Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Monat: November, 2014

Lesen & singen zum Vorlesetag

UPDATE: Wir müssen Lesung & Konzert leider aus unerwarteten Gründen absagen. Wir holen beides aber nach. Versprochen.

Am 21. November ist Vorlesetag. Deswegen tue ich genau das aus Büchern & meinem Blog. Um 19:30 Uhr im List in Neukölln. Zwischendurch wird Lars ein paar Lieder singen.

Lars & Lisa

But the pounding.

Rainbows

Wenn du dir Mühe gibst, kannst du jemand anders sein. Wenn du dich wirklich anstrengst, gelingt es hin und wieder deine Jahre abzustreifen und in neue Sekunden zu schlüpfen. Und wenn du das langsam tust und nichts überstürzt, dann kannst du dich fühlen wie im Bauch dieses Schiffes, das Rumoren des Ozeans neben deiner Stirn hören, die kühlen Schiffswände am Steißbein spüren und manchmal einzelne Haare zwischen Rostsplittern. Wenn du die Augen zumachst und stehenbleibst, egal, wo du bist (nicht ganz egal, aber ein bisschen egal), dann bewegt sich der Boden in sanften Wellen und niemand weiß von dir, niemand kennt dich, niemand nimmt wahr, dass du da bist, genau dort, dass es dich gibt. Und das Schiff klettert Bogen für Bogen ab, Tal für Tal, das Schiff hat alle Luken dicht gemacht, du kannst die Seile knarzen hören, die Maschinen arbeiten. Wenn du dann langsam die Schultern sinken lässt und die Hände ausstreckst, nicht nach vorn, dort ist ja niemand und auch sonst nichts, sondern nach unten, also jeden einzelnen Finger entspannst, was gar nicht so leicht ist, wenn du dich wirklich darauf konzentrierst, wenn du die Tauben aus Kreuzberg einfach zu Möwen machst und den Wind über der Brücke am Halleschen Tor etwas drehst, wenn du aufhörst, einfach kurz aufhörst mit allem, dann ist es möglich zu gehen, dich tragen zu lassen, so weit es nur geht. Es ist dann durchaus plausibel, das Kinn ganz leicht zu heben und du musst gar nicht nachsehen, alles wird trotzdem kleiner, wenn du einfach mit allem aufhörst und dich nicht rührst, ich verspreche dir, alles wird kleiner, bis es zwar nicht verschwindet, aber so weit fort ist, dass es dich nicht von dir ablenkt, von dir und deinem Loch im Bauch und vom Fuß und dem Herzen und der Stelle hinter dem Ohr und den weichen Knien, dann gibt es nur noch dich und die Postkarten im Inneren deines Brustkorbs. Wenn du dich bemühst, dann funktioniert das ganz kurz und ganz kurz ist ja manchmal auch besser als gar nichts. Und du kannst ohne Ton New Found Land singen und dich vorbereiten auf die Nacht, in der du kein Sternenbild mehr kennst und alle Kometen zu weit sind, du kannst dich vorbereiten darauf, dass die Nacht genauso aussieht wie der Tag, denn hier unten im Bauch lässt sich das nicht unterscheiden, du kannst dich hinlegen, wann immer du möchtest, du wirst auch mit offenen Augen nichts sehen und die Langeweile aushalten und die Fragen aushalten und die Erinnerungen aushalten und die Ungeduld und dich, ja vor allem dich selbst aushalten und all die Dinge, von denen du glaubtest, sie gehörten zu dir. In diesen Tagnächten, in diesen Nachttagen wirst du nur Wasser hören und den Wind und was sich an Atem in dir breit macht, du wirst mitbekommen, wie sie draußen alles genauso tun wie immer, das Anlegen, das Ablegen, das Beladen, das Löschen, den Personalwechsel, du wirst mit all dem nichts zu tun haben, du wirst mit gar nichts mehr zu tun haben bis ganz zum Schluss, das gehört nicht zu dir, diese Container nicht und die darin verladenen Obstkisten nicht, die Handschriften auf den Zetteln nicht, die vergeblich versendeten SMS jener nicht, deren Empfang nicht reicht bis ein paar Kilometer auf See, die zu warmen Kopfkissenbezüge in den Kabinen nicht, das ist alles nicht deins. Wenn du dich überwindest, wird niemand wissen, dass du existierst, du wirst irgendwann aussteigen nach allen anderen, du wirst kein Gepäck haben und die Sonne wird dich sehr blenden, du wirst lange nicht gesprochen haben, geschweige denn in Farben gedacht, vielleicht wirst du etwas aus der Mode gekommen sein. Dann Augen aufmachen, dann losgehen, dann die U-Bahn noch kriegen, dann den Menschen nicht ins Gesicht sehen, dann die Kurzgeschichten lesen, dann arbeiten, dann E-Mails nicht schreiben, dann mittags am Fluss sitzen, dann anrufen, dann nicht wissen, dann doch einen richtigen Gedanken fassen, dann weitermachen. Nochmal von vorn.

