A lot of sorrow
In Wiederholung steckt immer ein gewisser Grad an Hinwendung. Zu einem Moment, einer Tätigkeit, einer Erinnerung, einem Prozess. Manchmal zu einer Gewohnheit. Nicht per se ist Wiederholung ein Ritual, aber sie kann es werden. Die Wiederholung einer Bewegung ohne Ende kann einem Sicherheit geben oder einen in schlimme Aussichten stürzen, die Wiederholung eines Schmerzes kann sich hineinfressen, die Wiederholung einer Erinnerung kann sich über alles legen, was es sonst noch gibt. In Wiederholung steckt meistens ein Stück Verfolgung, auch wenn diese nicht immer bewusst verübt wird, der Gegenwert reicht nicht zu einer Unterbrechung aus. Wiederholung hilft dazu, vom Zufall zu unterscheiden. Was sich wiederholt, dessen kann man sich sicherer sein – egal, ob es gut oder schlecht ist, die Wahrscheinlichkeit, dass es in diesem Zyklus noch einmal geschieht, ist relativ hoch. Und ist kein Ende in Sicht kann man sich entweder auf den Faden verlassen oder sollte sofort umdrehen, das hängt von der Qualität der Faser ab, von der Farbe, vom Anfang seiner Struktur und wie er gespannt ist. Aber in Fortführung gleicher Muster steckt trotz allem Energie, nichts vollführt sich ohne Antrieb, jedenfalls nicht vollständig. Und am Ende hängt es immer noch vom Menschen ab, in welcher Wiederholung er verharrt, welche Wiederholung zur wohltätigen Gewöhnung werden darf und an welcher Stelle es sich lohnt, sich einmal komplett durchzuschütteln.
Was Wiederholung noch sein kann, ist Durchwalkung. Wenn du das Gefühl siebenundzwanzig Mal durchlebst, den Song dreiundvierzig Mal hörst, das Bild fünfundsiebzig Mal ansiehst, macht das etwas mit dir. Du kannst dich entscheiden, voll zu sein, keinen Eindruck mehr aufzunehmen und trotzdem nicht aufzuhören oder du kannst dich entscheiden in der Wiederholung eine Erleichterung zu finden, mit jedem Mal ein Stück loszulassen, abzuwerfen, aufzutragen, fortzukommen, voran. Wiederholung eignet sich entgegen der Meinung vieler sehr gut als Liste, solange sie ein Ende besitzt, die Wiederholung wird nur zu guten Übung, wenn sie ein Ziel hat, ein Momentum, in dem sie sich selbst abschafft. Wiederholung, deren Ende absehbar ist, kann dich ins Jetzt zurückholen und danach freigeben. Wiederholung, deren Ende du selbst setzt, bevollmächtigt dich in Gänze.
Und so kommt es, dass sich in der Wiederholung eines Liedes in sechs Stunden andere Gefühle verstecken als in der Einzelversion von drei Minuten und fünfundzwanzig Sekunden, ein einziges Mal kann gar nicht leisten, was Wiederholung vermag. Deswegen brennt sich Chronisches ein, deswegen glaubt man jemandem mehr, der sich und seine Worte über eine Zeit hinweg einlöst, deswegen streicht man Menschen nicht nur einmal, sondern mehrfach über den Rücken, wenn es ihnen nicht gut geht, deswegen bleibt man zusammen. Sicher hat Einzigartigkeit, ein Moment seine Berechtigung, in ihm selbst steckt, was in der Abfolge nicht herauskommt, denn Anfang und Ende sind in ihm viel größer und stehen in einem anderen Verhältnis zum eigentlichen Ablauf.
Sitzt man vor The National und sie singen wortwörtlich a lot of sorrow, gibt es keinen Grund wegzulaufen, es gibt aber viele, um sitzen zu bleiben für diese sechs Stunden. Jeder Schmerz darf hier hinein, jede Menge, jede Erinnerung, alles darf stattfinden und auch mehrfach wiederholen, du darfst schwitzen und weinen und schweigen und wütend sein und enttäuscht und traurig und irgendwo, wo du nicht mehr sein willst, weil du weißt, gleich ist alles vorbei, dann musst du nichts davon mitnehmen, dann hast du es so oft gefühlt, dass du es nicht mehr fühlen brauchst.
Ragnar Kjartansson & The National
A Lot of Sorrow
KÖNIG GALERIE in ST. AGNES
Kommentare
In „Die Wiederholung“ setzt Kierkegaard bei der griechischen Denkweise an, dass das gesamte Leben und Erkennen eine erinnernde Wiederholung darstellt. Unter dem Pseudonym Constantin Constantius stellt er sich die Frage, ob es die Wiederholung in ihrer Reinform wirklich gibt und macht die Probe aufs Exempel, indem er nach Berlin fährt, wo er vor langer Zeit schon einmal war. Es stellt sich heraus, dass sich alles verändert hat, wobei dies vor allem dadurch hervorgerufen wird, weil jener selbst sich in der Zwischenzeit gewandelt hat