Zweierreihen, und weiter hinten sitzen dann doch noch zwei Menschen am Ufer vor dem Krankenhaus, die Köpfe aneinander gelehnt, immer wieder wild knutschend, sie bemerken nicht, dass zwölf Schwäne sie umringen, sie ansehen, nur einer schläft, die anderen betrachten das Paar, platzieren sich um sie herum, kreisen sie ein.

Auf dem Feld schließen wir eine Wette ab ohne Gewinn, ob der große Streifen Wolken an uns vorüberzieht, ob das Gewitter wirklich kommt, ob es Blitz und Donner geben wird. Am Ende kommt nur der Wind und schiebt alles weiter, auch den großen Mann ganz in Schwarz, mit dem gefärbten Undercut, der immer nur ein bisschen hin und her rollt auf seinen Skates, als traue er sich noch nicht, als würde er darauf warten, es gleich zu können, aber immerhin ein Versuch am Rand der Bahn, während hinter ihm die beiden Mädchen beinahe Pirouetten drehen. Der Regen kommt später dann doch noch, aber aus dem Hinterhalt und ganz ohne Pathos, als wären wir nur eine Erledigung auf seinem Weg.

Eigentlich müsste man genau jetzt beschließen, den Sommer woanders zu verbringen. Damit die Gerüche, die man schon kennt aus dem letzten Jahr, abgelöst werden nicht nur von ihresgleichen, sondern von allem, weil sich die Eindrücke ja dann so ineinander schieben, dass man abends im Bett, wenn das Herz klopft, weil man nicht weiß, woran man zuerst denken soll, in dieses Rauschen fällt. „Alle Knöpfe gleichzeitig drücken ist Neustart“, hat J. immer gesagt. Das alte Lied hören, das wir damals zusammen aufgenommen haben, sofort wieder gewusst von dieser Wohnung am anderen Ende der Stadt, noch nicht einmal 20 war ich damals, der Weg dorthin beinahe schon eine Reise, in jedem Fall aufregend, einer dieser Orte, an denen du weißt, das hier wird was, das hier werden Tage, an die du dich immer erinnern können wirst, an das helle Holz vom Regal, die Salatschleuder, den Unterschied zwischen der Lautstärke in der Wohnung und der großen Straße draußen, daran, wie wir nicht genau wussten, wohin das eigentlich gehen soll, und uns trotzdem immer wieder trafen. Das wird weniger im Alter. Dass man die Sachen laufen lässt, einfach nur, um zu sehen, was passiert, dass man das Zaudern aushält ohne Exit-Strategie. „Komm, wir treffen uns“ war damals immer ein Versprechen, den Nachmittag miteinander zu sein, ohne Plan, vielleicht essen, vielleicht sitzen, vielleicht lesen oder irgendwohin gehen, maximale Momentorientierung, manchmal haben wir auch einfach nur rumgelegen auf dem großen Bett, die Sonne war schief und J. machte Töne auf der Gitarre oder spielte mir Lieder vor von anderen, die ich noch nicht kannte, ich kannte eigentlich fast gar nichts, aber in dem Moment dachte ich, jetzt fängt das Leben an, so wird es später immer sein, so ruhig und dass man sich keine Sorgen macht, jedenfalls nicht solche, über die man kein Lied schreiben könnte, ich musste mich auch erst einmal daran gewöhnen, dass man bei J. da sein durfte. „Ich bin heute nicht so gut drauf“ ließ er als Absage nicht gelten, auch Krankheit nicht, dann kam er eben in die andere Hälfte der Stadt, J. war der erste Mensch in meinem Alter damals, bei dem es okay war, immer alles zu sein, was man ist.

Nuancen als Maßband

Die Mohnblüten sind größer als meine Hand. Sie stehen in einem der Vorgärten, die die bunten Blumen nach vorne raus pflanzen, damit es für jene gut aussieht, die den Weg entlang gehen. Den Weg benutzen die wenigsten, jedenfalls zu Fuß. Man fährt den Weg bis zu seinem Grundstück, dann steigt man aus und geht über zurechtgelegte Bodenplatten zu einer streng gefegten Terrasse, auf der man erst eine Weile sitzen und später die Ränder sauber zupfen wird. Unkraut mögen sie nicht. Auch wenn sie gar nicht genau wissen, was das ist, das Unkraut. Bei Opa wächst alles ineinander. Später sitzt er stöhnend zwischen den Kürbispflanzen, um zu kontrollieren, ob ich die Pflanzen in der richtigen Höhe in die Erde gesetzt, die Klammern auch sicher an die Pflanzen geklemmt und die Erde richtig festgedrückt habe. Ich schneide ihm die Haare und er sagt, er bekäme dabei so ein komisches Gefühl im Arm, als würde er einschlafen; und dann lasse ich mir mehr Zeit, als ich bräuchte. Sein Arm schläft nicht ein, er wird einfach nicht mehr so häufig berührt. Auf der Rückfahrt schauen zwei Katzen und ein Marder direkt ins Licht. Es gibt diese Stelle an der Straße, an der so viele leuchtende Fahrbahnbegrenzungen angebracht sind, dass es aussieht wie ein Bonuslevel bei Grand Theft Auto. Oder eine Landebahn. Wir müssen öfter wiederkommen, ich will sehen, wie hoch der Fingerhut es schafft.