Fluid Mosaic Model

Opa

Ein Leben steckt im anderen, meistens sind es sogar zwei, drei, vier und manchmal eben auch fünf. Ein Leben steckt im anderen und manchmal fällt das eine ganz langsam ab, erst wird es von den Umständen und dem Wetter aufgeraut und nach und nach kommt etwas anderes zum Vorschein, etwas Neues, etwas, das nun den Standard und Alltag, die Routine und die eigentliche Form bildet, während das vorherige sich manchmal in Fetzen löst, ab und an aber auch einfach abgetragen wird, sanft und so, dass man gar nicht spürt, wo es anfängt oder aufhört, irgendwann ist es einfach nicht mehr richtig zu sehen und nur noch als Schleier vorhanden, von dem man aber auch nicht so genau weiß, ob er wirklich existiert oder man ihn sich einbildet, ob das eine optische Täuschung ist oder ein Rest, dem man beim Vergehen zuschauen kann (obwohl ja auch das eine Legende ist, denn Abschied, wenn man ihn haben darf und er sich lange zieht, fühlt sie nie so an, wie man denkt, dass Abschied sich anfühlen müsse, vorher nicht und nachher auch nicht, am Ende ist vermutlich genau das sein eigentlicher Charakter, dass man immer denkt, man bekäme ihn nicht richtig zu fassen). Ein Leben steckt im anderen und wir tun gut daran, uns darauf einzustellen und das nicht zu verleugnen, denn am Ende richtet sich eh niemand nach uns, die Gezeiten nicht und die Winde nicht und im Weg herumstehende Schicksalspfosten sowieso nicht, das passiert halt einfach und im Vergleich haben wir ja dann doch eher die Konsistenz und die Bedeutungsschwangerschaft von Glühwürmchen, deswegen sollten wir besser einmal darüber reden, wie wir damit umgehen, wenn wieder so ein Wind kommt, wenn wir uns häuten müssen und damit ja auch umgezogen werden, wir werden sprechen müssen darüber, wie wir einander noch erkennen, welche neuen Wege wir eventuell auch vorher schon mal ablaufen können, um nicht ganz neu zu sein, um nicht plötzlich ahnungslos und mit neuer Fassung herumzustehen, vor der uns niemand gewarnt hat. Vielleicht können wir einen Entwurf machen, die Möglichkeiten durchspielen, nur ein einziges Mal, um einen Gedanken dorthin gesetzt zu haben, wohin vielleicht ein Fuß folgen wird, wir könnten es wagen, damit zu rechnen, ohne haltlos zu werden, eine Art Gewebe bilden, das sich mitformt, Doppellipidschichten, ein inneres Fell, das nicht als nächstes dran ist, sondern erst einmal Bestand hat, irgendwas. Irgendwas.

Vorhandensein ist zu vermuten.

Arkonaplatz

Es ist seltsam, jeden Tag Revue passieren zu lassen und auszuwählen, was davon man aufschreibt und was nicht, manchmal bleiben einfach kleine, lose Fetzen hängen, von denen man glaubt, die könnten eventuell jemanden interessieren oder einfach nur gut klingen und am Ende sitzt man da und will eigentlich siebenhundert Seiten über die Farbe des Laubs am Arkonaplatz schreiben, aber das bringt ja auch niemandem was und man selbst weiß ja eigentlich am besten, wie es sich über die Jahre verändert und vermutlich genügt das einfach. Was dazu kommt, ist, dass mir seit Tagen der Ursprung der Frage „Macht es dir etwas aus?“ nicht aus dem Kopf geht, und ich meine damit vor allem die Herkunft der Redewendung, die ich neuerdings verwandeln möchte in „Macht es in dir etwas aus?“, denn ich glaube, da kommt die Frage her und auch die Antwort „Es macht mir etwas aus ““ nämlich ein Gefühl oder einen Wunsch, es macht etwas klein und sogar noch kleiner, nämlich so klein, dass es beinahe nicht mehr zu sehen ist, aber zumindest noch so sehr, dass ich es formulieren kann“ und dann muss man ja sagen: „Ja, so ist es. Es macht mir etwas aus. Und jetzt ist es fort.“ Wie sehr ein einziges Wort einen Unterschied machen kann in Gewicht und Klang und vor allem Deutlichkeit, wie wichtig doch immer ist, wirklich zu wissen, was man sagt und fragt und in den zu erinnernden Momenten jedes Wort noch einmal herumzudrehen, weil man das ja von sich kennt, also wie sich die eigenen Erinnerungen zusammenbauen und das ist nie nur, wie das Licht fiel, das ist nie nur, wie du gerochen hast, das ist immer eine Mischung aus allem und der Ahnung, was gerade eventuell nicht gesagt wurde, lediglich eine Vermutung, wo man herkommt und hingeht und welcher Zufall gerade der eigene ist. Auch hier wieder: Bleibt Zufall wirklich so, wie wir uns das Wort zurechtdeuten, wenn man es sich genauer ansieht, dass dir etwas zu- und nicht einfach hinfällt, man könnte auch dem Zufall beinahe Richtung unterstellen, einen Antrieb, wenn man mehr Zeit hätte und ein bisschen mehr Licht, in mir drin ist ja fast noch September und ich möchte mich die ganze Zeit beschweren darüber, dass es schon so früh dunkel wird und dann fällt mir ein: Es ist ja alles, wie es soll.

