Fiskislóð

Schnappatmung ist eine dieser Gefährtinnen, denen man eine Beschäftigung geben oder sie einmal ordentlich anbrüllen muss, damit sie für eine Weile die Klappe halten. Oder man legt ihr etwas vor die Nase, bei dem sie gar nicht anders kann als still zu sein und zu starren. So funktioniert das in Island. Da setzt man mich hinein und ich habe keine Angst mehr, vor nichts. Ich habe auch keine Wut mehr. Ich habe auch nicht diese Euphorie, die einem gefährlich werden kann, weil sie einem aus dem Hals springt, wenn man die Lippen nicht mit aller Kraft aufeinander presst. Ich habe nichts davon, aber eine Ruhe, die sich wie eine Wärmflasche in meinen Hinterkopf legt und leise plätschert. Ich lese nicht, wenn ich in Island bin. Ich summe nicht. Aber ich gucke die ganze Zeit und existiere einfach vor mich hin. Ich kann mir nicht vorstellen, das für den Rest meines Lebens zu tun, aber in Ausschnitten. Man verliert auch die Neugier, wenn man ein paar Kurven existiert, man klebt nicht mehr an der Scheibe, sondern lehnt sich zurück und alle Farben rieseln so nach und nach hinein. Erst in den Fußraum, dann in das kleine Fach neben der Gangschaltung, später zwischen die Finger und in die Löcher der Kopfstützen. Irgendjemand hat hinten neben den Strommasten einen riesigen Penis in den Schnee gemalt. Hier kommen nicht viele vorbei, aber ich frage mich, was für ein Hirn das sein muss, das hier im Nirgendwo einem Menschen befiehlt, den Umriss eines Geschlechtsteils in den Schnee zu kratzen, damit sich der nächste Schneefuchs doch bitte daran erinnere. Weiter hinten, das nächste Haus steht in 20 Minuten Autofahrt entfernt, steht auch noch das Wort „tits“ im Schnee geschrieben. Die Raben plärren in das Tal hinein, als hätte ihnen jemand einen Wecker gestellt.

Ich rede nicht viel, wenn ich in Island bin. Weil’s da ja nichts zu reden gibt, wenn sich die Landschaft um einen herumlegt wie eine riesige Hand. Weil’s am Ufer der Meerenge keine Erklärungen braucht. Weil man nichts beschreiben muss, wenn jeder alles sehen kann. Weil man nicht reden muss, wenn. Die Schollen knistern zurück, ich habe gar nichts gefragt. Der Schnee weht von den Bergspitzen auf das riesige weiße Laken. Der Wind macht jedes Wort unhörbar, sobald man die Tür öffnet, und schiebt den Schnee über die Fahrbahn wie ein Déjà-vu. Unter den Dächern hängen angefrorene Schneekissen, die jeden Moment ohne Plan jemanden erschlagen könnten. Ein Hund schlittert übers Eis. Das Blau zwischen dem Weiß der Wolken und dem Weiß des Schnees, der auf dem zugefrorenen See liegt, greift direkt in einen hinein, sodass man sich beim Spurenlesen verzettelt. Als wir das Fenster öffnen da draußen zwischen den Tannen hören wir alles, vor allem aber hören wir nichts.