Weird fishes
„Die Dunkelheit im August ist die schönste aller Dunkelheiten. Sie ist nicht hell und offen wie die Dunkelheit im Juni, nicht so voller Möglichkeiten, aber auch nicht so verschlossen und abgeschottet wie die Dunkelheit im Herbst oder Winter. Das Vergangene, das Frühjahr und der Sommer, steht in der August-Dunkelheit noch immer offen, während man in das Künftige, den Herbst und den Winter, schon hineinsehen kann, und doch ist man noch kein Teil davon.“ (Karl Ove Knausgård)
Über zwanzig Jahre habe sie für ihn gearbeitet, sagt sie, während sie die Blumen einzeln aus dem Strauß im Eimer zupft und die Stiele in ihrer Hand neu arrangiert, er sei krank gewesen, die letzten zwei Jahre habe sie bei ihm gewohnt. Im Gästezimmer, gleich hier ein paar Straßen weiter. Nun sei er einfach gestorben. Eigentlich habe sie ja ihre kleine Wohnung in Marienfelde, die hat sie nicht aufgegeben, immer mal sei sie zurück zum Blumengießen. Aber sogar übernachtet habe sie hier, man habe ihn ja nicht mehr allein lassen können. Mittags habe sie den Blumenladen abgeschlossen, um ihm etwas zu kochen und abends natürlich. Bei ihr zu Hause sei es so still jetzt, sie müsse sich erst einmal wieder einleben. Wenigstens habe sie das Auto noch. Und der Kioskbesitzer, von dem habe sie sich eben Fotos vom Handy abfotografiert. Von ihr und ihrem Chef. Erst vor ein paar Tagen habe er die von den beiden gemacht, da hat er noch gelebt. Sie könne ja nicht einfach in seinen Schubladen wühlen da oben in der Wohnung, sowas mache sie nicht. Aber die Bilder seien schön, was zu haben, was man angucken kann, das sei ja wichtig. Andenken. Dass immer alle krank werden, sagt sie und seufzt. Auf das Papier für die Blumen sind Rosen gedruckt. Dann setzt sie sich wieder nach draußen, der Spätiverkäufer wartet auf einem der beiden Plastikstühle. Dort setzt sie sich wieder hin, winkt mir noch einmal. Den Verlust sieht man den wenigsten an.
Morgens kurz nach dem Aufstehen direkt ins Becken. Das sei der beste Moment, sagt R., mit dem Kopf unter Wasser, das mache alles leer, alles frei, alles verschwunden. Ein paar Bahnen später riecht man den frisch gebrühten Kaffee über der Stadt, in der Auslage Eibrötchen mit Petersilie.
Als wir mit dem Negroni draußen sitzen, kommt die kleine Frau mit dem roten Kopftuch und der Plastikmappe vorbei. Darin Folien mit ihren Zeichnungen und Bildern. Manche mit Buntstift, eins mit Tinte, manche mit Bleistift. Bei einem Laden in der Nähe würde sie die Drucke machen lassen, ob man ihr nicht eins abkaufen wolle. Nach dem Film sitzen wir ein paar Meter weiter, wieder draußen und eine jüngere Frau kommt vorbei, sie fragt nach Geld, neben uns auch die kleine Gruppe Menschen auf der nächsten Bank. Der eine mit den weißen Turnschuhen, die aussehen, als sei die Socke schon eingenäht, steht als einziger der Gruppe, die anderen sitzen. Als die junge Frau kommt und um eine Spende bittet, schaut er sie und fragt: „Na, kannste denn was?“ Sie lächelt verlegen, schaut auf den Boden, er fragt sie, woher sie kommt, sie murmelt. Am Ende gibt er ihr etwas, aber das Unbehagen ist ihr anzusehen.
Das Meckern sei nur seine Art des sich Wunderns, sagt Opi.
Auf dem Heimweg über den Mauerstreifen und die Friedrichstraße mit Absicht langsamer fahren, weil die Wolken sich türmen, so klar und gleichzeitig ungestüm, als wäre das Meer direkt um die Ecke, diese Tage sind die schönsten in der Stadt. Diejenigen, die auf der Brücke kurz anhalten und übers Wasser schauen, aufs Bodemuseum und den Fernsehturm, die wissen’s auch. Weiter hinten drehen sich Touristen um und schauen verwundert, denn die ganze Friedrichstraße riecht nach Pferdemist.