Die dreizehnte Woche Jahr

Buckow

Als wir auf dem Steg sitzen, kommt ein älteres Ehepaar angeschlichen. Sie setzen die Schritte bedacht, beide haben wetterfeste Jacken an, obwohl die Sonne scheint und den ganzen Tag nicht damit aufhört, einer von ihnen hat die Hände immer auf dem Rücken gefaltet, der andere tut mit seinen etwas nützliches. Wir sitzen auf der Bank, neben uns ein Bier, schauen noch und wissen nicht, wohin mit uns, während sie sich umsehen, erst über den See und ans andere Ufer, dann nach unten aufs Wasser, sie legen die Hände auf das Holz und plötzlich hört man ein leises Klatschen. „Oh“, sagt er und zwirbelt sich den Bart. Sie fragt: „Was ist denn?“ – „Meine Uhr ist eben ins Wasser gefallen“, sagt er und sieht ihr noch hinterher. „Das ist mal wieder typisch. Immer wenn man wirklich mal wissen muss, wie spät es ist, passiert sowas“, regt sie sich auf, „Jetzt können wir den ganzen Tag nicht mehr auf die Uhr sehen“. Eine Ente schwimmt vorbei und die beiden entfernen sich kopfschüttelnd.

Am Abend ist niemand mehr in B. Das Dorf mit den Pflastersteinen liegt still. Als wären alle Menschen am Abend fortgelaufen und hätten beschlossen, nicht zurückzukehren. Die meisten Fenster sind dunkel, die Autos parken vor den Häusern, keine Ausreißer, keine Ausrutscher, keine Spur von Leben außer hier und da einer Schaufensterbeleuchtung. Es gibt einen Polsterer. Er verkauft auch Gardinen. Die letzte Ausbildung zum Innenausstatter hat er laut Zertifikat 2008 gemacht. Die Handtücher mit den Hunden drauf kosten nur drei Euro. Jedes Handtuch hat ein eigenes orangenes Preisschild. Irgendwas muss man ja tun den ganzen Tag. Die Dinge bepreisen. Am Marktplatz hat ein neues Café eröffnet. Nach zwanzig Uhr sitzt niemand mehr darin, über dem Tresen hängt ein aus Holz geschlungenes Herz, das Licht ist kalt, irgendwoher klingt Rihanna, weiter hinten am Wald leuchtet etwas. Doch noch Menschen da. Über die Straße läuft eine Katze, nicht einmal die Bäume bewegen sich. Im Fernsehen läuft eine Sendung über Blockhüttenbauer. Im Anschluss noch eine über jene Leute, die die zuvor gebauten Blockhütten später verzieren. Danach schalten wir ab. Am Abend und am Morgen auch noch liegt Nebel über dem See. Es gibt einen Schlossberg, aber kein Schloss mehr. Im Bus bitte keine Pommes. Die Plastikostereier in den Büschen gibt es in den Standardfarben, Naturfarben und Batik. Um halb neun am Abend wird die Espressomaschine gereinigt. “Möchten Sie noch einen?“ Hinter dem Hügel stehen weichfellige, weiße Kühe, irgendein Großvater ruft in den Ostersonntag “Kalt, kalt, wärmer… Ja, wärmer!“. Das suchende Kind dazu sieht man nicht.

Ein ehrliches Vielleicht ist Arbeit. Es gab mal eine Zeit, da war Vielleicht keine Ausrede. Jede Antwort ist eine Entscheidung.

Wann haben Sie einander das letzte Mal gerührt? Ich meine so, dass Ihnen das Herz in der Brust bis in den Bauch geschmolzen ist, weil da Menschen waren, die alle wussten, warum sie nebeneinander stehen in genau diesem Moment, denen das genügt hat, die nichts anderes wollten, die einfach geblieben sind ohne eine Abmachung oder einen Termin, wann haben Sie sich das letzte Mal so sicher gefühlt, dass Sie vergessen haben, aufzupassen, wo die Tasse mit dem Kaffee steht, wann haben Sie das letzte Mal gedacht, als Sie einen Teppich zusammenrollten, da ist alles drin von denen, die etwas bedeuten, den kann ich nicht wegschmeißen, den werde ich vielleicht nie wegschmeißen können, jeder DNA-Tester fände helle Freude und totalen Wahnsinn darin, wann saßen Sie das letzte Mal wie Kinder auf dem Fensterbrett, die sich immer ein bisschen zu weit beugen, ein bisschen zu laut rufen, ein bisschen zu sehr vergessen, was alles nicht geht, wann? Wissen Sie noch, wie dieser Tag geschah und wie er begann und wie er endete und warum genau Sie danach nicht schlafen konnten?

„Niemand ist immer, wie man ihn haben will.“