Die vierte Woche Jahr

Urbanhafen

Langsam wird es echt. Als wäre jeder Januar so eine Art Bahnhof, alles läuft nur hindurch, niemand bleibt gern, manchmal verpasst man etwas, häufig muss man etwas bezahlen, hat Hunger, aber nichts schmeckt so richtig, meistens hat man zuviel Gepäck dabei, eigentlich immer sind zu viele Leute da, außer nachts und dann ist es gruselig, ständig fährt einem jemand über den Fuß, und obwohl man sich hier eigentlich gut auskennt, wundert man sich immer wieder, dass die Melancholie jedes Jahr eine andere ist, keine hysterische. Als hätte man im Dezember den Abschied nicht gut gemacht und müsse das im Januar nachholen, vermutlich sitzt Silvester eh viel zu nah an Weihnachten, da bleibt einem ja kaum Zeit mal zu überlegen und die Hässlichkeit des Januars ist ja auch irgendwie nie zu übersehen, durch den Januar muss man durch, vielleicht kurz winken und dann erst kann man sich in den Sitz fallen lassen.

„Transparent“ geschaut und über Familie nachgedacht. Die einzelnen Figuren drehen sich so sehr um sich selbst, dass ich mich frage, wie sie es hinbekommen, sich dabei gegenseitig auf dem Laufenden zu halten, sich so wenig zu wundern. Die ganze Zeit passieren tausend irre Sachen und niemand wundert sich. Wenn sie nichts mehr verstehen, brüllen sie sich an oder haben Sex oder springen in irgendeinen Pool, und plötzlich sitzen alle wieder nebeneinander und sind ganz kuschelig und ich frage mich, an welchen Stellen sie einander ab- und die Geschichten aufholen, wo ist dieser Autobahnparkplatz, an dem sie anhalten, um das alles reinzulassen in sich und einen Platz dafür zu finden und warum platzen die nicht permanent vor Kram?

Auch das Eis schmilzt in Schichten, hier und da hält es die Schwäne noch und die auf ihm abgestellten Bücherregal, Bierkisten, abgerissenen Papierkörbe, Bierflaschen, an anderen Stellen sinkt die starre Kälte schon wieder auf den Grund des Kanals. Jetzt gibt es wieder Ostersüßigkeiten und die vertwitterten Frühlingswünsche werden mehr, die ersten Tulpen stehen in den Vasen, aber halten noch nicht lange. Es ist aber auch so, dass mir der Sommer nicht mehr so fern vorkommt, vielleicht vergesse ich weniger, vielleicht habe ich besser abgedichtet, wer weiß das schon, aber Fakt ist, dass ich mich neuerdings im Sommer an den Winter erinnern kann und umgekehrt, also so sehr erinnern, dass man beinahe spürt, was man denkt, es ist nicht mehr so abwegig, wie es früher schien zur selben Zeit, dass es bald wieder warm ist und ich dabei sein kann. Denken „Ich werde das erleben“ und noch ein Stück gehen.

Der Friedhof ist lauter, wenn die Bäume keine Blätter haben.

Nach einer Woche beinahe allein und viel drinnen genieße ich den Blick in fremde Gesichter, genieße ich es, wenn Leute reden oder vor mir straucheln, etwas in ihrer Tasche suchen, inne halten, telefonieren, ich verhalte mich ruhig, damit sie mich nicht bemerken und laufe einfach weiter geradeaus. Wie vielen man begegnet, wenn man es nicht darauf anlegt.

Den Schrank im Büro ausräumen, den Rechner leeren, Menschen umarmen, auf Wiedersehen sagen, den Fahrstuhl nehmen und dann gehen, weil man sich dafür entschieden hat. Auch Abschiedsgefühle halten sich nicht an Terminvereinbarungen.