Hell-Dunkel-Grenze

Mauerstreifen

Ich fahre mit dem Fahrrad durch knietiefes Laub, es knistert, die Stadt ist völlig verwirrt irgendwo zwischen August und November hängengeblieben. Und während wir tagsüber in T-Shirts in der Sonne sitzen, klirrt abends die wahrhaftige Jahreszeit zwischen den Speichen. Mit den Lichtern des Krankenhauses kommt zurück, was immer noch nicht verdaut ist, der alte Sommer, der noch nicht ganz so ferne Winter, der sich in den Keller zurückgezogen hatte bis jetzt, denn nun kraucht er die Treppen zurück nach oben und steht dort im Hausflur mit seinem Staub und seinem schiefen Lächeln, ich hab ihn nicht vergessen, ich hatte sogar mit ihm gerechnet, ich habe mir nicht eine Sekunde eingeredet, mich nicht zu erinnern. Manchmal glaube ich, ich trage einen unsichtbaren Körper neben meinem sichtbaren herum, einen, der behält, was war, einen, der mitwächst und sich nicht einfach erneuert, so wie menschliche Zellen es nun einmal tun, einen, der zwar Konsistenz und Dichte ändert, aber eben nicht stirbt sondern auffrisst, was passiert, in sich einbaut und sich von Jahr zu Jahr zwar nicht selbst verdaut, aber zumindest neu zusammenwächst, wenn auch langsam. Einen zweiten Körper, der nicht kotzt, der nicht krampft, der einfach aufnimmt und sich assimiliert, weil er keine andere Wahl und sowieso keine andere Aufgabe hat. Als wäre mein Schatten gar nicht mein Schatten sondern ein anderer Speicher, eine Möglichkeit zu verstauen, was Hände, Arme, Beine, Füße, Knie und der ganze Rest nicht aufnehmen können, mein Backup aller Tage und Versprechen. Und dann im Laternenlicht läuft er neben mir her wie jemand, den ich lange nicht angesehen habe, aber immer bei mir trage. Wir fahren langsam, irgendwo hupt jemand und ich singe leise, was ich noch weiß.

Jeder hat diesen Haufen, Peter Pan ist umgezogen.

A little something in our lemonade.

Ufer

Es gibt diese Stücke, die hauen dir um die Ohren, was immer war und immer sein wird, und B. fragt zurecht: „Wenn das allen so geht, mit dem Sex und dass man ihn irgendwann nicht mehr hat, wenn das alles so geht mit dem Diskutieren darum und dem schweren Schweigen, wäre es dann nicht besser, wenn man es nicht so an die große Glocke hängt, jedenfalls nicht so?“ Wir sehen Erotic Crisis, wir können alle nicht so richtig sitzen bleiben, wir sehen und wir lachen auch manchmal laut und später beugt sich B. zu mir herüber und flüstert: „Das kennen wir alle, keiner lacht, weil’s so beklemmend ist, aber dass da einer sitzt, der nur in sein Handy tippt und den anderen nicht mehr mitbekommt, der sich um ihn bemüht, das kennen wir alle und ich wette, ganz vielen in diesem Raum geht es gerade schlecht“. Das Stück ist eine Vorführung, keine Komposition, all das, was wir bereits gesagt haben, wird noch einmal gesagt, all das, was wir bereits gesehen haben, wird noch einmal ohne Schnickschnack ins Licht gerückt, ja, anscheinend muss man sich heutzutage auf der Bühne auch die Unterhose ausziehen, damit Sex nach Sex aussieht, wir haben es eigentlich alle verstanden, aber zur Sicherheit wird das Licht gedimmt, zur Sicherheit sind die Darsteller wirklich nackt, damit auch jeder weiß, das hier ist die Bühne, aber euch allen könnte das passieren, zur Sicherheit machen wir noch einmal klar, dass es hier ums Echte geht, wenigstens spucken sie nicht.