Ich halte das Glas Gin Tonic über das Geländer und es ist einer dieser Momente, in denen man sieht, was passieren könnte, eine Sekunde in zweien. Und sich dann fühlt, als habe man alles im Griff, weil man das Glas eben nicht fallen lässt, sondern fest umschließt, nicht wegsieht, obwohl es so blendet, nichts sagt, obwohl man könnte, sich einfach nicht bewegt, obwohl es von allen Seiten zieht, die Häuser nicht zählt und den Weg nach Hause ein bisschen langsamer fährt.

Die Vögel im Hof sind zurück. Man sieht sie nicht, aber wenn man morgens aufwacht und das Fenster sowie die Tür zum Bad offen lässt, kann ich sie hören. Manchmal wache ich von ihnen auf. Die Geräusche werden sich verschieben, wenn die Ampel kommt. Sie steht schon, aber es hat sie noch niemand angeschaltet.

Wir fahren unter das Dach der Tankstelle, hinter uns fährt ein dunkelgrüner Oldtimer, aus dem Jugendliche steigen, die aussehen wie aus einem Werbespot mit diesen Barbiefrisuren, die immer sitzen, egal wie sehr sich die Menschen darunter bewegen, es bewegt sich kein einziges Haar. Nichts schwingt mit. Bis der Wind kommt und den Schwarm an Pollen aufwirbelt, die plötzlich überall sind, als würden sie sich sekündlich verdoppeln, irgendwann ist alles weiß und der eine Junge, es ist der, der fahren darf, neben seinem Wagen steht und aussieht, als sei er grau geworden, weil sich die Sporen an seinem klebrigen Haar festsetzen. Man ahnt plötzlich, wie er aussehen wird in zehn oder zwanzig Jahren. Am See fällt die Sonne in Fetzen an den Blättern vorbei auf den Boden, als müsse sie jemand einsammeln und zusammensetzen, und direkt über uns in dem blauen Stück kreuzen sich die Spuren von zwei Flugzeugen.

„Ich darf ja nichts sagen, ich gehe schließlich jetzt nach Hause und halte mich beim Schlafen an einer Glühbirne fest.“ Wenn sie alt ist, werde ich ihr noch einmal davon erzählen, obwohl sie es nicht vergessen haben wird, mir zuliebe wird sie dennoch so lächeln, als wisse sie es nicht mehr ganz so genau. Sie weiß immer.

Man kann nur neben manchen Menschen wirklich gut sitzen. Und dann ist plötzlich Juni.

