Die neununddreißigste Woche Jahr
Die älteren Damen tragen gern Taschen mit Tiermustern. In Güstrow kann man Gladiolen vom Straßenrand kaufen, daneben der Penny samt lila Bäcker. Über dem Gewerbegebiet ständig Schwärme von Vögeln. Dahinter Felder und Wald und Gärten mit Zierbrunnen, Gartenzwergen, Tüchern in den Fenstern, die für alkoholische Getränke werben, Campari und sowas, der Druck ist verrutscht, man verwendet vor allem Lila, das sieht modern aus. Hat der Bäcker auch verstanden. Im Dorf dann eine Kirche, die renoviert wird, die Lücken werden mit alten Feldsteinen gefüllt, auf dem Friedhof ist noch viel Platz. Der Bus kommt an Schultagen einmal morgens, einmal am Nachmittag, donnerstags kommt ein Sonderbus. Auf der Koppel stehen drei Stuten mit ihren Fohlen und eigentlich ist immer Wind, soviel Wind, als käme hinter der nächsten Kurve oder Baumreihe das Meer. An der Tankstelle fragen, ob es in den umliegenden Dörfern einen Bäcker gibt. Gibt es nicht. Der nächste ist in Güstrow. Die Dame hinter der Verkaufstheke schaut entschuldigend, enttäuscht, vielleicht traurig. Es habe mal einen gegeben, aber das sei eine ganze Weile her. Vor der Tür stehen die Motorradmänner beisammen, einer trägt ein gebatiktes T-Shirt in Regenbogenfarben. Sie reichen eine Flasche Mineralwasser herum und rülpsen dann nacheinander in ihren Kreis.
Später kommen uns drei ältere, viereckige Herren auf ihren Simsons entgegen, sie gucken grimmig und sitzen auf den kleinen Maschinen, als täten sie das bereits seit vierzig Jahren. Es besteht eine reelle Chance, dass Hosenstoff und Sitzüberzug bereits ein wenig miteinander verwachsen sind. Am Morgen steht immer mal ein Reh im Garten, sie kommen immer allein, fressen die heruntergefallenen Äpfel und Birnen, zupfen an den Sträuchern, mümmeln das hohe Gras. Als der Marder auf die Terrasse hüpft, schaut das Reh beinahe empört. Man kennt sich, vielleicht. Der Bodenleger im Ort hat das „Parkett“ auf seinem Schild im Vorgarten durchgestrichen, das will hier keiner mehr. Laminat und PVC macht er noch. Das Gemeindezentrum steht ohne Aufgabe herum, dahinter parkt nur noch das große weiße Wohnmobil. Mitten im Ort hängt ein CDU-Plakat: „Herz. Heimat. Heiko.“ Heiko ist von Beruf lachender Schornsteinfeger. „Vermutlich das fröhlichste CDU-Plakat der ganzen Bundesrepublik“, sagt F. Dahinter steht die Pumpe, die nicht einmal mehr einen Abfluss hat. Der Briefkasten, die Bushaltestelle, ein Parkplatzhinweisschild, das um Aufgabe bettelt. Als gäbe es hier nicht genug Platz, doch jeder braucht eine Aufgabe, auch das Schild. An dem großen Scheunentor hängen keine Plakate mehr, aber noch all die Klammern aus anderen Zeiten.
Die Äpfel sind sauer, aber man kann sie verbacken und trinken. Am Morgen spielen wir auf der Eingangstreppe Backgammon, man muss immer dort sitzen, wo die Sonne ist. Am Abend fahren manche noch aufs Feld und holen den Mais rein, die Ränder erwischen sie immer nicht ganz. Hinter den Hecken wird die ganze Zeit gerödelt, man hört die Menschen ständig Dinge tun. Wenn die Gärten offen sind, bewegt sich nichts. Im Penny fragt ein Junge in Begleitung seiner Mutter nach einem Praktikumsplatz, es scheint ihn Überwindung zu kosten, sie stehen neben den Konserven nahe der Kassenschlange. Die Angestellte lacht und aus ihrem Mund ploppt eine Absage, als wären die Worte ein Kaugummi, der nicht mehr schmeckt. „Machen wir nicht mehr“, sagt sie und zieht die Augenbrauen nach oben, als hätte man das wissen müssen. Die Schultern des Jungen hingen schon vorher, aber sein Blick schleift nun auf dem Boden.