Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Thema: London

Saltdean

Kennen Sie das? Sie sind in einer Stadt, in der mal jemand gelebt hat, den Sie gut kannten, aber er ist nicht mit Ihnen dort und am Ende sehen Sie alles beziehungsweise vieles nicht durch seine Augen, aber eventuell durch so etwas wie seine Sonnenbrille oder mit seiner Kapuze. Ich steige aus dem Flugzeug, die Luft riecht nach Frühling, London wartet irgendwo weiter hinten, die Sonne geht gerade unter und das Schild sagt, man solle ich auf der Rolltreppe am Geländer festhalten, die Rolltreppe fährt hier viel schneller, habe ich den Eindruck, vor allem aber fährt meine Rolltreppe viel schneller als die daneben, und M. fällt hinter mir zurück. Unten angekommen drehe ich mich um, aber er fährt noch. In dieser Stadt, durch die man mit der anderen Kapuze läuft, hält der Frühling Einzug, das Licht fällt wie nicht bestellt, aber aufmerksam hingelegt ins Zimmer des Hotels, wo einen in jeder Ecke etwas anschaut, ein Gemälde, eine Lampe in Menschenform, Dekorationsartikel mit Tiergesichtern, aber der Teppich macht, dass man nicht trampeln kann, selbst wenn man wollen würde und das Bett macht, dass man sich ausruht, selbst wenn man nicht schläft. In dem Gebäude gegenüber läuft nachts jemand in leeren Räumen mit einer Taschenlampe Patrouille. Tagsüber auf der Straße schaut man wegen des umgedrehten Verkehrs in alle Richtungen, so sehr, dass einem fast schwindelig wird, irgendwann laufen wir einfach, das wird schon. London riecht nach Chilli, Fett und Motorenöl. Das Verstehen der anderen Sprache lässt sich glücklicherweise je nach Gemütszustand einschalten und auch wieder ausfaden. Und so ist das Spazieren gut möglich, weil man verstehen kann, aber nicht muss, weil die innere Übersetzungsmaschine Pause macht, wenn sie soll und manche Sätze sieben oder acht Schritte brauchen, um in ihrer Bedeutung durchzusickern. Und nach einem Tag schon kann man sich, wenn man denn will, wieder in die Sprache legen, auch Schottisch verstehen. Wie mit Menschen, an die man sich erst wieder einen Moment gewöhnen muss, obwohl man sich mag, aber lange nicht gesehen hat, Jahre vielleicht. Man könnte sich anlehnen, aber man tut es nicht, obwohl man weiß, dass es geht. Die Kapuze ist aus schwerem Stoff, aber sie wärmt, als wir nachts auf der Millennium Bridge stehen und in die Lichter starren (ich summe leise „England“ von The National, diese Sorte Pathos fragt nicht nach Erlaubnis).

Die Sache mit den frühen Zügen am Morgen ist die, dass man allein einsteigt, aber nicht allein rausgeht. Die Menschen kleckern nach und nach dazu, von Station zu Station wird es heller, erst dunkelblau, dann graublaugrün, dann die kleine graue Phase und dann kommt das Rosa auf den Dächern. Als das erste Grün vorbeifliegt, ist es Tag und ich hätte gern den Mut, sitzen zu bleiben und einfach durch bis nach Brighton zu fahren, nichts zu erfinden, sondern die Wahrheit zu sagen: „Entschuldigt bitte, ich kann heute noch nicht zurückkommen, ich muss noch etwas erledigen, ich muss das noch sehen, und dann ist vielleicht Ruhe.“ Wir werden es erst wissen, wenn es soweit ist. (Put an ocean and a river between everything, yourself and home.)

Sunday (8)

Und heute abend Berlin.

Saturday (7)

Wir haben Juan Muñoz gesehen sowie Duchamps, Manray und Picabia. Wir hatten Woyzeck und Themsenspaziergänge.

Wir sahen die Brücken und Lichter bei Nacht. Wir haben uns verlaufen. Kubrick joined us. Es gab Linien am Himmel, Flugzeuge und Sirenen, Brick Lane und Notting Hill. Ich habe noch immer keine Postkarten geschrieben, ich weiß noch immer keine großen Worte. But I am „full of things that absorb light“ (Manray). Und morgen wieder weg.

Thursday (5) & Friday (6)

Es gibt eigentlich nur einen Stapel, der erst ordentlich auseinander gepflückt werden kann, wenn man schon nicht mehr in der Stadt ist, die Kontraste anders zu spüren bekommt, sich der Lautstärken wieder bewusst und nach Hause kommen wird.

Wednesday (4)

Tuesday (3)

Käme ich jemals in die Verlegenheit, temporär einen Ort für mich wählen zu dürfen, wäre es wahrscheinlich nicht London. Wäre es nicht eine Stadt mit so vielen, sondern etwas kleineres, beschaulicher, wo man die Schrittgeschwindigkeit nicht erst suchen muss. Lieber andersherum. Aber die Müdigkeit am Ende des Tages ist doch immer eine gute hier. Und man entdeckt die Stadt anders, wenn man jemanden im Rücken hat, dem man vertraut. Wenn man allein sein kann, aber nicht muss. Wenn man sich nicht verlieren soll, aber darf.