Complimentary room

Es soll ja Leute geben, die wohnen ihr ganzes Leben in dieser Hotelzimmerigkeit. Die wohnen das Leben so ab. Ziehen ihre Taschentücher aus den dafür gefertigen Designboxen, die irgendwann jemand auffüllt, den sie nicht kennen, dem sie manchmal begegnen, aber dem gegenüber das Gefühl so unangenehm ist, dass nicht einmal Smalltalk denkbar scheint, weil sie wissen, der Mensch, der die Designboxen auffüllt, der füllt auch den Kühlschrank, der füllt auch das Fach mit den Staubsaugerbeuteln (natürlich nur, damit genau er die später auch benutzen kann, und weil es ein extra Fach gibt, und wenn es ein Fach gibt, dann muss man da auch was reintun), der füllt auch die Zahnpasta nach, wenn die Tube halb leer ist, sodass niemals ein Notstand ausbricht an etwas, niemals ein Mangel. Und dieser Mensch, mit dem die Leute nicht einmal siebzehn Worte wechseln können, weil sie Angst haben, dass der Damm bricht und sie dann immer reden müssen, der wäscht auch die Sachen im Wäschesack oder bringt sie zumindest irgendwohin, wo wieder jemand anders sie reinigt, und der Mensch legt auch die Papiere zusammen, wenn durch ein offenes Fenster ein Wind kam, oder durch die Leute eine Emotion, in der man ja auch mal Papiere umher fegt, gerade wenn um einen herum alles nach Air Freshener riecht. Und der Mensch, der den Wäschesack auffüllt, der wird so tun, als habe er die Papiere nicht gelesen, als wisse er gar nichts davon, also von den Dingen, von denen er nichts wissen soll, selbst wenn er von ihnen weiß. Selbst wenn er sie sogar besser weiß als die Leute, denen die Papiere gehören und der Platz, über den die Papiere hinwegfegen, es ist ja häufig sehr viel Luft, wenn es nur einen Schreibtisch und ein Bett gibt und einen kleinen Kühlschrank, da liegen viele Zentimeter herum, auf denen die Leute selten herumspazieren. Nur in wenigen Fällen, so könnten es Wissenschaftler herausfinden, setzen sich diese Hotelzimmerleute in eine Ecke, die sie noch nicht kennen, sie legen sich nicht auf den Teppich, der täglich gesaugt wird, nur um mal zu wissen, wie das Zimmer eigentlich von unten aussieht, nur um mal die Zimmerdecke von weiter weg gesehen zu haben und die Bettfüße oder um dem Teppich hallo zu sagen, selbst Smalltalk mit dem Teppich wird vermieden. Diese Leute steigen morgens aus dem Bett und lassen alles so liegen, weil sie wissen, das wird wieder weg sein, wenn sie zurückkommen, von Zauberhand oder Murmeltierfäusten zurecht gerückt, von Heinzelmännchen oder Staubsaugerrobotern, irgendjemand wird sich gekümmert haben. Auch so ein Gefühl. Irgendjemand wird sich gekümmert haben, irgendjemand wird abheben, wenn sie nicht wissen, wen sie sonst anrufen sollen außer der Rezeption, jemand wird ihnen ein anderes Zimmer herrichten, wenn das Licht nicht stimmt oder der Sound oder die Klospülungswassertemperatur, irgendjemand wird sich stellvertretend für die Weltlage entschuldigen, falls ein falscher Alarm losgeht, irgendjemand wird ihnen Schokolade aufs Kopfkissen legen immer wieder, und es wird immer jemand daran arbeiten, dass die Leute sich auch gemeint fühlen, irgendjemand wird sich irgendetwas merken von den Leuten, also nicht nur aufschreiben oder eintippen, sondern wirklich merken, kaum zu glauben, und wird es ausspucken, wenn sie wiederkommen, und irgendjemand wird sich immer Mühe geben, weil es ja darum geht, sich Mühe zu geben, also einander, die Mühe, meine ich. (Oder nicht?)

A bit part

Auf der großen Treppe sitzen die Menschen mit den dunkelblauen Menschen, alle jung oder zumindest jung angezogen, in Berlin trägt man jetzt diese klassischen geraden Schnitte, die Materialien, die sich so gut voneinander abgrenzen lassen, Kaschmir an Kaschmir an Jeans, die Kontraste sieht man vor allem in den Gesichtern, wenn das Telefon klingelt. Das sie rausholt aus dem Blick auf den Gendarmenmarkt und hinein in irgendetwas anderes, ihr Blick senkt sich dann, es ist beinahe, als rollten die Pupillen über oben nach hinten ins Paralleluniversum, die Haut über den Wangen wird schlaffer, man sieht beinahe den Terminkalender durchrasseln, das Abgleichen hinterlässt Spuren im Momentgesicht, sie verlieren die Kontrolle, wenn sie nicht gerade laut sprechen und ihre Verabredung am Telefon direkt verkünden. Wenn sie mit der Stimme keine Performance machen, dann scheint es, als würden sie unsichtbar. Zwei, drei von ihnen bleiben zu sehen, sie scannen permanent alle Menschen, die vorbeigehen, als könnte ihnen auch nur einer entgehen, als hätten sie einen Auftraggeber am Ohr, der die Koordinaten durchgibt, nur leider etwas undeutlich. Der Dom spiegelt sich im neuen Gebäude gegenüber, wird in Quadrate zerkastelt, dem Licht macht das nicht viel, man muss kurz stehenbleiben, weil man sich sonst vertut in dem, was man gerade macht. Es ist ja selten so, dass man denkt: In diesem Licht kann ich besonders gut telefonieren oder Fahrradfahren, in diesem Licht schaut es sich besonders gut ins Schaufenster. Als tippe es einem auf die Schulter, ohne dass es einen kennt.

Als ich mich umdrehe später nach dem Konzert, die erste Zugabe ist gerade vorbei, das Publikum steht dem Raum angemessen vor Begeisterung auf, da sehe ich diesen Mann, dem die Tränen so wie im Film aus den Augenwinkeln laufen, nicht gerade über die Wange, sondern das Gesicht einrahmend, als hätte man ihnen Schienen ausgelegt. Der künstliche Nebel verteilt sich noch immer im Raum und hinterlässt diesen süßlichen Geruch. Als ich mich erneut umdrehe, ist der Mann fort. Dann die zweite Zugabe.

