Zürich V

See

Am Hafen Enge gibt es diesen Streifen aus Beton im Wasser, den man über den kleinen Steg erreichen kann, vermutlich schützt er die dort liegenden Boote vor den Wellen der größeren Schiffe. Man kann darauf sitzen und herumlaufen und wenn man also sitzt und die Beine herunter hängen lässt, dann kommen bald ein paar Enten vorbei, gestern also wirklich ein Paar, die vor den Füßen desjenigen immer wieder einen Moment auf der Stelle schwimmen und herauf schauen, manchmal quaken sogar, damit man vielleicht doch ein paar Krumen wirft. Ich habe keine Krumen sondern Kuhlbrodt und Rothmann dabei, die sich gut machen neben dem Rauschen der Fontäne weiter rechts. Und irgendwann reißt die Wolkendecke auf, die Sonne schaut erst gar nicht und dann plötzlich brennt sie einem beinahe Löcher in die Haut, völlig unvermittelt. Das Ziepen in den Zellen kann man auch genießen, wie lange schafft man’s, wie lange hält man’s aus, das ist Sommer, so fühlt sich Sommer an, meistens plötzlich und blitzschnell und dann muss man einfach sitzen bleiben, sonst hat man ihn womöglich schon wieder verpasst.

Die Stockenten haben dieses blau-weiße Band an der Seite, das bei den Erpeln sofort glänzt und sich einfügt, sie schwimmen zu dieser Zeit im Prachtkleid, der Kopf ist grün, der Schnabel hell und dann noch das leuchtende Blau. Die Stockentenweibchen sind unauffälliger, aber den blauen Flügelspiegel haben sie auch, es scheint nur, eher versteckt wie ein heimlich gestochenes Tattoo, das man erst entdecken muss. Weiter rechts sitzt ein Mann, dessen Pullover zu den Köpfen der Erpel passt, er heut auf einem Ohr Musik und winkt, sobald ich in Richtung Fontäne schaue kurz, um den Blick auszuruhen und die Sätze nachklingen zu lassen. Er winkt jedes Mal, ich sehe ihn nicht an, irgendwann setzt sich jemand zwischen uns, später geht er und winkt vom Ende des Stegs noch einmal, ich sehe ihn aus dem Augenwinkel und schaue dann wieder auf die Fontäne, auf die gerade zwei in Badehose klettern und lachen, so laut lachen, wie man es nur kann, wenn man wirklich lachen muss, ohne Kontrolle und aus dem Bauch heraus, ich denke die ganze Zeit, gleich haut’s ihn weg, den einen. Aber keinen haut’s weg, sie sitzen auf dem Rand und hinter ihnen schießt das Wasser in die Höhe.

Kuhlbrodt schreibt von dem Kreuzberg, in dem ich jetzt wohne, aus einer Zeit, in der ich noch am anderen Ende der Stadt lebte, und ich versuche mich zu erinnern, wie diese Jahre waren, 2007, 2008, wo ich meine Tage verbrachte, wen ich gesehen hab. Jetzt beginnt das Alter, in dem man sortieren muss und nicht sofort sagen kann, dieses und jenes passierte dann und dann, das Leben häuft und stapelt sich vor allem nach seiner eigenen Façon, aber so muss es ja auch. Mich gruseln Menschen ja dann doch, die immer alles so ganz genau wissen, die alles ablegen und vermerkt haben. Sowieso ‚vermerkt‘, das Wort allein ist schon so ein Grund sich kurz zu schütteln, als habe man sich beim eigentlichen Erinnern vertan. Am Abend soll es Regen geben, aber der kommt nicht. Stattdessen die goldenen Laternen vor dem Dunkelblau der Stadt. In der Berthastraße fragt mich jemand nach dem Weg. Somehow, anyhow.