Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

„Everything I love is on the table.“

The National

Er ist grau geworden, er trägt nur Schwarz. Er hat die Flasche Weißwein in der Hand, das Glas dazu, ein paar Texte auf Papier, es ist das neue Album, ich weiß nicht genau, wie tief es schon steckt, irgendwann später wird er den Textständer umwerfen und aus dem Hintergrund der Bühne wird panisch ein kleiner Mann hervor gesprungen kommen und ihn wieder hinstellen, den Ständer, nicht Matt Berninger, der steht heute, vielleicht friert er auch und dann schlägt der Alkohol nicht so vor die Stirn, aber er steht und singt und es ist so, dass ich für The National Alben sonst länger brauche, eine Atempause und Ruhe, das passiert mir sonst nicht mit Musik, aber dafür nehme ich mir Zeit, einen Raum, eine Straße, jedes Mal, ich weiß noch, wo ich die letzten beiden Alben zum ersten Mal gehört habe, wie es mir ging, was passierte und dass ich nie sofort vom Hocker gefallen bin.

„When you lose me I’m dead“, singt Berninger und ich muss an Manfred Krug und sein „Das wird so schlimm für mich, wenn du mich mal verlierst“ denken. Obwohl wir draußen stehen, bekomme ich keine kalten Füße, ich trage Schichten, den wärmsten Mantel, den ich habe, und das Gefühl im Bauch, dass das wieder so eine Platte wird. Eine, die sich reinfrisst und die eine Weile braucht, bis sie von den oberen Hautschichten nach dort gelangt, wo es weh tut. Eine, die man anfangs unterschätzt, um sich später zu wundern darüber, dass man nicht direkt in der ersten Sekunde vor Hingabe einfach explodiert ist.

Der Titel des Albums bringt es auf den Punkt: Trouble will find me. Man steht da nicht und das Ding setzt sich hin und sagt ordentlich guten Tag. Oder haut dir direkt eins in die Fresse. Das wird wieder eines dieser Alben, die sich ihre Menschen suchen, die kommen, wenn du sie nicht erwartest und die immer noch da sind, wenn du sie wirklich einmal brauchst. The National machen Soundtracks. Solche, die man während des Films nicht bemerkt, aber die trotzdem Gänsehaut machen, und an die man sich erinnert, wenn man dann auf die Straße tritt und die Nacht sich einem auf den Kragen setzt. Solche, die neben einem herlaufen bis nach Hause. Die man nicht fragen muss, ob sie noch mit hochkommen. Die bleiben, ohne etwas zu versuchen, was eh nicht passieren kann, wenn es jemand versucht, sondern die sich in die Ecke setzen und dir zusehen und sich ohne einen Aufstand, ohne Drama in deinen Alltag bauen, als gäbe es keine Alternative, als sei’s das Einfachste der Welt. Die dann da sind, als wären sie nie weg gewesen.

Immer die anderen 5 Prozent.

Clouds

Im Asphalt ist nichts eruptives, er verändert sich nur durch Verkleinerung oder Verschiebung, aber aus ihm heraus kommt nichts, wenn nicht Sonne knallt und das Wetter ihn anbrüllt, er liegt herum und wartet darauf, dass andere ihn auseinandernehmen und zersetzen. Er trägt, auch wenn er eigentlich nicht mehr kann, er brüllt nicht, selbst wenn es mehr Löcher als Rücken gibt, seine Trägheit wird er nicht los, da komme, welcher Huf wolle, von innen heraus passiert da nichts, im Winter nimmt er an Elastizität zu, es bleibt ihm nichts anderes übrig, aber das ist auch eigentlich mehr eine Verformung als eine wirkliche Veränderung, das Mischungsverhältnis der Gesteinskörnung bestimmt, was er aushält. Er schafft nur, was man vorher in ihn hinein tut, nicht mehr und nicht weniger. 95% der Wege in Deutschland sind so, nicht mehr und nicht weniger, da kommt von innen nichts heraus, da schlägt kein Herz, da wartet der Tragende auf den äußeren Einschlag und wenn der nicht kommt, sind es nur die Jahreszeiten, die ihm zu schaffen machen, gegen seine Grundaufgabe begehrt er nicht auf. Die Verwendung passiert bedenkenlos, den Asphalt hinterfragt niemand mehr, er sich selbst am wenigsten, er liegt da eben und macht, wie ihm geheißen, wie jemand anders vorher bestimmt hat, was sollte er auch sonst tun, seine Körnung hat er nicht im Griff, ja mei.

