Temporäres
Wir betraten den Laden in Mitte, vor dessen Tür Teppich verlegt und knödelige Absperrseile aufgehängt wurden, um Eindruck zu schinden dort, wo eigentlich jeder einen eigenen Teppich vor sich herträgt und an jeder Ampel ausrollt, um ihn bei Gelb wieder umständlich zusammenzufalten. Wir betraten den Laden, der einen eigenen Sicherheitsmann auf dem Teppich vor der Tür stehen hatte, denn wir leben in Tagen, da braucht ein Laden mit französischem Namen einen Sicherheitsmann oder zumindest das Gefühl, es gäbe einen. Vielleicht war auch der Sicherheitsmann ähnlich wie der ältere Herr in Schürze nur ein gecasteter Schauspieler. Der ältere Herr mit gräulichem Haar kam sofort hinter der Theke hervor gehuscht, glättete sich mit den braun gebrannten Händen erst die Schürze und dann erklärte er das Konzept des Ladens, der eigentlich kein Laden war, sondern eine Kampagne. Ein Modell, in der Agentur hatte man diesen Laden wohl eine Idee genannt und dann wortwörtlich umgesetzt. Es ist jedoch nicht so einfach einen Gedanken umzutopfen und manchmal braucht man mehr dafür als einen Kachelboden aus PVC, mehr als holzvertäfelte Wände und Menschen mit Schürzen und Trockenblumen in Flaschenvasen und mehr als grob geschnittenes Brot, das die Biokette hergestellt hat, und mehr als Marmelade mit Schnaps darin, um den es in der sogenannten Idee eigentlich gehen sollte.
Wir standen also verloren in dem Laden, der eigentlich kein Laden war, wir hatten doch eine Bäckerei erwartet und irgendetwas anderes, draußen wehten dem Sicherheitsmann die Haare ins Gesicht, (der Sturm heißt „Heini“, habe ich gelesen) und man reichte uns kleine, bedruckte Tüten mit zwei Baguettestücken und einem Gläschen Marmelade darin, Kaffee gab es nicht, aber die Marmelade hätte man in Gläsern einer Größe kaufen können, dass sie für drei Jahre genügt. Wasser gab es in wohlgeformten Gläsern neben den Trockenblumen, neben der in der Agentur sicherlich als Vintagekasse bezeichneten Bezahlapparatur, die aber keinen Job hatte und vermutlich auch nicht mehr funktioniert. Und wir standen also darin und betrachteten die Stühle und Tische, an die sich niemand setzen wollte, weil man sich ja nicht in eine Idee setzt, in einen Laden vielleicht, aber nicht in den Plastikblumentopf einer Idee, und wir lächelten verlegen und wollten das Baguette natürlich dennoch probieren und flüsterten gerade, als ein Mann den Laden betrat, ebenfalls älter, mit schnellem Schritt und etwas außer Atem: „Oh“, sagt er, „oh!“
Und der gecastete Herr setzte wieder zu seinem Vortrag an, der keine Varianten, sondern nur einen einzigen vorgegebenen Ablauf hatte, aber er kam gar nicht dazu, ihn vorzutragen (zu sagen, er würde ihn abspulen, wäre gemein), denn der eingetretene Mann, ich vermute, er wohnte in der Gegend, fing sofort an zu fragen: „Das bleibt doch hier, oder? Was kann ich kaufen? Das ist gutes Brot, das Getreide kenne ich! Wie lange haben Sie geöffnet? Oh wie schön, oh wie schön, sowas brauchen wir“ und er betrachtete die Wände mit großen Augen und die Wandmalerei mit dem Markennamen des Schnapses auch und er wusste gar nichts damit anzufangen, er war einfach davon ausgegangen, das hier sei ein neuer, ganz normaler Laden, er wusste nichts von der Idee irgendeiner Agentur, nichts von Viralität oder Pop-Up-Store-Konzepten, er hatte einfach keine Ahnung, ihm gefiel die neue Farbe des Erdgeschosses, ihm gefiel der zumindest gekachelt wirkende Boden, er wollte sprechen, also sprach er: „Ich komme nächste Woche wieder!“, und als der gecastete Herr mit seiner Schürze und seinen Artikulationshänden antwortete „Das geht aber nicht, wir sind nur bis Freitag hier, das ist ein-“, da verstand er ihn nicht, da wusste er einfach nicht, was das soll und sagte noch einmal: „Ich komme nächste Woche wieder, das ist doch prima, dass sie da sind!“, er wollte nichts wissen von nur vier Tagen Öffnungszeit, wie soll man auch eine Idee von einem Wunsch unterscheiden, wie soll man all die Risse auch sehen?