Faro IV
Am Morgen vor dem Öffnen der Augen die Rollkoffergeräusche vor dem Fenster hören und nicht wissen, wo man ist. Aber die Wärme spüren und dann erst Sekunde für Sekunde kriecht das Wissen um den eigenen Aufenthaltsort zurück in sein Haus. Später auch das Gefühl für Zeit verlieren, es zählt nur müde sein und wach sein und worauf man Lust hat. Auf dem Boot dann die Hand in den Fahrtwind halten und denken, das mit dem Fühlen ist manchmal so ähnlich, das hinein Fassen und wie es einem entwischt, Gefühle zerzausen einem auch die Frisur. Nur an diesen bestimmten Sonntagen, da hat man manchmal Glück und einen Zipfel vom Laken, und wenn man dann in die richtige Richtung steht, bekommt man eine ungefähre Ahnung davon, welches Volumen so ein Herz doch hat, man kann’s dann sogar (be)greifen für einen Moment.
Pastéis de Nata sind ausverkauft, Sonntag ist Tag der Einheimischen, heute machen sie Pause, sie sitzen und reden weniger laut, als man erwarten würde, aber sie bestellen viele Tassen Kaffee und schauen und verschränken die Hände über dem Bauch. Ich entdecke ein neues Muttermal an meiner Wade. Entstehen die irgendwann? Habe ich es vergessen? War der Winter so lang? Ich lege meine Hand darauf und versuche mir vorzustellen, es sei gar nicht da. Und schon geht das nicht mehr. N. sagt, es gibt von jedem Menschen zwei auf der Welt. Planets calling for each other.
Oma sitzt auf dem Handtuch und soll mit dem iPhone ihre Enkelin fotografieren. Stehend, im Sand liegend, im Wasser stehend, in den Wellen liegend. Die junge Frau öffnet das Programm und gibt das Handy dann ihrer Großmutter, das Telefon steckt in so einer Klapphülle, weiß mit Strass verziert. Oma hält es mit zwei Fingern, mit dem Zeigefinger der rechten Hand drückt sie auf den Auslöser. Dabei schaut sie jedes Mal sehr angestrengt, die Enkelin hingegen grinst, sie grinst solange, bis Oma den Button gefunden hat, das dauert manchmal und die Miene der jungen Frau verzieht sich nicht, sie grinst und steht und das einzige, was sich bewegt, sind ihre Haare im Wind oder das Wasser. Nach dem Auslösergeräusch löst sich ihr Gesicht und sie überprüft sofort das Bild. Jetzt lächelt Oma, aber nicht nur mit dem Mund.
Auf den Fliesen der Snackbar hüpfen bunte Delfine über gestreifte Wellen. Gezeiten sind etwas Gutes. Man liegt so herum und schläft und plötzlich, wenn man sich aufrappelt nach einigen Stunden, ist das Wasser viel näher gerückt, und genau das ist es ja eigentlich, was man sich manchmal nach dem Aufwachen wünscht, in der Stadt, meine ich, also dass das Meer direkt neben dem eigenen Kissen beginnt. In der Halbzeitpause zwischen den Spielen läuft jedes Mal Shakira. Keine Schwalben heute, dafür ein kreisender Storch. Eine ältere Dame springt beim Tor von Holland so von ihrem Platz, als wolle sie fliegen.