Monday (2)

Wir schliefen aus. Es schläft sich eben gut in diesem kleinen Zimmer, dessen Fenster man nachts jetzt doch schon offen lassen kann. Und in dem man aufpassen muss, sich nicht riesige Holzscheite vom ungeschliffenen Dielenboden in den Fuß zu ziehen. Und es folgte ein Frühstück aus Croissants, Obstsalat mit Joghurt, Mozzarella und Tomate, sowie Tee und Espresso in dem kleinen Versinkesofa der Küche. Dann in der kleinen, engen U-Bahn in Richtung Oxford Street. Dort einen Kaffee bei Leon mit den schönen Postkarten. Ich verlor schon dort die Orientierung. Aber das mit den vielen Menschen hörte dort nicht auf. Wenigstens kam man sich nicht die ganze Zeit so schlecht angezogen vor wie in der Brick Lane. Über die Carnaby Street ging es in Richtung Playlounge, einem kleinen Laden voll mit Kinderbüchern und Comicspielzeug, sogar Moomin stand in einem kleinen Fach des großen Regals. Man muss sein Geld gut festhalten.

Weiter über die Regent Street mit ihren zigtausend Geschäften (und natürlich Menschen, flatternd und mit Unmengen Tüten bepackt), vorbei an diversen Geschäften für Männer, Frauen und Babies (die Patentante in mir gluckste!), kurz hinein zu Muji in der Oxford Street mit den schönen Kleinigkeiten. Sogar stylische Zahnbürsten gibt es dort. Und durch das Rotlichtviertel ging es dann zum Leicester Square, Plakate gucken, auf einer Bank kurz zur Ruhe kommen, Menschen gucken. Ich könnte eh die ganze Zeit nur dasitzen und gucken. Warten. Atmen. Die Geräusche ausschalten, die Geschwindigkeit verlangsamen, zurückspulen.

Über den Trafalgar Square, noch eine Kaffeepause einlegend und sich über die Stühle freuend, in denen man ganz langsam aber merklich versinkt, noch einmal hinunter zum Wasser, als die Sonne schon weg war. Und wäre Martin nicht, wäre ich wahrscheinlich längst überfahren worden. Das Gewimmel von roten Lichtern, die ständige Ablenkung und dass die Autos in meiner Wahrnehmung einfach doch auf der falschen Seite fahren. Die Straßen sind voll mit Irritationen. Passend dazu abends noch die Portion Gondry hinterher. Schön auch, dass der Gang des Kinos durch die Mitte führt und sich damit niemand um wirklich besten Plätze streiten kann. Die gibt es nämlich gar nicht. Und dann einschlafen bei der ersten Folge Pushing Daisies: „But what if you need a hug? A hug can turn your day around“. Dann von den Kameras träumen, die überall hängen. Auf wie vielen Bändern ist man wohl innerhalb eines Tages zu sehen? Vierhundert?

Sunday (1)

Der erste Eindruck dieser Woche war ein Blick auf glitzerndes Meer, eine zerklüftete Küste und einen braungrünen Flickenteppich aus Feldern. Die Sonne kletterte angestrengt durch die grauen Wolkenschleier, während das Flugzeug landete. Und dann waren überall nur noch Menschen. London ist so unglaublich voll mit Menschen. Alles rennt und schiebt und knistert und raschelt und telefoniert. Alle telefonieren, kleine Jungs, alte Omas. Es scheint, als unterhalte man sich entweder sehr laut miteinander oder man telefoniert eben.

null

Orientierung gibt es noch nicht, ich habe noch keinen eindringlichen Blick auf den Stadtplan geworfen, bin mehr hinterher als voran gelaufen. Mein Blick bleibt an jedem zweiten Haus kleben. Sie stehen alle in Reihe, zusammen gedrückt, alles ist gedrängt. Die Menschen, die Häuser, die Schilder, alles ruft irgendwie nach Aufmerksamkeit, nicht laut und schrill, aber doch konsequent. Und aus der Reihe fällt der, der es schlicht hält und einfach. Der sticht dann doch heraus. Und während ich schon am ersten Tag unglaublich viel Geld ausgebe, wir uns rund um die Brick Lane und Spitalfield Market durch die Mengen schlagen (bei uns sind die Straßen sonntags leer, hier sind sie voll), regnet es sich ein. Bei Kaffee mit dem dicksten und tollsten Milchschaum (ich stelle den Löffel hinein und er bleibt stehen, mit einem Anschubsen schlingert er langsam) versinken wir in weichen Sofas und sehen dem Licht beim weniger werden zu.

Die Einwegkameras sind im Anschlag, das Fotoprojekt in einem Reglement festgehalten. Die Lichter sind genauso bunt wie anderswo, nur sind es viel mehr, die kleinen Häuser scheinen sich zu biegen unter den vielen flimmernden Schildern, aber sie tragen sie doch mit Stolz vor sich her. Und auf dem Markt wird einem ganz anders von den teilweise so geschmacklos gemusterten Stoffen, die auf tausenden von Bügeln reihenweise die Straßen schmücken. Und jetzt stehen die Lichter still vor Fensterscheibe, auf der sich Tropfen sammeln und langsam hinabfließen in Musterbahnen. Das Hochhaus bewegt sich nicht, der Blick liegt still. Wir haben Pfefferminztee.