But the pounding.

Rainbows

Wenn du dir Mühe gibst, kannst du jemand anders sein. Wenn du dich wirklich anstrengst, gelingt es hin und wieder deine Jahre abzustreifen und in neue Sekunden zu schlüpfen. Und wenn du das langsam tust und nichts überstürzt, dann kannst du dich fühlen wie im Bauch dieses Schiffes, das Rumoren des Ozeans neben deiner Stirn hören, die kühlen Schiffswände am Steißbein spüren und manchmal einzelne Haare zwischen Rostsplittern. Wenn du die Augen zumachst und stehenbleibst, egal, wo du bist (nicht ganz egal, aber ein bisschen egal), dann bewegt sich der Boden in sanften Wellen und niemand weiß von dir, niemand kennt dich, niemand nimmt wahr, dass du da bist, genau dort, dass es dich gibt. Und das Schiff klettert Bogen für Bogen ab, Tal für Tal, das Schiff hat alle Luken dicht gemacht, du kannst die Seile knarzen hören, die Maschinen arbeiten. Wenn du dann langsam die Schultern sinken lässt und die Hände ausstreckst, nicht nach vorn, dort ist ja niemand und auch sonst nichts, sondern nach unten, also jeden einzelnen Finger entspannst, was gar nicht so leicht ist, wenn du dich wirklich darauf konzentrierst, wenn du die Tauben aus Kreuzberg einfach zu Möwen machst und den Wind über der Brücke am Halleschen Tor etwas drehst, wenn du aufhörst, einfach kurz aufhörst mit allem, dann ist es möglich zu gehen, dich tragen zu lassen, so weit es nur geht. Es ist dann durchaus plausibel, das Kinn ganz leicht zu heben und du musst gar nicht nachsehen, alles wird trotzdem kleiner, wenn du einfach mit allem aufhörst und dich nicht rührst, ich verspreche dir, alles wird kleiner, bis es zwar nicht verschwindet, aber so weit fort ist, dass es dich nicht von dir ablenkt, von dir und deinem Loch im Bauch und vom Fuß und dem Herzen und der Stelle hinter dem Ohr und den weichen Knien, dann gibt es nur noch dich und die Postkarten im Inneren deines Brustkorbs. Wenn du dich bemühst, dann funktioniert das ganz kurz und ganz kurz ist ja manchmal auch besser als gar nichts. Und du kannst ohne Ton New Found Land singen und dich vorbereiten auf die Nacht, in der du kein Sternenbild mehr kennst und alle Kometen zu weit sind, du kannst dich vorbereiten darauf, dass die Nacht genauso aussieht wie der Tag, denn hier unten im Bauch lässt sich das nicht unterscheiden, du kannst dich hinlegen, wann immer du möchtest, du wirst auch mit offenen Augen nichts sehen und die Langeweile aushalten und die Fragen aushalten und die Erinnerungen aushalten und die Ungeduld und dich, ja vor allem dich selbst aushalten und all die Dinge, von denen du glaubtest, sie gehörten zu dir. In diesen Tagnächten, in diesen Nachttagen wirst du nur Wasser hören und den Wind und was sich an Atem in dir breit macht, du wirst mitbekommen, wie sie draußen alles genauso tun wie immer, das Anlegen, das Ablegen, das Beladen, das Löschen, den Personalwechsel, du wirst mit all dem nichts zu tun haben, du wirst mit gar nichts mehr zu tun haben bis ganz zum Schluss, das gehört nicht zu dir, diese Container nicht und die darin verladenen Obstkisten nicht, die Handschriften auf den Zetteln nicht, die vergeblich versendeten SMS jener nicht, deren Empfang nicht reicht bis ein paar Kilometer auf See, die zu warmen Kopfkissenbezüge in den Kabinen nicht, das ist alles nicht deins. Wenn du dich überwindest, wird niemand wissen, dass du existierst, du wirst irgendwann aussteigen nach allen anderen, du wirst kein Gepäck haben und die Sonne wird dich sehr blenden, du wirst lange nicht gesprochen haben, geschweige denn in Farben gedacht, vielleicht wirst du etwas aus der Mode gekommen sein. Dann Augen aufmachen, dann losgehen, dann die U-Bahn noch kriegen, dann den Menschen nicht ins Gesicht sehen, dann die Kurzgeschichten lesen, dann arbeiten, dann E-Mails nicht schreiben, dann mittags am Fluss sitzen, dann anrufen, dann nicht wissen, dann doch einen richtigen Gedanken fassen, dann weitermachen. Nochmal von vorn.