Die Friedrichstraße ist immer leer in der Nacht, ein paar Touristen stolpern an den hell erleuchteten Läden vorbei, in die Richtung irgendwelcher Hostels, sie verschwinden in Hauseingängen und Seitenstraßen, die Schaufensterpuppen starren dorthin, wo nichts ist um diese Uhrzeit. Erst am McDonalds wird es laut, Musik schallt heraus, eine Mutter nimmt ihre Tochter an der Hand und sagt „Besser als nichts“. An der Theke im Fenster sitzen zwei Mädchen, vielleicht 15 Jahre alt, neben ihnen die Tabletts mit dem zerknüllten Papier, sie haben die Köpfe auf ihren Armen abgelegt und starren hinaus ohne miteinander zu reden, dahinter bewerfen sich kleine Jungs mit Pommes. Drei Fahrräder liegen umgeworfen auf dem Bürgersteig, hinter der Kreuzung wird es wieder ruhig. Dann noch ein paar hundert Meter, eine große Kurve und dann kommen die Leuchtbuchstaben. Wenn sie hinter der U-Bahn-Brücke auftauchen, das ist der schönste Moment.

„Einen Drogentrip stelle ich mir vor wie Snapchatfilter“, sagt J., sie trägt das tolle blaue Kleid.

„But then the morning comes, and we turn back into pumpkins, right?“ (Celine in Before Sunrise)

What if

Die Luft und das Gras rochen noch wie im letzten Herbst, selbst das Licht hatte etwas von damals, der kleine Weg an der Tankstelle vorbei, die flackernden Lichter, diese Menschen in der Bahn, die genau diese Bahn an einem anderen Tag nie genommen hätten, aber man sah ihnen an, dass sie sich nicht umsonst auf den Weg gemacht hatten. Irgendwas war da. Das Schiff, das Hertha heißt, lag auf Stelzen. Im Herbst war da noch kein Schiff gewesen, sondern nur was wir wollten von diesen Tagen und was alles genau deswegen anders lief und dass sich die Welt danach verschluckte und zwar so sehr, dass sie ganz rot geworden war und sich nicht mehr bewegte für einige Zeit und dass man nicht so genau wusste, ob man das hinbekommt. Also dass man es hinbekommt, das hatte man all die Jahre irgendwie verinnerlicht, aber wie genau, und welcher Schritt würde eigentlich der nächste sein? Ob überhaupt ein Schritt? Oder nicht gar ein Satz? Ein Rückrudern? Irgendeine Ausweichbewegung? Vielleicht sogar, auch wenn man nicht im Traum daran gedacht hätte, – nein.

Also trotzdem. Jetzt liefen wir über den Rasen, mit dem Wissen, dass der kalendarische Frühling schon begonnen hatte, mit dem Winter im Rücken und im Nacken und zwischen den Wirbeln, der Frühling riecht noch immer so wie immer, ach was, und wir saßen auf den Stufen im Sendesaal, scannten all die Gesichter, duckten uns weg, auch vor dem Licht. Es war die ganze Zeit halb elf, weil niemand an die Uhr gedacht hat. Halb elf, seit sie stehengeblieben ist. Immer halb elf.

Hauschka verdrosch dann drei Klaviere, man konnte die Reflexionen der Anschläge an der Saaldecke sehen, er klebte Gaffa auf die Saiten, und die Angst verprügelte er gleich mit. Neben dem Funkhaus waren mir die Worte weggerutscht und die Gesten und ich hatte genug damit zu tun, mich nicht im letzten Herbst zu verheddern und in der Erinnerung und diese mit dem Frühling nicht allzu sehr zu vermischen, aber auch nicht zu wenig. Also bestellten wir das Bier und auch den Wein in kleinen Flaschen und lachten, als jemand über den Stufen „Oh hiiiii, Susanne“ rief und alle nachmachten, wie er das sagte, und vor, wie man es tut. Also darüber zu lachen. Sich mit hinüber zu lachen. Auf die andere Seite, auf der man ja wieder eingezogen ist.

Auf dem Feld einen Tag später fuhr eine Frau mit dem Fahrrad, die sang so laut, wie ich singen würde, wenn ich es mich traute.

Heute lag dann plötzlich das Wort „Argwohn“ im Raum. Ein paar Stunden zuvor war jemand an mir vorbei geradelt, der brüllte in seine Kopfhörer und das Mikrofon an deren Kabel, als gelte es das Leben. Man weiß das ja nie so genau, vielleicht tut es genau das, er vergaß, den Arm rauszuhalten. Auch das ist am Ende nachvollziehbar, wenn man es sich genau überlegt. G. sang dann in meinen Kopfhörern dieses eine Lied, das abschirmt, wofür der Tag dann ein Wort fand, den Argwohn. Das eine Lied. Und die Blumen zuhause. Und dass wir bald wieder an einem See sitzen werden und wissen, wie er gerochen hat all die Jahre zuvor. Man erinnert sich irgendwie immer erst dann, wenn man muss. Man wird nichts überprüfen und vergessen zu denken und dem Morgen beim Ankommen zusehen. Es ist wahrscheinlich immer halb elf, man weiß das nie so genau.