Lesen & lesen lassen

Buch im Bett

Es wird aus „Bist du noch wach?“ gelesen – und zwar morgen im Rahmen der Leipziger Buchmesse in der Moritzbastei. Um 22 Uhr geht’s los – mit mir lesen Fabian Oppolzer & Alexandra Kuitkowski.

Am Freitag bin ich Köln beim 1LIVE Klubbing mit Mike Litt zu Gast – ich beantworte die Fragen vom werten Herren und lese auch die eine oder andere Stelle aus dem Buch vor. Hinkommen oder ab 23 Uhr einschalten, der Spaß ist live und ich bekomme Sekt, hab ich gehört.

Und weil ja mehr bekanntlich doch auch wirklich mal mehr ist, verlose ich 3 Exemplare von „Bist du noch wach?“ unter allen, die bis Sonntagabend 22 Uhr in den Kommentaren unter diesem Blogbeitrag etwas zum Thema Schlafen erzählen.

(Ich liebe schlafen, schlafen ist schön.)

To be notably absent.

Birds

Morgens in der Bahn, auf der neuen Strecke mit den neuen Gesichtern, dort, wo ich meistens beinahe verpasse, auszusteigen, wo ich mich in die Tür stemme, um noch aus dem Waggon zu kommen, dort wo ich mich erst einmal an die neue Anzahl Stufen, an die anderen Kurven und das von vorne kommende Licht gewöhnen muss, dort ist es so, dass es mir auffällt. Dass du von alldem nichts weißt, dem neuen Leben nicht, den neuen Strecken nicht und wie ich mich mache darin, du hast ja keine Ahnung. Wenn alles ist, wie es sich andere wünschen, um weitermachen zu können, wenn es kein Drama gibt und keine Eruption, wenn die Dinge laufen, wie sie laufen sollen und nicht an Kanten stoßen oder Klinken hängen bleiben, dann sehe ich, dass du nicht da bist. Wie sich deine Körperform ins Gras drückt, ohne ein Gewicht, ohne Temperatur.

Wenn mich niemand an dich erinnert, wenn niemand aussieht wie du, wenn alle reden, aber kein einziges Wort davon so klingt, als hättest du es gesagt haben können, wenn dich die Umstände am wenigsten brauchen, vermisse ich dich am meisten.

Da ist es.

Bist du noch wach

Das ist der Moment, in dem man keine Worte braucht, weil man sie alle in den Händen hält. Anfassen, reinschauen, sich vergewissern. Und wir finden uns ganz gut.

Mein neuer Roman „Bist du noch wach?“ erscheint am 12. März 2013 im Berlin Verlag. Vorbestellbar ist er hier. Und natürlich im Buchladen eures Vertrauens. Worum es geht? Vor allen Dingen geht es um Freundschaft und darum, wie man einen Abschied findet, wenn man eigentlich keinen Abschied will.

Für Presse-Exemplare und Lesungsanfragen melde man sich hier, für Interviewanfragen auch gerne bei mir direkt unter elisabeth.rank ( at ) gmx.de. Die aktuellen Termine findet ihr am unteren Ende dieser Seite. Und ja, ich freue mich sehr auf alles, was kommt. Tausend Dank und ein großes Stück meines Herzens an all die Menschen, die das ermöglicht haben. Ihr wisst schon.

Inventar

Leaves

Es gibt eine Autobahnfahrt und es gibt diese Landstraßen und manche davon sind Alleen, die jetzt im Winter nichts mehr haben von der Idylle außer vergilbte Heuballen am Rand, die jemand vergessen hat abzuholen, und es gibt den schlechten Radioempfang und dann die CD, die irgendjemand mal im Auto vergessen hat, und die wir am Ende lieber ausmachen, und dann gibt es noch den Lidl und den Aldi und einen Penny und die Tankstelle, ein Nagelstudio, einen Schreibwarenladen, im Ort dahinter ein kleines Hotel, eine S-Bahn-Station, einen Computerfachmann, eine Werkstatt, Fashion & Mehr, das Mehr schreiben sie groß, als hätten sie Meer schreiben wollen, ist aber ein See da vor ihrer Tür und im Sommer kommen zu viele und im Winter zu wenig. Es gibt diese Dörfer, die nur eine Straße haben, eine Straße immer geradeaus und manchmal einen Vorgarten mit Metallzaun und dahinter Fenster mit zugezogenen Gardinen und in der Fassadenfarbe toben sie sich aus, alle Nuancen an Lachs gibt es, die Seitenwände werden nicht gestrichen, nur die Fassade nach vorn, manchmal Mint auch, wie lange haben sie dafür gestritten im Dorfrat, hellblaue Dächer.

