Faro VI

Garden

Töchter sprechen über ihre Mütter, Jüngere sprechen über die Älteren und in beiden Konstellationen kommt irgendwann der Punkt im Leben, den man mit diesem Blick begleitet, dem Blick schräg nach unten und an der Person vorbei, mit der man eigentlich gerade spricht, der Blick, in den bereits jedes Gewicht gelegt wird, das man später auf den Schultern hat, wenn sich umkehrt, was man nie als umkehrbar erachtete, eben diese Konstellation, dass jünger sein mal bedeutet agiler zu sein, sich mehr beieinander zu haben, dass Tochter sein mal bedeutet, die Ruhe zu geben und nicht zu nehmen, sich auszukennen, dass es soweit kommen kann und muss und dass auch schon immer so war, aber von den Ewigkeiten haben wir alle bis heute ja gar keine Ahnung. T. erzählt von ihrer Mutter, die sie holen muss, da sie dement ist, und die Schwester von T. in die Ferien fährt, sonst obliegt die Obhut der Mutter nämlich ihr.

Und nach diesem Gespräch nehme ich den Gedanken noch mit in den Tag, in einen der letzten, und ich frage mich, ob es an den ebenerdigeren Wohnungen, am Klima oder nur an meinem verschobenen Fokus liegt, dass ich hier mehr ältere Leute auf den Straßen sehe, vor den Häusern, in den Cafés. Auch sind sie meist in Gruppen anzutreffen und nicht so allein wie in deutschen Großstadtstraßen, die sich sich in völliger Isolation hinunter schleppen, obwohl um sie herum das Leben tobt. Did you order pastéis de nata? No, we didn’t, antwortet N. Oh! Die Bedienung ist beinahe entsetzt. Cause there are only three left. Do you want two? I guess, you want two. Yes, we do.

Wir fliegen am Abend. Der Tag gehört der Stadt, die hinter dem repräsentativen Viertel liegt, der Stadt mit den Hochhäusern und den vielen Balkonen, den Mülltonnen an der Straße und dem Pflaster mit den Schlieren. Aber auch hier immer wieder feststellen, das die Portugiesen in jeder Hektik weniger hektisch sind als Menschen anderswo und auch weniger laut. Im Botschaftsviertel treffen wir auf keinen einzigen Menschen, nur auf einen das leere Haus beschützenden Hund, der sich die Seele aus dem Leib bellt, während die großen, pinkfarbenen Blüten im Wind zittern.

Wir trinken Tee und Kaffee im Café King, spielen Backgammon dabei und der Wind will nochmal zeigen, was er kann, weht beinahe das Spiel davon und auch den großen Schirm, N. stößt sich am Tisch vor Schreck, aber der Italiener nebenan packt seine großen Sprüche aus. Er beschütze uns, wir brauchen uns keine Sorgen machen, sein Begleiter lacht verschämt. Und immer wieder klingelt sein Telefon. Sophia ist dran, er möchte mit Sophia einen Termin ausmachen, ja, er käme gleich vorbei. Dann zwei Minuten später klingelt es erneut. Er hebt ab. „Sophia! How beautiful. You are a stupid person.“ Wir bezahlen drei Euro und ziehen weiter zum Hafen, um noch einmal Fisch zu essen. Wichtig ist, so stellen wir fest, wenn der Tisch nicht wackelt, ist es kein gutes Restaurant.

Zum ersten mal läuft nicht Rihanna oder Shakira sondern portugiesische Musik. Der Wind ist wirklich überall, das Segeltuch über unseren Köpfen flattert so laut, und wir müssen auch hier die Teller auf das Backgammonspiel stellen, dessen Spielfläche aus einrollbarem Leder besteht und nicht aus Holz, damit es nicht davon fliegt. Ich bestelle Suppe und Salat, der Begriff ‚Salat‘ ist sehr dehnbar. Mal bekommt man Dosengemüse, mal Tomate mit Zwiebel, mal Tomate mit Gurke, heute Tomate ohne Gurke und manchmal bekommt man mit etwas Glück auch grünen Salat. Wir lassen uns Zeit, ich schließe die Augen, ich will noch nicht gehen.

Später im Flugzeug tobt auf meiner Fensterseite irgendwo über Frankreich ein Gewitter, die Wolken stehen wie dunkle Berge, dazwischen zucken Blitze. So nah, als müsste ich nur den Arm ausstrecken, um mich aufzuladen, um etwas zu spüren.