Die einunddreißigste Woche Jahr

Freibad

An diesen Abenden aus Müdigkeit und Hitze klopft die Welt von innen und außen gleichzeitig an den Bauch und das Hirn und das Herz und am Ende müssen wir einen neuen Eingang finden und einen neuen Ausgang und vor allem Wege für das Gefühl und die Haltung dazwischen. Denn nichts verlässt dich so, wie es dich betreten hat, und gerade jetzt nicht. Ja, gerade jetzt nichts. Wir werden einen Umgang finden müssen, vielleicht nicht sofort eine Therapie, weil es ja schon etwas bringt, auch erst einmal zu verharren, bevor man hastet und sich eine Konklusion sucht, das, was geschieht, erst einmal zu betrachten und nicht sofort alle Gefühle zuzulassen. Sowieso: wieder eine Reihenfolge finden für die Dinge und wie sie geschehen. Ansichten sich nicht entwickeln lassen, sondern selbst entwickeln. Von mir aus jeden Tag darüber reden, aber nicht mit allen und nicht sofort laut, sich Zeit geben zum Ausloten, weil uns niemand zwingt zur sofortigen Reaktion, weil uns niemand nötigt, vor Publikum eine Sekunde später etwas zu sagen. Man vergisst schnell, wie es sich anfühlt, nichts zu sagen und wie nützlich das sein kann, auch wenn man es häufig anders gelernt hat.

Dieses Gefühl des Schwebens, wenn man mit dem Auto über mehrere Stunden über die Autobahn fährt, diese schwere Müdigkeit und wie der Kopf anfangs noch denkt und später nicht mehr denkt, sondern einfach nur noch sieht, Farben und Tiere und Häuser und nichts davon hat irgendeinen Bezug, das ist wie beim Fliegen, ich mache am liebsten nichts parallel, ich schaue nur, das konnte ich früher nicht.

Wieder vom Sterben lesen. Wieder an das Sterben denken. Das Fast-Sterben und die, die gestorben sind. Die, die dann doch nicht sterben wollten und die, die keine Wahl hatten. Immer wieder das Gefühl, das noch einmal aufschreiben zu wollen, zu müssen, am Ende aber kapitulieren, weil das nicht mehr geht, weil der Anspruch sich verschoben hat, die Umarmung dieses Themas kann keine mehr sein, jedenfalls keine, die ich gerne mache, keine, die eine herzliche wäre. Dafür war alles zu nah und zu laut und dafür hat es zu lange gedauert, mich davon zu entfernen, aber jetzt aus dieser Distanz spüre ich noch einmal mehr, was mir das alles beigebracht hat, einen anderen Blick auch, manche Sachen sieht man nur von hier so in dieser Art und Weise, manches muss man nicht mehr sagen, manches dafür umso mehr.

Ich sage Opa am Telefon, wie gut er gerade klingt, ob er gut drauf sei. Er antwortet: „Ich bin nie drauf, ich bin immer drunter. Das ist in meinem Alter so. Wie gut drauf, nur umgedreht mit dem Kopf nach unten, aber auch gut, ja.“

Sophie Hunger sehen, und das ist wirklich ganz großartig, auch weil sie da keine Barriere hat in ihrer Euphorie, in ihrem Moment, in dem sie so ist, ihre Bewunderung zu sehen für jene, die mit ihr auf der Bühne stehen, alle zusammen wirklich gute Musiker. Und der Nieselregen und diese eine Hand im Rücken und sowieso.

Währenddessen versuche ich, die alten Bilder von den USA zurückzuholen, ein Gespür für das, was ich vor zehn Jahren sah in Washington in diesem kalten Winter, als es aus den Gullis dampfte und das Eis in jedem Fenster hing. Ich weiß noch das Trampolin auf dem Land, die Weihnachtsdekoration in den frühlingshaften Vorgärten, die kleinen Pfirsichbäume, die Spielzeugpistolen und Schränke voller Vorräte, die Pappteller und Pappbecher, das Plastikbesteck und dass die Kleinen sich auf die Kirche am Wochenende freuten, weil das die einzige Gelegenheit war, mit anderen Kindern zu sein, ich weiß noch vom Vorlesen und den Rüschen an der Bettwäsche, von den Fernsehern und Fox News und diesem unverschämt blauen Himmel und vor allem von meiner Sprachlosigkeit und der Beklemmung dahinter.