Am Friedhof gibt es eine dunkelgrüne Umzäunung, eine silberne Türklinke, die man nur ein bisschen herunterdrücken muss und schon springt die Tür auf, ganz sauber, kein Abdruck, kein Schweiß, es gibt Grabsteine, zwei drei Kreuze, und wenig Platz dazwischen, die Parzellen im vorderen Teil sind eng geplant, drumherum noch viel unangetasteter Rasen, aber dort, wo schon losgelegt wurde, da platziert man effizient, selbst jetzt im Januar ist ordentlich geharkt. Es gibt Gestecke und Wintergewächse und ordentlich abgewischte Töpfe und die zu dicke Metallschrift auf den Steinen, es gibt keinen Ort zum Sitzen, jedenfalls keinen, an dem man sich nicht komisch vorkommt, aber es gibt die kleine Kapelle, in der wir noch nie waren, und die niedrigen Wohnhäuser drum herum, die Schule am Ende der Straße, direkt am Wald, es gibt einen Müllplatz fürs Plastik und einen für den Biomüll und einen für alles andere, wo nichts drin liegt, es gibt einen Wasserhahn und leere, ausgespülte Gemüsegläser, es gibt knackendes Eis, sofort berstendes, brechendes Eis, es gibt nicht einmal Schnee und keinen anderen Menschen, dich nicht und mich nicht, aber weiße Ranunkeln und die Angst, sie könnten heute nacht nicht überleben, es gibt Tannen, ich weiß, ringsum sogar, einmal rum, und die Schienen in der Ferne, ich weiß, und den See und keinen Lärm und nicht so viel Besuch, denn das nervt, ich weiß, aber es gibt Palpitation und wie du damals gesagt hast, du bleibst.

I think they are like Braille for those who can see but can’t feel.

Birds

Ich sage ja immer, es macht mir nichts, doch es macht mir was.

Tree

In mir etwas aus, in mir etwas an. Nach drei Wochen Stille und Meer und einem Horizont, den man ganz unbewusst einfach absucht mit dem Auge, obwohl man weiß, dass man nichts finden wird (und der einem dann zeigt, wie man auch sonst so funktioniert und dass wir alle immer auf dieser beschissenen Suche sind ohne mal Ruhe zu geben, ohne mal zu sagen, is gut jetzt, is doch einfach mal gut jetz), nach drei Wochen Ausleeren, sich und den Kopf und die Poren, nicht einmal mit Schwung sondern langsam, der Stress blutete aus, nach diesen drei Wochen ist wieder Platz und nach diesen drei Wochen ist so viel Platz, dass ich um alles, was passiert, sogar noch einmal ein paar Schritte machen kann, um es mal wieder von allen Seiten zu betrachten. Ich sage ja immer, es macht mir nichts, doch es macht mir was, all das, was passiert. Es macht mir etwas aus in verschiedenen Gegenden des Herzens und des Kopfes und als vorgestern jemand neben mir saß, der meinte, er könne es nicht, sich so angreifbar machen, solche Texte schreiben, die etwas mit dem eigenen Puls zu tun haben, und sie dann online stellen, da verstand ich ihn und nickte und gleichzeitig wusste ich, es darf etwas tun, man darf sich auch angreifbar machen, ich wäre dafür, das täten viel mehr Menschen, sich angreifbar machen und brüllen und flüstern, auch wenn es so oft nervt, aber mir sind Äußerungen immer lieber als Wandfarbe, Löcher lieber als Glattputz.

Und wie man den Stress jetzt ansieht, den man jeden Tag hat, und wie man das Ziel dahinter jetzt ansieht, das man nicht jeden Tag hat, und wie man mit der Lautstärke umgeht und dem nicht mehr ständig blauen Himmel und was man eigentlich will, nämlich mehr Disziplin im Gut Sein mit sich selbst und weniger Bequemlichkeit, weniger „Ist mir doch egal“, weil es nie egal ist und wir immer nur sagen, es ist doch egal, wenn es egal sein soll, unsere Abwehr macht die Sachen nicht kleiner und deswegen ist Unbequemes okay, mehr Umgehen damit, mehr Äußerung, mehr Auseinandersetzung, kein Wegducken mehr, weil es bequemer ist, und gleichzeitig aber auch ausloten, wann es genug ist, wann auseinandersetzen zu sich etwas aussetzen wird, das man nicht ertragen muss, die Grenzen neu ziehen und innen drin immer das Geräusch der Wellen am frühen Abend behalten, sich öfter herausnehmen aus dem Fluss, klarer sein.

