„Born to make money“ steht in Weiß auf den grünen T-Shirts, die die beiden grinsenden Erwachsenen tragen, als sie mir am Morgen auf der Straße entgegen kommen. Sie tragen Papiere unter dem Arm, unterhalten sich angeregt. Die Sonne scheint und rollt rechts am Horizont aus dem Bild.
Beim Blick auf die leere Torstraße halten wir die Füße in das blau-orangene Planschbecken, weil der Weg in den Wald uns zu weit ist, weil man sich zwischendurch auf den großen Teppich legen und verschnaufen kann, weil man dann immer noch die wenigen Autos hört, die zu spät sind, zu spät auf dem Weg nach draußen, zu spät an der Erfrischung, zu schnell für diese Kurve. Gegenüber im Späti sitzen ein paar vergessene Gestalten und schwitzen, das Klirren ihrer Gläser klingt bis zu uns, wir prosten leise zurück und verbrennen uns die Ellbogen beim Abstützen am Fensterbrett. Ich erinnere mich an die Sommer im Bürgerpark, in denen wir ebenso apathisch herumlagen, aber uns genau deswegen tagelang wiederholten, die Hundstage, in denen alles schmilzt, alles ineiander fließt ohne Sinn und Verstand, an denen trinkt man Kaffee und Limoncello beinahe in einem Zug und wundert sich am Abend wirklich über nichts mehr.
Sie sagt, sie habe jetzt die Entscheidung getroffen, zu kündigen. Nach den vielen Jahren. Ohne eine neue Idee. Es sei jetzt an der Zeit, es sei ja wirklich lange nicht an der Zeit gewesen, eigentlich noch nie. Und sie sitzt da im Halbdunkel und blinzelt gegen unsere großen Augen an, die erwartungsvollen Blicke. „In meinem Kopf ist Fukushima“, sagt sie und ich will vor allem applaudieren. Sich loszumachen, bevor man weiß, wo es hingeht, wenn man weiß, dass man hier nicht mehr sein will, erfordert so viel Mut.
Im Schatten ist es gar nicht so wahnsinnig warm, sondern genau so warm, dass man nichts braucht, nicht mehr und nicht weniger, die Temperatur der eigenen Mitte. Sommer ist immer dann da, wenn Sonneneinstrahlung nicht mehr alles ist, um das es geht, wenn er einfach dabei ist, ohne dass man alles auf ihn auslegt. Zwei Frauen liegen neben mir am See. Ich schätze sie auf Ende Vierzig. Die eine macht gerade eine Therapie, Zucker sei nun verboten. Und dann habe sie noch diese Freundin mit den zwei Jagdhunden, mit der sie sich ein Haus angesehen hat auf dem Land, das habe sie ja unterschätzt, also diese Haussuche und auch die Hunde. Das sei ja wie mit zwei Kindern. Man müsse das vorbereiten, das Essen und den Ausflug, das habe sie anfangs nicht verstanden. Jetzt im Nachhinein wisse sie, sie hätte da achtsamer sein müssen, Bindung sei ja sowieso ihr Thema, und Geduld, sie habe sich also jetzt entschieden, der Freundin immer mal zu helfen mit ihren Hundekindern, sie gehe immer mal einkaufen für sie und erwarte keinen Dank, aber ihrer Therapeutin erzähle sie davon, irgendwo müsse man ja hin damit. Aber wenigstens sei das Leben jetzt schöner ohne Zucker, so Süchte hätten ja auch immer was mit Sehnsucht zu tun, da müsse man sich eh mal von losmachen. Die Haubentaucher klettert über den ins Wasser gefallenen Baumstamm an Land, schauen sich um, stehen ein bisschen und watscheln dann zurück hinein. Im Baumstumpf wohnt eine Maus, die in der Dämmerung größer wird. Später kommen die beiden Anfang Zwanzig. Ihre Haare sind blau, sein Kleid ist gelb, sie sprechen darüber, wie schwer es doch sei, sich dem eigenen Druck nicht hinzugeben, sofort den besten Job der Welt finden zu müssen, sie sprechen Englisch und wenn man die Augen schließt, könnte man meinen, man läge aus Versehen als Statistin in einer dieser Serien herum, von denen man nicht weiß, ob sie aus der Realität abgeschrieben sind oder ob die Realität von ihnen abschreibt, ob ihre Zuschauer wirklich so reden oder es nur tun, weil sie die Folgen so oft gesehen haben. Jedenfalls möchte man sie im ersten Moment komisch finden, aber wenn man ihnen zuhört, gönnt man es ihnen sofort, die Unbedarftheit und die großen Fragen, man schaut zwar etwas beschämt zur Seite, als sie mit den Handys in den See springen und mit den Beinen im Wasser zittern für ein Instagrambild, man möchte ihnen sagen „Ihr seid doch schon schön“, als sie über den richtigen Filter diskutieren und die Bildunterschrift, man gönnt ihnen das Grinsen zwischen den Zweifeln und vor allem das Gefühl, alles finge gerade erst an.
Die Nacht kommt langsam über die Stadt. Sie schiebt den Abend so beiseite, dass er es kaum merkt und die Blitze zucken über den schwarzen Kanten, bevor der Regen kommt. Sie spielen „Bei dir war es immer so schön“ von Hildegard Knef, als die ersten Tropfen fallen, kurz darauf rennen die Leute nur so an den großen Fenstern vorbei, halten sich Jacken und Taschen über den Kopf, das Dunkelblau ist fast fort, die Laternen leuchten in schmalen Streifen. Von nun an werden die Tage wieder kürzer, das war das Höchste an Licht.
Als wir auf der Wiese des Gleisdreieckparks liegen, kommt irgendwann der Wind und fährt so durch A. und mich hindurch, dass wir aufstehen und gehen, aber in dieser Sekunde des Aufstehens denke ich, das könnte doch dieser Moment sein, in dem sowas passiert, was eigentlich nicht passieren kann, also dass der Wind uns zum Beispiel hochhebt und wir nicht wieder selber die Beine in die Hand und die Hände um den Verstand herumlegen müssen. „Jetzt sind wir ja doch erwachsen geworden“, sagt A. und verfolgt mit dem Blick einen verirrten Junikäfer und die sich neben den Bierflaschen küssenden Teenager. I’ll keep this photo safe til my dying day.