Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Monat: April, 2018

Anemogamie

Nun liegt eine dünne, hellgrüngelbe Schicht Staub auf der Tastatur. Das erste Drittel des Jahres ist rum. Sag das mal einer der blauen Stunde (aber wenn, dann nur leise). Sowas sagt man ja sonst eher im Fieber, also dieses ausschnaufende „Jetzt ist der April schon wieder vorbei, da steht der Mai“, wenn man hustet und schnupft und jedes Geräusch so laut an einem vorbeisaust, das man es nicht ignorieren kann, und erst wenn sie sich zusammentun, werden sie aushaltbar, Geräusche umarmen sich zu einem Rauschen, und Gefühle manchmal ja auch, obwohl es bei denen kein Wort dafür gibt.

Ich weiß noch, dass wir mit acht oder neun versuchten, unsere Ängste wie Hamster zu trainieren. Und Justus sagte: „Ich werfe nun diesen Blumentopf aus dem Fenster und hoffe, dass er niemanden trifft“ und dann nahm er Anlauf und dann knallte es laut und am Ende waren Scheibe und Topf entzwei, aber niemand gestorben. In diesem Viertel kam der Tod immer ohne Anlauf. Ohne Blumentöpfe. Ohne Fensterkrachen. Aber alle wurden getroffen. Und der Reststaub hat sich auf allem abgesetzt. Den Spülbeckenrändern. Den Sockenschubladen. Den Nasennebenhöhlen. Den Briefköpfen. Man erkennt einander daran. Die einen wischen das so weg, mit Staubtüchern, sehr gründlich. Die anderen halten die Hände rein. Fahren mit dem Finger darüber. Erinnern sich. Die wissen, das kommt immer wieder. Das geht nie ganz weg. Man braucht es gar nicht versuchen.

An Silhouetten gibt die Schwärze jedem Licht eine Chance.

Partielle Synonymie

Das Licht zwischen 19 und 20 Uhr an einem Apriltag ist das Licht, in dem ich mich verneige. Ich könnte das jetzt auf Englisch schreiben, dann wäre es direkt ein Lied oder zumindest ein Beginn, irgendwas, aus dem man noch was machen kann. Auf Deutsch klingt es wie eingequetscht zwischen Klopapier- und Schwammregal in der Drogerie am Platz. Aber es stimmt ja dann doch. Das Licht zwischen 19 und 20 Uhr an einem Tag in der Mitte vom April ist nun einmal das Licht, in dem ich mich verneige. An der Ampel zum Beispiel, so, dass es niemand anders sieht. Und vielleicht ist die Verbeugung auch nur ein ausladenderes Synonym für: „Ich habe dich wiedererkannt“. Ein Synonym für ein Zwinkern, die Bewegung der Mundwinkel, die da draußen keiner sehen kann, aber die bis in die Füße reicht. Das Licht an einem Apriltag so zwischen 19 und 20 Uhr ist ja auch das Licht, in dem sich alle ein bisschen verneigen. Vor dem Tag und dem, was davon noch übrig ist, und vor dem, was man geschafft hat, und was man nicht gesagt hat, obwohl man hätte können, vor dem eigenen Zusammenriss und der Nonchalance eines Atemzuges. Das ist genau das Licht, was man braucht nach diesem Winter, das Licht, in dem man sich pathetische Liebeserklärungen ausdenken kann, die man niemandem sagt, aber sich vornimmt, es zu tun, wann auch immer, das funktioniert auch zwischen Klopapier- und Wischlappenregal, man weiß das nicht, bis es einem passiert und dann kommt man raus, sehr beladen mit Dingen, die man auf Vorrat kauft, und stolpert ohne Grazie in das Licht hinein und oben am Himmel hinterlässt ein reguläres Flugzeug Düsenjägerspuren, die keine Düsenjägerspuren sind, aber so heißen, weil es kaum ein schöneres Wort dafür gibt und schöne Worte gehören auch in dieses Licht. Genau wie Überwindungen und aufplatzende Oberflächen und Knospen und dass man jedes Jahr wieder denkt, dass man sich früher aus Natur ja eigentlich nichts gemacht hat, aber plötzlich blinkert sich jedes kleine Fitzelchen Grün in den eigenen Weg. Das Licht jedenfalls an einem Apriltag zwischen 19 und 20 Uhr, das ist das Licht, in dem ich mich verneige, so wenig, dass es niemand sehen kann, mit acht Rollen Klopapier im Arm und drei Schwämmen im praktischen Kombipack und dann schaltet die Ampel auf Grün und allen, die über die Straße gehen, rutscht das Licht ins Gesicht für einen Moment, so lange nämlich wie eine Häuserlücke breit ist, und man kann dann ahnen, was alles sein kann. Man kann dann auch wissen, was alles schon ist.