Ich sagte viel zu oft, es mache mir nichts, doch es macht mir was und das ist eigentlich das Beste, was passieren kann. Sich selbst aufmachen und ehrlich sein und damit umgehen lernen, dass nicht jeder damit umgehen kann, in Bewegung bleiben und dennoch Inseln aufschütten. Alles lieber als Taubheit und immer wieder Platz machen, aussortieren, wissen, warum man sich für etwas entschieden hat und gegen etwas anderes. Sich nicht scheuen.

So ist er.

Das hier habe nicht ich mir ausgedacht sondern mein Großvater. Er wünscht es sich. Mit dem Internet kann er sonst nicht so viel anfangen, Google Earth findet er spannend, die österreichischen Täler, und manchmal Instagram. Als wir heute gemeinsam im Photoautomaten saßen und ich danach noch ein Bild mit dem Handy von ihm machte, da lachte er. Da schaute er zweimal hin und sagte: „Da sehe ich eigentlich ganz gut aus. Stell das mal ins Internet mit einer Kontaktanzeige.“ Ich habe ihn verwundert angesehen und gefragt: „Meinst du das ernst?“

„Ja“ sagte er, „Wie bei Bauer sucht Frau oder wie das heißt. Mach das mal.“ – „Was soll ich denn über dich schreiben?“ frage ich. Er überlegt. Dann grinst er. Ich stehe auf, denn bei The Barn holt man sich den Kaffee an der Theke ab, er wird einem nicht gebracht. Als ich mich wieder setze, sagt Opa: „Das ist schwierig, weil ich ja so ein komischer Mensch bin. Aber auch von komisch gibt es ja viele Varianten.“ Wir trinken Kaffee, ihm schmeckt der Kaffee aus dem Syphong nicht, „ich esse ja gerne scharf, deswegen habe ich auch gerne stärkeren Kaffee, aber nicht zu stark, ich bin da eigen“. Das ist er in vielem. So ist er. Sehr eigen. Und er weiß das auch. „Vielleicht solltest du einfach irgendwas über mich schreiben, du kennst mich ja manchmal besser als ich mich selbst“, er lacht wieder, „wenn ich was sage, wird das ja öfter falsch verstanden, aber die Natur liebe ich, das kann man ja nicht falsch verstehen.“ Er wandert gern, er hat und will keinen Fernseher, „davor würde ich einschlafen die ganze Zeit“. Er liebt seinen Garten. Das sind die Dinge, die ihn mit am glücklichsten machen, deswegen ist der Winter für ihn so schwer. Das sollte man wissen.

„Ich bin nicht modisch gekleidet, nur halbmodisch“, dann nimmt er eines der schwarzen Kännchen in die Hand, „die sind hübsch, wirklich hübsch, Metall mag ich ja, aber ich wüsste nicht, wofür ich das benutzen sollte“. Er gießt sich den Rest Kaffee aus der Kanne so schwungvoll in die Tasse, dass sie beinahe überläuft. Er trinkt schnell aus, er isst auch schnell, wenn er isst. Auch wenn er läuft, tut er das meistens in gehobenem Tempo. „Weißt du, ich liebe das einfache, sachliche. Aber ich bin trotzdem sehr romantisch. Das ’sehr‘ kannst du unterstreichen!“

Dies ist eine Kontaktanzeige und er weiß davon. Er hat sie sich gewünscht. Das Foto von ihm dort oben ist das, was ich heute von ihm gemacht habe. Er mag’s. Wer meinen Großvater kennenlernen möchte, kann man mir eine E-Mail schreiben oder einen Kommentar mit einer gültigen Mail-Adresse hinterlassen (Briefe kann er übrigens auch), er wohnt in Berlin. Es kann sein, dass es einen Moment dauert, bis er antwortet, wir sitzen dann gemeinsam vorm Rechner, aber er wird antworten, das hat er versprochen. So ist er.

Interview: zeitjung.de

zeitjung

zeitjung.de hat ein sehr bauchmiezelndes Feature über mein Blog gepostet.