Die siebte Woche Jahr

Oranienburger Tor

Auf dem Heimweg an das Wartezimmer in Wedding gedacht, in dem die Zeitschrift „Sehnsucht Deutschland“ auf einem kleinen, weißen IKEA-Tisch lag, während auf dem Bildschirm über der Garderobe Tierbabyfernsehen lief. Und dann ist mir Paris auch wieder eingefallen, und wie die Luft war, als wir aus dem Restaurant kamen nach diesen paar Gläsern Wein, ich mochte die Strähnigkeit der Stadt, die vor allem nachts zu sehen ist, denn tagsüber liegt niemand auf den Rasenflächen, treten sie nicht einmal über den Rand. Dass es hier kaum leere Ohrläppchen gibt, hab ich noch gedacht, und wie schön es ist, wenn jemand nachschenkt, aber nicht ohne zu fragen, sondern nach einem Blick, der als Zeichen genügt und nicht zu einer Berührung wird.

Die Notiz wiedergefunden, die ich nach dem Stück von Sibylle Berg schrieb, zwei Zitate: „Ein Kind sollte mit zwei Elternteilen zusammen leben, damit es diese furchtbare Angst verliert, allein zu sein, wenn einer kaputt geht“ (und innerlich kurz abgeschweift, dass zusammen leben ja nicht zusammen wohnen heißen muss und trotzdem nicht weniger wert ist), „ich gönne mir noch zwei Minuten eine kleine Angst“ (zum Mitnehmen, bitte).

Dem Wetter danken, dass es einen der zwei freien Tage keinen Aufstand macht, sondern mich in Ruhe einfach wohnen lässt. Gegenstände benutzen, nicht nur ansehen.

I’ve seen better, I’ve seen worse. I missed the sun today.

An der Friedrichstraße in die S-Bahn steigen. Im ersten Moment denken: „Ach, das da hinten sind nur fünf laute Fußballfans“, an der nächsten Station sicher wissen: „Das sind fünf Rassisten“. Dort steigen sie schon wieder aus. Wut, Gänsehaut, Ekel, Hass und Angst, alles auf einmal fühlen, die Blicke der anderen im Zug suchen. Angst und Gleichgültigkeit in den Augen finden.

Wenn man das kleine Fischrestaurant unter der Brücke betritt, wird man verschluckt von Netzen und Zetteln und Fotos und dem Geruch. Auf jedem Tisch liegt eine Glasplatte, darunter Nachrichten der Gäste und Familien, der Stammkundschaft und Touristen. Jeder Bilderrahmen wurde sorgsam beschriftet. Es gibt Zitrone und Fladenbrot zum Fisch. Das einzige Dessert der Karte ist ein fest gepresstes Pulver, das im Mund ganz samtig weich wird, viel zu süß, aber die Konsistenz habe ich so noch nie erlebt.

Der Dreijährige und ich sitzen in der Straßenbahn, es ist schon dunkel. Der Zug schwingt sich in eine Kurve und der Dreijährige lacht aus vollem Herzen: „Schweeeerkraaaaft!“

Hörempfehlung: Das Gespräch zwischen Anne Wizorek und dem Fotojournalisten Martin Gommel, der reist, um Flüchtenden zu helfen ““ und vor allem um mit ihnen zu sprechen.