Mähen
Ich bin euphorisch, als ich mich aus dem Auto pelle, beinahe hinfalle, weil ich zwei Stunden zwischen Kisten und Pflanzen und Zeug saß. Ich steige aus, die Seeluft schlägt mir entgegen (gibt es eine Verniedlichungsform von schlagen? Sie schlägt mich nicht brutal, es sind eher viele sehr kleine Fäuste, vielleicht Pfoten, mit denen sie an mein Gesicht klopft). Ich bin fünf Monate nicht hier gewesen. Der Ginster sieht aus, als wäre er in einer Flugrolle aufgehalten worden und jetzt hängt er da, einzelne Äste bereits verblüht, abgestorben, aber das Restgelb sticht dann doch alles. Die Hecke franst sich an den äußeren Rändern in die Wildblumen, die Rose macht ihr Ding in alle Richtungen, doch der Pfirsichbaum ist relativ kahl und auch der große Apfelbaum, den wir im Herbst eigentlich immer abernten und der sonst all seine Blüten und Früchte dem kleinen Parkplatz entgegen streckt, hält sich zurück. Ich schlage den Riegel am Gartentor zurück, Erinnerungsgewitter und Gerüche. Ein paar Meter weiter weht mir das Gras um die Knie.
Angekommen ist man, wenn man die erste Bachstelze gesichtet hat. Das geht schnell. Dann ausräumen, einräumen, sich Platz verschaffen, ich wundere mich immer noch über die Schichten und Lagen, die Opa in diesem eigentlich winzigen Häuschen hinterlassen hat, wie viel Zeug man eigentlich anhäufen kann. Er ist diese Generation, die kaputte Geräte nicht verschrottet, sondern aufgehoben hat, vielleicht als Beweis, vielleicht mit der Hoffnung einzelne Teile wiederverwerten zu können. Er hat nie irgendeines von den komplexeren Geräten aufgeschraubt, vermutlich ging es nicht darum. Am Ende konnte er immer sagen, er hat vier kleine Backöfen gehabt, fünf Wasserkocher, Teppiche, sehr viele Kabel, Glühbirnen, Behältnisse. Es ist immer noch so viel und man weiß nicht, wohin mit sich und dem Kram, ich muss immer sofort niesen, wenn ich eintrete, der Staub versteckt sich überall, aber wenigstens riecht es nicht mehr danach, nach den Jahren. Wir montieren ein Fliegengitter, um auch abends noch lüften zu können. Man kann hier so viel abwischen immer und immer wieder. Das Dach macht uns Sorgen.
Der See ist so kalt, dass es einem alles blitzdingst. Ich schaffe es beim ersten Mal nur ein paar Sekunden bis zum Knie, aber selbst das ist gut. Sobald ich hier bin, vergesse ich die Stadt und das geregelte Leben, ich lege mich in die Vorstellung davon, dass es wirklich nicht so viel anderes gibt als Heckenscheren und Saatgut und Dinge, die von A nach B gelegt werden müssen. Auch hier habe ich Listen im Kopf, aber die kommen und gehen und basteln sich alle zehn Minuten neu. Bei den meisten von den Dingen ist es nicht schlimm, wenn man sie nicht tut, alles nur Optionen. Die kleine Heckenschere hängt mir permanent in der Gürtelschlaufe. Am Ende werde ich vier Stunden im Beet gekniet und gesessen und Drübergewachsenes ausgerupft haben, das Telefon ist eingestaubt, aber es ist egal, man denkt eben an nichts, also wirklich an nichts und vermutlich ist das die Meditation, die bei mir in Berlin nie funktioniert. Hier machen meine Hände Kleinkram, meine Augen verfolgen das Geschehen und der Rest existiert einfach so vor sich hin, bis es Zeit ist, einen Kaffee aufzusetzen. Ich bin verschwitzt und verstaubt und springe am Ende doch in den See. Am Abend starrt man weiter so vor sich hin, erst in das Feuer und dann in die Glut, auf dem Kompost wächst ein Salat.
Die stillen Morgen hier sind mir die liebsten. Wenn die Vögel plärren, aber sonst noch nichts, wenn ich in der Sonne sitzen, Kaffee trinken lesen kann. Der Mohn wankt, man wirft hier und da einen Blick in den Himmel, auch so eine überflüssige Sache, weil das Wetter hier unberechenbar ist und ich das Buch über die Wolkenformationen eh noch nicht gelesen habe, es steht seit Jahren im Schrank. Letztes Jahr landete an so einem Morgen eine Meise auf meinem Knie, soweit sind wir dieses Jahr noch nicht. Die Luft über dem See aber flirrt, die Schnecken suchen sich einen Platz für den Tag, die Kirschen werden langsam rot.
“They walk quickly along the street, side by side. They don’t touch. They rarely kiss. Their bodies have nothing to say to each other. They have never felt any attraction or even tenderness for each other, and in a way this absence of carnal complicity is reassuring. As if it proves that their union is above all bodily contingencies. As if they have already mourned the loss of something that other couples part with reluctantly, amid tears and rows.” (Leïla Slimani, Adèle)