Ich sitze zum ersten Mal in einem Women Only Café, weil das Menü auf dem Straßenaufsteller so nett klang, und ich hätte nicht übel Lust jetzt zum Mittag schon ein Glas Wein zu trinken, allein unter Frauen, mein Leben ist ja sonst eher ein Gemischtwarenladen, aber gut, einfach machen. Mir wird ein bisschen schwindelig beim Blick auf die Wand vor mir, ein psychedelisches Geäst rankt sich über die gesamte Tapete, ich muss wieder auf die weißen Tischdecken schauen, sonst werde ich nichts essen können, die Bedienung begrüßt mich sehr nett und trägt eine Schürze. Aus irgendeinem Grund sind mir Menschen mit Schürzen immer erst einmal sympathisch, vielleicht bilde ich mir das aber auch ein, ich selbst habe noch nie eine Schürze besessen, weil ich glaube, ich würde sie immer vergessen zu benutzen.
Ich bekomme eine kleine Karte und setze mich auf die mit Leder überzogene Bank, die über die gesamte Raumlänge reicht, neben mir trinken zwei ältere Damen Cocktails mit bunten Strohhalmen aus bauchigen Gläsern, es ist halb zwei. Vor mir sitzt eine grauhaarig schöne Dame, isst einen Auflauf und liest Zeitung dabei, die Fahrstuhlmusik dudelt so vor sich hin und nervt dabei ein wenig, aber in auszuhaltendem Maße und auch nur für kurze Zeit, man dudelt sich ja selbst so hinein, wenn man erst einmal drinsteckt und nicht weg kann. Draußen laufen geschäftig Touristen und Menschen herum, die sicherlich etwas mit Mode oder Kunst oder Darstellungsthemen zu tun haben, hier drinnen sitzen ganz andere Menschen und ich lehne mich zurück. Vor mir auf dem Tisch steht ein kleiner Kaktus unter einer großen Glasvase, daneben ein Teelicht zwischen Kaffeebohnen.
Ich bestelle Zucchini-Nudeln und mein Hirn denkt sofort, das seien Nudeln aus Zucchini, aber selbst das ist hier unprätentiös gelöst, denn am Ende bekomme ich Nudeln mit Zucchini oben drauf auf einem Teller, der auf einem Unterteller steht. Ich kleckere das grüne Pesto sofort auf die Tischdecke, nichts absichtlich, aber alle in diesem Raum scheinen mit kurzen Vollkornspaghetti besser zurechtzukommen als ich. Das Schöne ist: Es interessiert hier niemanden. Die Bedienungen schauen diskret auf ihre Limonadenflaschen, die anderen Damen haben einfach mit sich selbst zu tun. Das Mutter-Tochter-Gespann trinkt Latte-Macchiato, das Freundinnen-Cocktail-Duo erzählt sich aus der letzten Woche, ich schweige, schaue und horche.
„Ernst ist jetzt zum zweiten Mal eine junge Frau ins Auto gefahren und der Trottel hat wieder nicht die Polizei gerufen, jedes Mal sag ich’s ihm wieder und er kriegt es dann nicht hin, ich weiß nicht, wie die das machen, das die ihn dann so überreden, aber die zweite, die natürlich auch Schuld war, die verklagt ihn jetzt und deswegen jammert er jeden Abend und ich sage, biste selbst schuld, jetzt haste den Salat, muss er halt lernen, nich? Findet er ja auch nich gut, dass wir hier sind, aber weißte, ich koch doch jetzt nicht jeden Tag für ihn, dann müsste ich ja völlig umplanen, der ist jetzt im Ruhestand, da hat er doch genug Zeit für sich zu kochen, ich hab auch meine Dinge zu tun, ich bitte dich.“
Ich möchte beinahe gar nicht mehr weg, der Tisch wackelt und ich sollte mir vielleicht Notizen machen, stelle aber zum Wohle des Moments fest, dass ich keinen Stift, dafür aber drei Röllchen Klebeband mit mir herumtrage, also keine Notizen sondern Nudeln auf die Gabel schaufeln, die Hälfte auf dem Weg zum Mund verlieren und noch einmal von vorn. Das Essen schmeckt, wie ich in letzter Zeit manchmal versuche zu kochen. Wenig Gewürz, denn wenn man es mal aushält, dass es nicht sofort knallt im Mund, folgt nach der kurzen Verwunderung das Hinschmecken und ich will wissen, was Lebensmittel so für sich allein können, ohne ständig noch daran herum zu optimieren und allerlei Zeug drauf oder dazu zu schütten. Pure Sahne, puren Joghurt, pure Nudeln, sanftes Pesto, manchmal etwas Pfeffer, kaum Salz. Nur um es zu wissen und mich dann noch einmal zu entscheiden.
An den Wänden hängen eingerahmte Urkunden, ich schaue nicht so genau hin, in einem Hinterraum stehen Sofas mit Decken und Kissen, wieder kommt eine ältere Dame herein, bestellt sofort eine große Apfelschorle und lässt sich in einen dieser Rundledersessel fallen, in die man gar nicht so richtig fallen kann, weil sie so steif sind, das spürt sie auch und guckt ganz verwundert und sitzt dann etwas gerade auf ihrem Sessel herum, während sie in der Karte blättert. Alle sprechen relativ leise, aber ungehemmt, sie sehen einander kaum an, die Bedienungen sind zurückhaltend, wirklich sehr freundlich, etwas unsicher vielleicht, aber sehr akkurat in der Körperhaltung, keine Bewegung zu viel, die Hände immer gefaltet und wenn man sie anlächelt, schauen sie verschmitzt zur Seite, aber lächeln auch, als wären sie das nicht gewöhnt.
Die Rechnung bekommt man auf einer kleinen Untertasse mit Serviette und Kaffeebonbon. Für eine ordentliche Portion Nudeln und eine große Apfelschorle bezahle ich 5,60 Euro, mir dudelt der Kopf, die Damen neben mir bestellen noch einmal Cocktails, ich kann durch eine Durchreiche in die Küche schauen, eine ältere Frau steht dort in weißer Arbeitskleidung und lacht, redet angeregt, aber lacht wieder, ich kann sie nicht hören, aber sehen, sowieso sehe ich sie hier alle gerne an, weil der Rest draußen so anders funktioniert, weil sich dort alle so abmühen und glatt gebügelt durch die Mittagspause staksen, hier drin stakst niemand, die drei, die einzeln das Café betreten, während ich esse, seufzen alle erst einmal nach dem Hinsetzen und schnaufen aus.