Die neunundvierzigste Woche Jahr #3

Marmor

A. sitzt auf dem Dach des Autos, das Auto steht auf der Brücke und Anne steht in dem Kleid wie in einem Raum, den sie schon lange kennt. Ihre Haare wehen so, dass man sie begreift, aber ihr nicht in die Augen sehen kann, das macht sie immer, wenn sie neu ist auf einer Brücke oder anderen Orten, von denen man einen Ausblick hat. Es ist einer von diesen Tagen, an denen einem abends nicht kalt und nicht warm ist und Temperatur nur so eine kleine Rolle spielt wie der Atem, solange er funktioniert, einer von diesen Tagen, an denen Wetter so an einem dran passiert, dass die Grenzen verschwimmen und man ganz darin aufgeht ohne aus der Form zu fallen. Einer von diesen Tagen, an denen man die Hand aus dem Fenster streckt, an dem man fahren kann, wohin man will und niemand sagt Nein oder Aber oder von Irrtum spricht. Einer von den Tagen, an denen es keinen Irrtum gibt, sondern jede Bewegung richtig ist und jedes Licht und wenn das Licht fertig ist mit dem Tag, dann ist auch das genau richtig und man hört nur noch den Stoff ihres Kleides und weiß, aus welcher Richtung der Wind kommt, weil man den Zigarettenrauch riechen kann. Einer dieser Tage, an denen ein Ausblick genug ist und wir nicht mehr wollen als solange sitzen zu bleiben, bis das Licht wiederkommt, weil es ja gesagt hat, es müsse nur mal eben etwas erledigen, es wird kommen und das ist einer dieser Tage, an denen man sich darauf verlassen kann, an denen stimmt, was gesagt wird ganz gleich, ob es morgen noch gültig ist. Auch dieser Tag wird wiederkommen, er muss nur kurz etwas besorgen, glaub mir, wir warten hier, du hast doch Feuer und Blättchen und nein danke ich rauche nicht, aber du bist versorgt und ich bin okay und damit halten wir es auf diesem Geländer noch eine Weile aus; eine ganze Zeit.

Nachts auf dem Weg nach Hause ist der Schriftsteller weg und stattdessen sitzen uns zwei ältere Herren gegenüber, der eine hat diese Abstand zwischen den beiden Schneidezähnen, den man bei Fotomodels und Teenagern immer gut findet. Er ist jetzt älter, vielleicht Mitte 50, man muss zweimal hinsehen, um sich zu erinnern: Ach, diese Zahnlücke, die geht auch später nicht weg. Und man kann nicht sagen, ob die beiden betrunken sind oder auch nur angetrunken, oder ob sie immer so reden, so nebeneinander her. „Mit dem Auto weiß ich auch immer nicht so Bescheid. „– „Naja, Hauptsache U-Bahn.“– „Ich bin da einfach absolut unentschlossen, man weiß nie, woran man ist.“– „Im Moment ist es einfach nur teuer.“ – „Und wird auch nicht billiger werden.“– „Früher hätte man gesagt, kauf ich und jetzt hätte man es für das Doppelte verkaufen können.“ – „Ja, das geht nicht mehr. “ – „Das geht schon lange nicht mehr.“ Sie könnten über alles sprechen. Konservengemüse. Die große Liebe. Anlageberatung. Das Sterben. Fermentation.

„Sie schaut nach Flügen für den Januar. Oder nach Flügeln.“

„Körner machen fett“ steht an der Hauswand kurz hinter der großen Kreuzung. Die Sonne scheint über den Platz und alle Menschen auf der einen Straßenseite verziehen das Gesicht. Auf der anderen Straßenseite läuft niemand. Alle versuchen einander zu erkennen, einer bleibt stehen, schließt die Augen und wird von allen überholt. Die Düsenjäger spielen Käsekästchen am Himmel.