Was ist das Gute an der Angst?

Kanal

Noch einmal das Gespräch zwischen Christoph Schlingensief und Katrin Bauerfeind gehört. „Die Angst ist das, was einen fragt: Wer bist du? Angst ist eine Produktivkraft, weil sie zwingt einen ja permanent doch zu Reaktionen, die einem auch fremd sind, aber sie stellt die Frage im Kern, wovor hast du gerade so Angst, und wenn du über dich Bescheid wüsstest, dann hättest du das nicht“, sagte er.
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Als ich noch schnell ein Päckchen Kaffee kaufen gehe, bevor D. zu Besuch kommt, steht an der Ecke dieses Paar, es ist einer der ersten Tage im Jahr, in Berlin sind die meistens so kalt, dass allen die Finger einfrieren beim Schreiben ihrer Listen an Vorsätzen, jedenfalls tragen sie beide Wollmützen, die große Frau und der kleinere Mann und während man die Beobachtung so aufschreibt, fällt einem wieder auf, wie dämlich diese Zuschreibung ist, Paar, vielleicht waren sie gar kein Liebespaar, sondern ein Geschwisterpaar oder Freunde, jedenfalls standen diese beiden Menschen da in einer innigen Umarmung, sie größer, er kleiner, und sie weinte und er weinte, und sie hielten sich fest und eigentlich wollte man auf der Stelle stehenbleiben, um ihnen nicht zu nahe zu kommen, oder eben direkt hingehen und sie von außen umarmen, aber meistens sind die eigenen Arme dafür sowieso zu kurz, und meistens ist meistens gar nicht oft, sondern nur manchmal, aber diese manchen Male fühlt sich die eigene Unzulänglichkeit so riesig an, dass man denkt, diese Situationen gebe es ganz häufig. Ist nicht so. Manchmal weinen eben zwei fremde Leute an einer Straßenecke.
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Es ist schwierig den Tannenbaum rauszuwerfen, ich stelle es mir zumindest schwierig vor, denn noch habe ich das nicht gemacht, im letzten Jahr stand er auch bis in den Januar hinein, und auch der jetzige bleibt noch kurz, einfach weil es gut ist, so eine leuchtende und grüne Ecke im Zimmer zu haben, man stöpselt die Lichter ein und schon ist alles wieder ruhig wie diese Tage. Und den Baum rausschmeißen würde bedeuten, dass die Ecke wieder leer und die Tage wieder lauter sind und es ist nicht immer etwas Schlechtes zu zaudern. An Weihnachten erzähle Opa davon, wie er jedes Jahr den großen Baum der Familie bis in den Sommer stehen ließ. Mein Onkel berichtete später, das sei ein einziges Mal passiert, die Nadeln seien im Februar schon komplett runter gewesen, aber den Baum habe Opa stehenlassen, direkt vor dem großen Ofen wie ein Skelett beim Arzt. Heute sagt er, das sei Absicht gewesen, mehr wissen wir nicht. Den Kindern war es peinlich.
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Nachts am Kanal hoppeln zwei Häschen über den unberührten Schnee, die Lichter der Notaufnahme des Urban-Krankenhauses spiegeln sich blau und grün auf dem dünnen Eis, alles ist ganz still, man hört nur das Schnurpsen der Schuhe im Schnee, die Hasen hört man nicht.
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Vor dem Café steht ein Häuschen aus Holz und auf Rädern und wirklich jeder zweite Mensch schaut durch das schmale Fenster ins Innere hinein. Am Fenster klebt ein Zettel mit den Zeiten für Besichtigungen und einer E-Mail-Adresse, die Menschen, die an so einem Sonntag im Schnee am Kanal unterwegs sind scheinen ein Interesse für Häuser auf Rädern zu teilen, sie kommen miteinander ins Gespräch, sie lachen, machen Fotos vom Haus und von sich und von sich mit dem Haus. Es steht da seit dem Sommer, ein dünnes schwarzes Kabel verbindet es mit dem Wohnhaus daneben, 100 Euro Miete würde es kosten, steht auch noch auf dem Zettel.
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R. fragt, ob das die eigene Wahrnehmung sei, dass nun ständig etwas passiere. Nicht einmal das Politische weiter weg, sondern vor allem Krankheit und Tod so nah an einem dran. Oder ob das schon immer so war. Vermutlich spielt genau das gar keine Rolle. Wir leben seit ein paar Jahren damit und finden es immer noch genauso scheiße.