Was meinen Blick ausruht, was ich mag, ist die auf zwei schmalen Leinwänden gezeigte Übersetzung des Textes der Figur Maya, denn sie spricht Englisch im Stück, mit ihrem Partner auch, und wenn die beiden sprechen, findet man die jeweilige Übersetzung in den Ecken des hohen Raumes, ganz zurückgenommen, nicht grell und sogar relativ klein. Ich rechnete nicht mit diesem Moment, nicht nach dem Stück, das einen manchmal laut auflachen und gleichzeitig erschaudern lässt, weil jeder schon einmal auf dieser Bühne stand, zumindest mit einem Fuß, weil es einen zurücklässt ohne etwas hinzuzufügen, es gibt keine Auflösung, keine Verwunderung, es gibt keine Regenrinne, durch die Herunterprasselndes abfließen kann, es gibt nur das, was gesagt wird, und wir alle schon kennen, die Leistung besteht vor allem in der Wiederholung und im Weglassen der Zimmereinrichtung unserer aller Leben, jedenfalls rechnete ich wirklich nicht mit diesem Schlag in die Magengrube, denn Maya steht am Ende da nach einem Wutanfall und ihre Figur ist wirklich anstrengend, jedenfalls steht sie vermutlich nicht einmal sondern sitzt und fragt dann, was man nicht fragen sondern eigentlich nur fordern kann: Would you please just let me go? Und der Satz bleibt auf Deutsch auf den Leinwänden stehen, während plötzlich das Klavier einsetzt, das niemand erkennt, nur T. sofort und ich sofort, das Klavier aus Fake Empire und mir rollt wirklich in dieser Sekunde alles aus den Augen und in den Bauch hinein, nicht das, nicht jetzt. (Eine Reihe vor uns öffnet eine junge Frau Shazam auf dem Handy, wie das wohl wäre, würde man das Lied jetzt immer noch nicht kennen, wie das wohl wäre, hätte man es noch nicht dreihundert Mal gehört, wer man wohl wäre?)

Und dann gehen wir hinaus und laufen am Deutschen Historischen Museum vorbei, alles ist dunkel, aus dem Boden zwischen den Pflastersteinen strahlen Lampen in die Höhe, dahinter der Dom und laufen wir über die Brücke, die Lichter flackern im Wasser und das Klavier sitzt mir immer noch zwischen den Schulterblättern, genau wie der Blick des alten Mannes vom Plakat der Ausstellung zur Fotografie des ersten Weltkriegs, also laufen und einatmen und ausatmen, laufen und sich an B. festhalten, während T. sich die Schuhe bindet, wir lachen verlegen, was soll man auch tun, wir wissen ja, wie es war.

50 000 Worte to go.

Art that hurts

Eigentlich hab ich’s jetzt schon versaut. Das Vorhaben, den Vorsatz und wie das alles eigentlich ablaufen sollte. Denn ich bin zu spät, ich hab den Einsatz verpasst, aber manchmal kann man ja doch noch was rausholen, manchmal kann man zu spät auf die Bühne stolpern und dann aus der Aufregung heraus plötzlich Handstand, der sonst nämlich nie hinhaut, manchmal kann man dann den Text trotzdem, obwohl man zu spät ist und man zwar ins Licht, aber noch nicht ganz aus der Rolle gefallen ist, manchmal reicht es schon, sich einfach trotzdem hinzustellen, obwohl’s viel zu spät ist. Und ich stolpere jetzt. Auf die Bühne. Der November ist National Novel Writing Month. Ich habe bei Nina davon erfahren und werde versuchen, jeden Tag zu schreiben. Hierhin. Und wenn’s nur Käse ist. Ich habe vergessen, wie es ist, jeden Tag zu schreiben um des Schreibens Willen, nicht um daraus sofort etwas zu machen, vielleicht habe ich es auch nicht vergessen, sondern einfach nur noch nie getan. Vermutlich wird man nicht unterscheiden können, was von den Dingen wirklich passiert und was nur in meinem Kopf, was von all dem mit mir, mit anderen oder mit niemandem zu tun hat, vermutlich wird man nichts davon abgrenzen können, weil ja eh im Schreiben immer alles gleichzeitig ist, aber darum geht es auch nicht, denn ich will einfach nur meine Sprache zurück, wir sind uns etwas fremd geworden und es ist höchste Zeit. Es ist Sonntagabend und morgen geht es los.