Pankow

Bäume

Ich schätze sie auf Mitte 30, sie sieht aus, wie sich Miranda July immer in ihren Filmen inszeniert. Mit diesen kinnlangen Locken und einem Pony dazu, der sich auch lockt, aber nicht so sehr wie die anderen Haare. Sie trägt diese bunten, kurzärmeligen Blusen in Knallfarben mit Motiven drauf, sie kauft immer Milch, wenn ich sie sehe, im Kiezmarkt kauft sie die. So heißt das Ding an der Ecke, da steht es in Orange-Gelb drüber, also Kiezmarkt. Ich fahre immer daran vorbei, wenn er gerade zumacht oder schon zu hat und sie kommt auch immer kurz vor Ladenschluss herausgehetzt, sie läuft selten in Ruhe sondern immer etwas nervös. So viele Milchkartons würden mich auch nervös machen, meistens sucht sie parallel auch noch irgendwas in ihrer Tasche, sodass sie umständlich die Kartons neben ihren Füßen abstellen und in der Tasche wühlen muss, sie trägt Umhängetaschen, meistens A4-formatig. Man möchte ihr immer irgendetwas abnehmen, aber irgendwie vermute ich, dass das nichts helfen würde, mit den Milchkartons und der Tasche kommt sie schon zurecht und das andere kann ich nicht sehen.

Der Hörgeräteakustiker sitzt immer vor der Tür seines Ladens und raucht, genauer gesagt sitzt er auf der Treppe. Beim ersten Mal dachte ich, er sei nur ein Jogger, der sich ausruht, in seinen schwarzen Shorts und mit den bunten Socken in den Turnschuhen, aber so geht er zur Arbeit, er ist immer bereit loszurennen. Ich habe noch nie jemanden im Laden gesehen, aber er sitzt immer dort und raucht und schaut die an der Bushaltestelle sitzenden Rentner von hinten an.

Auf dem Spielplatz sitzen Kinder, die nicht spielen sondern meistens einfach nur sitzen. Sie sitzen auf den Baumstümpfen, auf dem Dach des Spielplatzhäuschens, im Spielplatzhäuschen, auf der Rutsche, unter der Rutsche, neben der Rutsche. Sie brüllen einander Sachen zu, aber bewegen sich selten. Wer in den Penny Markt geht oder gerade herauskommt, kann sie sehen. „Hast du mich lieb?“ fragt das eine Mädchen das andere, als ich mein Fahrrad gerade abstelle. Eine Stimme aus dem Busch sagt: „Ich hab dich nicht lieb.“ Das andere Mädchen: „Aber du hast doch gesagt, du hast mich lieb.“ – „Nee, ich hab gesagt, ich BIN lieb“ sagt der Busch.

Die Frau mit dem Gebrauchtwarenhandel lässt jeden Tag etwas fallen, häufig liegen Scherben vor dem Geschäft, wenn sie die Auslagen vom Bürgersteig schon wieder herein geräumt hat, vielleicht ist es auch gar nicht sie, die das Geschirr fallenlässt, sondern es stoßen Passanten dagegen. Es ist aber so, dass die Zuckerdosen immer an derselben Stelle stehen, die Teller auch, die alten Wasserkocher, alles kommt jeden Tag dorthin, wo es auch am anderen Tag stand, manchmal kommt etwas dazu, das wird dann dazwischen gelegt oder darauf. Ich habe noch nie jemanden etwas kaufen sehen, nur die Scherben, so macht man auch Platz.

Die Croissant hier sehen aus wie Brötchen, denen ernsthaft etwas zugestoßen ist, sie schmecken auch ähnlich, es gibt keine Teigschichten sondern eher eine Masse, von der man vermuten könnte, sie wäre einmal gallertartig gewesen. Die Croissants hier sind vermutlich verunglückte Brötchen, irgendetwas passiert mit ihnen, was sonst oder woanders nicht passiert, man kann es nicht genau sagen, aber sie provozieren spürbar Mitleid. Das fühle ich auch bei den Blumentöpfen, denen irgendjemand Gesichter aufgemalt hat, der das nicht kann, der auch keine Freude an dieser Tätigkeit hatte, sie schauen jedes Mal, als wollten sie einfach bitte und zum Teufel noch einmal überhaupt nicht existieren, als wären sie ernsthaft sauer auf denjenigen, der da einen Kaktus und vertrocknete Orchideen in sie hineingesetzt hat, als wüssten sie gar nicht, wie es überhaupt dazu hat kommen können.

Und im Hof fallen erst die Birnen vom Baum, später dann Pflaumen.