Lynx

Weiss

Am ersten Tag des neuen Jahres sitzen wir im Gasthaus des kleinen Ortes direkt neben der Fleischerei. Oben auf dem Vordach der Fleischerei steht ein Plastikschwein, darunter ein Weihnachtsmann, zwei drei Tafeln davor, die Angebote werden nicht weniger. Wir sind die ersten Gäste im Gasthof, an den auch ein kleines Hotel angeschlossen ist. Die Bedienung sieht müde aus, aber ihre Nägel glitzern noch golden. Alle Tische sind gedeckt, die Tischkärtchen sagen, es gibt Sauerbraten. Es läuft der lokale Radiosender, draußen steht die Sonne tief über der Elbe, darüber ein Raureifschimmer. Im Ort auf dem kleinen Platz steht einer von diesen kleinen Kästen, in denen normalerweise sakrale Gegenstände vor dem Wetter geschützt und ausgestellt werden. Hier wartet stattdessen eine kleine, einäugige Plastikkatze hinter Glas. Wir essen hausgemachten Apfelstrudel, der Cappuccino kommt nicht mehr aus der Tüte und der zweite Gastraum füllt sich langsam. Am Tisch in der Mitte sitzt nun ein älteres Paar, beide tragen rote Pullover in der Farbe der Tischdecke und Servietten, sie mit Fönfrisur und einem Blick, als würde sie am liebsten alles und jeden hier kurz und klein schlagen, er vergnügt mit einem Hauch von Hans Guck-in-die-Luft, manchmal pfeift er zur Musik, sie sprechen nicht miteinander. Ihre Beschäftigung besteht aus dem beständigen Herumschauen und dem Wühlen in einem der zwei Rucksäcke. Das andere Paar, das nun in unserem Raum in der Ecke mit zwei Hunden Platz genommen hat, spricht immer erst mit der Bedienung, wenn sie direkt am Tisch steht, obwohl sie sich nur einen Meter weiter an der Kasse aufhält. „Könnten Sie mal kommen?“, fragen Sie jedes Mal, erst dann fragen sie nach der Karte, geben ihre Bestellung auf oder verlangen die Rechnung.

Ich steige gerade die Treppen hinauf, der Schnee ist frisch gefallen, da sehe ich ihn neben mir sitzen. Auf seinem Häuschen im Gehege. Einem Gehege, zu dem man nur mit einem alten Fahrstuhl kommt. Auch am zweiten Tag des Jahres steht in diesem Fahrstuhl ein älterer Herr im Wollpullover mit einer Brille und kassiert. Die Fahrkarte für den Fahrstuhl kauft man in der Fahrerkabine, er sammelt die Münzen mit zittrigen Händen aus der Münzhaltevorrichtung, im Aufzug ist es warm. Der Motor wurde Anfang der 2000er Jahre errichtet. Als wir oben sind, können wir nur den Anfang der Elbe erkennen, der Rest verschwimmt im Schnee. Jedenfalls steige ich diese Treppen hinauf, der Schnee knirscht und dann kotzt sich der erste Luchs meines Lebens die Seele aus dem Leib.

In der kleinen Bäckerei, die uns auch immer die Brötchen in den Briefkasten geworfen hat morgens, sitzt ein Paar mit Kind, beide schon etwas älter, das Kind vielleicht sieben Jahre alt. Die Mutter trinkt ihre dritte heiße Schokolade mit Eierlikör, währenddessen schaut sie mit dem Kind einen Flyer mit Kunstfiguren an. Gemeinsam zählen sie die Hände der aus Stein gemeißelten Frauen. Sobald sie alle Hände gefunden haben, beginnen sie von vorn. Der Vater bestellt sich nach einem Stück Kuchen noch mit Käse überbackene Kroketten, dann fragt die Mutter das Mädchen, ob sie nicht heute mal beim Vater schlafen wolle, sie würde dann ins Kinderbett ziehen. „Nein, das geht nicht“, sagt er, „ich brauche dich zum Einschlafen.“ Die Diskussion ist beendet, eine Lampe des Schwippbogens ist kaputt.

Auf dem Weg zur Autobahn fahren wir an einem Schild vorbei. Wildvogelschutzgebiet. Jemand hat es in Pink groß mit dem Wort “Lüge“ übersprüht.

