„Wann ist das alles nur passiert?“

Unter den Linden

Nach dem Theater laufe ich mit dieser riesigen Brezel in der Tasche nach Hause, diesem wuchtigen Gebäckstück, dessen Kauf man unmittelbar nach Bezahlung bereut, mir fiel auch auf, dass der Verkäufer nicht die oberste, sondern die dritte Brezel von oben nahm und sie mir reichte, sofort fragte sich mein Käuferkopf, warum denn das, kalt sei es doch schließlich von allen Seiten hier draußen, denn der Verkäufer stand ja vor dem Theater und nicht darin, dann dachte ich mir, habe es vielleicht auf die obersten zwei Brezeln schon drauf geregnet oder drauf gespuckt, das sei ja sehr nett, dass er die untere nähme, erst dachte ich das und dann bedankte ich mich mit leichter Verzögerung, denn auch Denken kostet Zeit, was ihn wiederum so überraschte, also mein Dank und nicht das Denken, vermute ich, dass er mir beinahe freudig erregt, in jedem Falle ein bisschen laut, sodass sich die Umstehenden umdrehten, einen schönen Abend wünschte, ich ihm dann auch, und in Gedanken dachte ich noch einmal dazu, dass es ja wirklich kalt sei von allen Seiten hier draußen, ihm und den Brezeln sicherlich auch. Ich habe jedenfalls die Brezel nicht gegessen, sondern so ein kleines Baguette, denn das lag neben den anderen so nett in der Auslage der Theaterbewirtschaftung, auf einem silbernen Tablett, beim Essen war nach jedem Bissen so ein bisschen Lippenstift auf dem Baguette zu sehen. Kussecht, jaja. Das Baguette war jedenfalls gut, den Sekt musste ich stürzen, denn ich war so sehr mit Essen beschäftigt und dachte nebenbei kurz wirklich unangenehm berührt an die riesige, einmal angebissene Brezel, die schon jetzt in meiner Tasche vorwurfsvoll vor sich hin trocknete, jedenfalls stürzte ich den Sekt und schaute nebenbei noch die Gesellschaft an, die sich in Theatereingangsbereichen so aufhält, wenn eine Veranstaltung ansteht, das interessiert mich schon immer, wer da so hingeht, im Theater seltsamerweise viel mehr als im Kino, ich will dann immer herausbekommen, wer zum Establishment gehört, wem das Establishment egal ist, wer sich hierhin verirrt hat und wer so ist wie ich. Komisch, dass mich das nur im Theater interessiert. Ich habe also nur das Baguette gegessen, dass da so friedlich neben den Bouletten lag, für die extra Gabeln aufrecht stehend in einem Glas aufbewahrt wurden, über dem bei jeder Bestellung bedrohlich das Handgelenk der Bedienung schwankte, und beim Nachhauseweg durch die polierte Tristesse von Berlin Mitte denke ich an das Handgelenk und ob sie sich schon mal aus Versehen aufgespießt hat, die Bedienung, und frage mich bei jedem zweiten Haus, ob darin wirklich Menschen wohnen oder doch nur Ferienwohnungsschonbezüge. An der Unibibliothek vorbei, aus der auch kurz nach zehn immer noch Menschen kommen, wie so ein leuchtender Klops liegt sie da neben dem Harald-Glöckler-Geschäft. In der U-Bahn Richtung Kreuzberg läuft Flüssigkeit durch den Waggon, einmal von vorne bis nach ganz hinten durch und keiner weiß, wo sie herkommt, aber alle schauen interessiert, halb angeekelt, halb stolz, weil sie nicht reingetreten sind. Und derjenige, der die Idee hatte mit dieser verschiedenfarbigen Fernsehturmbeleuchtung, denke ich, der hätte lieber etwas anderes tun sollen, man muss ja nicht alles ernstnehmen, was einem so einfällt. Von der Decke im Theater fielen Federn auf Berg und Ulmen, aber keine einzige verfing sich in einer Frisur, das habe ich mir gemerkt. Nachts um halb elf ist der Februarwind in Kreuzberg genau so, wie man ihn sich vorstellt. Der Sichelmond auch. Brainy brainy brainy.