Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Tag: Angus & Julia Stone

Die neunundvierzigste Woche Jahr #4

Sky Sky

Die Stadt atmet ein und aus, deswegen hängt der Dunst über ihr, als kumuliere sich in dieser Wolke auch der Atem aller, die am Sonntag herumgehen und denken “ Bald. Bald Weihnachten. Bald Silvester. Bald Bonus. Bald ein Abkommen. Bald Erlösung. Bald liegen. Bald neue Vorsätze. Bald Gehaltserhöhung. Bald wird’s schlimmer. Bald wieder Licht. Bald ein neuer Bundespräsident in Österreich. Bald Ravioli. Bald Urlaub. Bald ein Kilo weniger. Bald Schnauze halten. Bald eine Katastrophe in Italien. Bald nicht mehr denken. Bald dran glauben. Bald atmen. Bald drei Minuten für mich. Bald nicht mehr hier lang müssen. Bald duschen. Bald essen. Bald vielleicht Bescheid wissen. Bald was anderes“. Jemand hat das Geländer unter der erneut grau angestrichen, das in ein paar Tagen wieder weiß gesprenkelt sein wird wegen der Tauben. Man kann der Spree bis auf den Grund schauen gerade, weil sie steht und friert, die schwimmende rosa Plastiktüte kann da auch nichts machen. Ich weiß noch, als der Schwan eines Sommers mit über die Ampel ging. Bei Rot erst mit den Wartenden stand, und alle, die noch nicht gehen durften, sind völlig ausgeflippt, aber haben sich zusammengerissen, um den Schwan nicht zu erschrecken. Jedenfalls stand er da bei der Bibliothek an der Ampel, als wäre er einer von ihnen und dann ging er bei Grün mit ihnen hinüber und als er sich zur U-Bahn aufmachte, haben es die Menschen nicht mehr ausgehalten und sich ihm in den Weg gestellt, damit er die kleine Treppe zum Wasser hinunter watschelt oder fliegt oder was weiß ich, aber der U-Bahn-Tunnel war nun wirklich zu viel des Guten. Der Schwan schien erst ein bisschen irritiert und versuchte an den Menschen vorbei zu gehen, so sehr ein Schwan gehen kann, er watschelte so rum und sprang dann von der Brücke, flog ein Stück, etwas ungelenk und landete dann im Wasser und die Menschen oben haben applaudiert. Mehr sich selbst als dem Tier. So ist das ja meistens. Jetzt liegen vollgereifte Blätterhaufen im Rinnstein, die Menschen reiben sich in der U-Bahn die Hände warm. In der Nacht gab es überfrierende Nässe, die nun schimmert, als habe sich jemand auf der Kreuzung vertan. Dann läuten die Glocken, das Licht rutscht beiseite, die Kinder wollen nochmal aufs Trampolin, jemand seufzt und geht mit, muss ja einer mit immer. Die Bahn verschwindet zwischen den Häusern. Eine Straße weiter steht ein Mann in einem Gyros-Menü-Kostüm und verteilt Zettel. Als wir wieder aus dem Haus kommen, steht ein anderer dort. Auch im Kostüm. Sie frieren, man sieht ihnen das an, sogar den Zetteln sieht man das an. Er denkt auch: Bald. Und: Vielleicht.

It isn’t the same, don’t give it a name.

My word for it.

Home

Und dann machst du an diesem Montag das neue Angus & Julia Stone Album an und musst es fast, aber nur fast wieder ausmachen, weil es dir beinahe, aber nur beinahe die eh zur Zeit im Bauch sitzende Sprache verschlägt, nicht einmal die Töne an sich sondern wie alles zusammen kommt und passt, also diese Lieder zu diesem Sommer, in meinem Ohr klingen sie, als würden sie versuchen, etwas abzuschütteln, einen Fuß vom Boden zu bekommen (und nicht drauf, so wie die meisten, es geht ja immer um Bodenhaftung, aber manchmal, das muss ich euch sagen, da geht es vor allem darum, hoch zu kommen, mit der Wange vom Boden hoch und mit der Hüfte vom Boden hoch und mit dem Fußrücken vom Boden hoch, weil sich das Parkett sonst eindrückt, also jahrelang und wenn man gar kein Tattoo haben will, also wenn man seine Haut, wie sie ist, eigentlich gerne mag, dann ist das nichts Gutes, dort über Monate zu liegen, und dann hängt das eigene Überleben davon ab, nicht mehr liegen zu bleiben, den Rücken rund zu machen, damit der Stein hinunter rollt und zwar über die Seite und nicht in die Kniekehle, denn die Kniekehle hat eh schon genug mitgemacht, der reicht es langsam, die gilt es zu schonen, ist auch mal gut jetzt, deswegen über die Seite und dann hoch, irgendwie aufstehen, das ist die Rettung, nicht irgendeine sondern deine, jeder darf heulen dabei, jederzeit).

Und dann stehst du zur blauen Stunde am offenen Fenster, das man heute zum ersten Mal seit Tagen wirklich wieder öffnen kann, weil es kühler und nicht noch wärmer wird dadurch im Zimmer, und es läuft ‚Wherever you are‘ und du legst dir selbst die eine Hand auf die andere, weil es sein muss, dass man sich hält, meine ich, das darf nichts Fremdes sein, man darf sich nichts Fremdes sein, jedenfalls nicht zu lange, jedenfalls nicht zu oft.

Hauptsache etwas spüren, anti-cool sein, anti-abgefucked, also nicht tot. Sich jeden Tag für Leben entscheiden. Nicht genug Angst haben, um damit aufzuhören; viel zu viel Angst haben, damit aufzuhören.