Die neunundvierzigste Woche Jahr #4

Sky Sky

Die Stadt atmet ein und aus, deswegen hängt der Dunst über ihr, als kumuliere sich in dieser Wolke auch der Atem aller, die am Sonntag herumgehen und denken “ Bald. Bald Weihnachten. Bald Silvester. Bald Bonus. Bald ein Abkommen. Bald Erlösung. Bald liegen. Bald neue Vorsätze. Bald Gehaltserhöhung. Bald wird’s schlimmer. Bald wieder Licht. Bald ein neuer Bundespräsident in Österreich. Bald Ravioli. Bald Urlaub. Bald ein Kilo weniger. Bald Schnauze halten. Bald eine Katastrophe in Italien. Bald nicht mehr denken. Bald dran glauben. Bald atmen. Bald drei Minuten für mich. Bald nicht mehr hier lang müssen. Bald duschen. Bald essen. Bald vielleicht Bescheid wissen. Bald was anderes“. Jemand hat das Geländer unter der erneut grau angestrichen, das in ein paar Tagen wieder weiß gesprenkelt sein wird wegen der Tauben. Man kann der Spree bis auf den Grund schauen gerade, weil sie steht und friert, die schwimmende rosa Plastiktüte kann da auch nichts machen. Ich weiß noch, als der Schwan eines Sommers mit über die Ampel ging. Bei Rot erst mit den Wartenden stand, und alle, die noch nicht gehen durften, sind völlig ausgeflippt, aber haben sich zusammengerissen, um den Schwan nicht zu erschrecken. Jedenfalls stand er da bei der Bibliothek an der Ampel, als wäre er einer von ihnen und dann ging er bei Grün mit ihnen hinüber und als er sich zur U-Bahn aufmachte, haben es die Menschen nicht mehr ausgehalten und sich ihm in den Weg gestellt, damit er die kleine Treppe zum Wasser hinunter watschelt oder fliegt oder was weiß ich, aber der U-Bahn-Tunnel war nun wirklich zu viel des Guten. Der Schwan schien erst ein bisschen irritiert und versuchte an den Menschen vorbei zu gehen, so sehr ein Schwan gehen kann, er watschelte so rum und sprang dann von der Brücke, flog ein Stück, etwas ungelenk und landete dann im Wasser und die Menschen oben haben applaudiert. Mehr sich selbst als dem Tier. So ist das ja meistens. Jetzt liegen vollgereifte Blätterhaufen im Rinnstein, die Menschen reiben sich in der U-Bahn die Hände warm. In der Nacht gab es überfrierende Nässe, die nun schimmert, als habe sich jemand auf der Kreuzung vertan. Dann läuten die Glocken, das Licht rutscht beiseite, die Kinder wollen nochmal aufs Trampolin, jemand seufzt und geht mit, muss ja einer mit immer. Die Bahn verschwindet zwischen den Häusern. Eine Straße weiter steht ein Mann in einem Gyros-Menü-Kostüm und verteilt Zettel. Als wir wieder aus dem Haus kommen, steht ein anderer dort. Auch im Kostüm. Sie frieren, man sieht ihnen das an, sogar den Zetteln sieht man das an. Er denkt auch: Bald. Und: Vielleicht.

It isn’t the same, don’t give it a name.

Die neunundvierzigste Woche Jahr #3

Marmor

A. sitzt auf dem Dach des Autos, das Auto steht auf der Brücke und Anne steht in dem Kleid wie in einem Raum, den sie schon lange kennt. Ihre Haare wehen so, dass man sie begreift, aber ihr nicht in die Augen sehen kann, das macht sie immer, wenn sie neu ist auf einer Brücke oder anderen Orten, von denen man einen Ausblick hat. Es ist einer von diesen Tagen, an denen einem abends nicht kalt und nicht warm ist und Temperatur nur so eine kleine Rolle spielt wie der Atem, solange er funktioniert, einer von diesen Tagen, an denen Wetter so an einem dran passiert, dass die Grenzen verschwimmen und man ganz darin aufgeht ohne aus der Form zu fallen. Einer von diesen Tagen, an denen man die Hand aus dem Fenster streckt, an dem man fahren kann, wohin man will und niemand sagt Nein oder Aber oder von Irrtum spricht. Einer von den Tagen, an denen es keinen Irrtum gibt, sondern jede Bewegung richtig ist und jedes Licht und wenn das Licht fertig ist mit dem Tag, dann ist auch das genau richtig und man hört nur noch den Stoff ihres Kleides und weiß, aus welcher Richtung der Wind kommt, weil man den Zigarettenrauch riechen kann. Einer dieser Tage, an denen ein Ausblick genug ist und wir nicht mehr wollen als solange sitzen zu bleiben, bis das Licht wiederkommt, weil es ja gesagt hat, es müsse nur mal eben etwas erledigen, es wird kommen und das ist einer dieser Tage, an denen man sich darauf verlassen kann, an denen stimmt, was gesagt wird ganz gleich, ob es morgen noch gültig ist. Auch dieser Tag wird wiederkommen, er muss nur kurz etwas besorgen, glaub mir, wir warten hier, du hast doch Feuer und Blättchen und nein danke ich rauche nicht, aber du bist versorgt und ich bin okay und damit halten wir es auf diesem Geländer noch eine Weile aus; eine ganze Zeit.

