Zürich IV

Limmat

So sehr wie nie die Zeiten genießen, in denen nicht geredet werden muss. Zürich dabei als Ort, an dem es mir mit am leichtesten fällt, weil der Tag nur mir gehört und es keinen Plan gibt und keine Liste, nur ein Bauchgefühl und wohin die Füße tragen (wollen). Und die Abende sind gefüllt mit Menschen, mit denen man nicht reden muss, aber kann, mit denen auch Stille wie ein gutes Gespräch ist und beides nahtlos ineinander übergeht. Wenn man aus Jahren kommt, in denen man den Tag mit Kommunikation verbracht hat, schriftlich und gesprochen und beinahe auch getanzt, musst man erst wieder lernen, tagelang die Klappe zu halten, lernen das eigene Bedürfnis zu erkennen und milde mit ihm zu sein, den Lärm aussperren, um den eigenen Körper wieder hören zu können, nicht nur das Ticken des Kopfes sondern zum Beispiel, wann Hunger wirklich Hunger ist und wann Durst beginnt und wie weit man noch kann und wie weit man noch will und schlafen, einfach wenn man müde ist und wach sein, wenn man wach ist, alles ohne Zwang und endlich einmal umgedreht, nicht nur Veräußerung sondern vor allem Verinnerlichung.

Und dabei hilft, dass man hier die Gespräche nur versteht, wenn man sie verstehen will, dass es leichter fällt als daheim, abzuschalten, Stimmen nur noch als Rauschen wahrzunehmen, und trotzdem offen zu sein für jedes charmante Wort, das manchmal herausfällt. Nuancen sind hier etwas Gutes und nicht schwer. Wie der Dunst, der gestern zum ersten Mal seit den Besuchen hier über den Bergen hing. In der Sihlfeldstraße plötzlich die hohen Gewächse neben der klassischen Baumbepflanzung bemerken, die hat der Maggi gesät, Borretsch erkenne ich, den habe ich nachgeschlagen, Wegwarte auch, die sehen ja fast aus wie Kornblumen, meine liebsten als Kind. Wenn man weiß, was Sauerampfer ist, sieht man ihn auch plötzlich überall, an den langen Holztischen mit den roten Beinen sitzt am Nachmittag noch niemand, prachtvolle Stengel blühen jetzt in Lila und Pink und Beige mit roten Rändern, beinahe größer als wir. Früher verlief hier die Autobahn. Jetzt springen Kinder in den Brunnen am Bullingerplatz, vor der Apotheke steht ein Minikicker mit einem Schild. Den Ball zum Spielen könne man sich im Laden abholen. Sie haben einen Schirm aufgestellt gegen die Sonne.

Dann die zwei in dem Boot, Weidling genannt (auch das schlage ich nach später), wie sie sich flußaufwärts kämpfen, die Knie in Schoner gepackt stemmen sie sich zu zweit gegen den Steckling, der aussieht wie eine Holzgabel und mit dem sie das Boot schieben und lenken. Zwei grauhaarige Männer, vier Arme, die Strömung. Das Wasser ist flach, man sieht bis auf den Grund, mit den Bojen haben sie eine Strecke abgesteckt, es kommt nicht so richtig in flüssige Bewegung, was sie da tun, sie kämpfen und mühen sich und lachen, die Kurven müssen sie noch üben. Immer wieder bleiben Menschen am Ufer stehen und schauen ihnen zu, die Hand an der Stirn gegen die Sonne oder auch nur das Licht, wenn man schaut, steht man gerne so, dann sehen auch die anderen, dass man schaut und vielleicht nicht gestört werden will dabei. Überall fliegende Käfer.