Nachts auf dem Weg nach Hause ist der Schriftsteller weg und stattdessen sitzen uns zwei ältere Herren gegenüber, der eine hat diese Abstand zwischen den beiden Schneidezähnen, den man bei Fotomodels und Teenagern immer gut findet. Er ist jetzt älter, vielleicht Mitte 50, man muss zweimal hinsehen, um sich zu erinnern: Ach, diese Zahnlücke, die geht auch später nicht weg. Und man kann nicht sagen, ob die beiden betrunken sind oder auch nur angetrunken, oder ob sie immer so reden, so nebeneinander her. „Mit dem Auto weiß ich auch immer nicht so Bescheid. „– „Naja, Hauptsache U-Bahn.“– „Ich bin da einfach absolut unentschlossen, man weiß nie, woran man ist.“– „Im Moment ist es einfach nur teuer.“ – „Und wird auch nicht billiger werden.“– „Früher hätte man gesagt, kauf ich und jetzt hätte man es für das Doppelte verkaufen können.“ – „Ja, das geht nicht mehr. “ – „Das geht schon lange nicht mehr.“ Sie könnten über alles sprechen. Konservengemüse. Die große Liebe. Anlageberatung. Das Sterben. Fermentation.

„Sie schaut nach Flügen für den Januar. Oder nach Flügeln.“

„Körner machen fett“ steht an der Hauswand kurz hinter der großen Kreuzung. Die Sonne scheint über den Platz und alle Menschen auf der einen Straßenseite verziehen das Gesicht. Auf der anderen Straßenseite läuft niemand. Alle versuchen einander zu erkennen, einer bleibt stehen, schließt die Augen und wird von allen überholt. Die Düsenjäger spielen Käsekästchen am Himmel.

Die neunundvierzigste Woche Jahr #2

Sky

Gestern war ein Tag mit Wind. Berlin fühlt sich an manchen Ecken dann kurz an wie Hamburg. Oder vielleicht nicht wie Hamburg, aber wie ein paar Meter näher am Meer. Wenn man dann nachts durch Berlin läuft, auf den Straßen liegen vom Himmel gefallene Seeigel, kriegt einen wieder das Aliengefühl, wenn man nicht aufpasst, in dem sich alle bekannten Straßennahmen, Erinnerungen und Zugehörigkeiten auflösen und man nur noch Steine und Bäume sieht, ein Paar fremder Füße, kalte Hände und Taxifahrer, die selbst nicht wissen, wo es eigentlich langgeht.

Heute ist der Himmel wieder blau wie noch nie und dieses Mal trifft er beinahe die Farbe des Hauses, an dem ich so oft vorbeikomme. Eigentlich müsste man rausfahren, so richtig raus über den Rand hinaus dorthin, wo man sich erschreckt, wenn man noch andere Menschen trifft und sich dann doch grüßt mit gesenktem Blick und einem kurzen Lächeln. Man müsste dorthin fahren, wo es zu dieser Jahreszeit ohne hochgeschlagene Kragen nicht geht und wo man die ganze Zeit blinzeln muss, weil das Licht so blendet, wenn keine Häuser im Weg stehen oder nur solche, in denen niemand mehr wohnt.

Der Herr mit Hut und Ledertasche in der U1. So habe ich mir früher immer Schriftsteller vorgestellt. Auch das Schriftstellersein. Man umgibt sich mit Dingen aus Leder, macht ausladende Handbewegungen und beim Denken fasst man sich selbst ins Gesicht oder ans Papier. Und dann setzt man sich hin und seufzt und schreibt so, dass es ein Geräusch macht. Aber das ist dann auch das einzige Geräusch nach dem Seufzen. Das des Stiftes auf Papier, oder eben Tippen. Der Rest der Welt verschwindet. Dachte ich. Inzwischen habe ich festgestellt, dass diese Momente so rar sind, in denen das Hirn es schafft, die Welt komplett liegenzulassen, dass man sich dafür auch keinen Hut kaufen braucht. Wie die Sache mit dem schalltoten Raum. In dem man nichts hört außer sich selbst. Und dann eventuell verrückt wird, wenn man zu lange darin bleibt. Weil man das noch nie erlebt hat, vollständig von dem, was einen sonst permanent umgibt, so viel und so pausenlos, dass man es nicht mehr wahrnimmt, also von dem Offensichtlichen und dem großen Rest, nun wirklich von all dem getrennt zu sein.

Es ist wieder die Jahreszeit, in der man die Unsolved von Karate herausholt. Wenn man das dann fünfmal die Woche tut, ist Saison. „Still something sings within the vein, as I forget to fail, I forget to complain. And how much will the Leitmotiv sway to compensate for our fallow-yet-vigorous play on the century’s take on the lived-but-yet-named? Hold out, because this moon is twice as good when you see through a year of nights what you thought you understood.“