Die siebenundvierzigste Woche Jahr

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Das Unternehmen von Sophia Amoruso hat Insolvenz angemeldet. Während sie in ihrem Podcast immer wieder mit Frauen über Erfolgsgeschichten spricht, frage ich mich, wann sie selbst über diesen Fall des Scheitern sprechen wird. Ob sie es überhaupt tun wird. Sie fragt die Frauen in ihrem Format immer nach ihrem ersten Job, ihren Strategien, darüber, wie sie mit ihren Angestellten umgehen, was ihnen wichtig ist. Dabei wird es häufig plattitüdig, manchmal aber eben auch nicht. Über Fehler oder etwas, das schiefgeht, spricht sie selten. Es wäre schön, wenn sich das nun ändern würde. Es täte gut, wenn es mehr Umgebungen gäbe, in denen realistisch über Strategien gesprochen würde, die zum Tragen kommen, wenn etwas auseinander fällt. Wenn etwas wirklich nicht klappt. Wenn Vorstellungen, Erwartungen oder Träume zerplatzen. Wie man mit eigenen Fehlern umgeht. Was mit Kritik passiert. Wo man all das hinlegt danach. Wie man das durchwalkt. Und ob überhaupt. Bis jetzt geht es häufig, wenn überhaupt über das Scheitern von Frauen gesprochen wird, immer nur über das Scheitern als Chance. Da passiert dann nach der Katastrophe etwas ganz Tolles, am Ende haben immer alle ganz viel gelernt und würden ihr Leben nie wieder anders haben wollen. Von der Frustration dazwischen, dem Breakdown, von dem Gefühl wirklich nicht zu wissen, wie es weitergeht, von der Situation einer Insolvenz, die niemand in der Umgebung mit viel Geld retten kann, davon wird selten erzählt. Und ich möchte all die Geschichten nicht aus Sensationslust hören, sondern weil ich glaube, dass es trotzdem wichtig ist, diejenigen zu hören, denen das passiert. Nicht immer nur über sie zu reden, sondern mit ihnen. Selbst das Gefühl zu haben, sich dazu äußern und öffnen zu können. Denn auch in den sehr schicken, aber doch sehr regelmäßigen Podcasts von Amoruso erkannte ich nach einer gewissen Anzahl Parallelen, tauchten bestimmte Situationen immer wieder bei mehreren Frauen auf, die unterschiedlich damit umgegangen sind, wurden die Gespräche allein aus ihrer Anzahl heraus zu einer Art Lexikon. Nun eignen sich Katastrophen so selten als prima vermarktbare Anleitung. Aber vielleicht ist genau das ein Punkt, den man nun ändern könnte. Nicht um des Profits Willen, sondern weil es noch keiner so richtig macht und alle immer so drumherum eiern.


Mit anderen Menschen mal wieder über das Schreiben sprechen. Für wen macht das macht, wann, wer welche Routinen hat. Allein das Lesen der anderen Erzählungen macht wieder Lust, sich dann doch freizuschaufeln. Ein paar Minuten im Tag, ein paar Worte im Kopf. Was die letzten Wochen alle gemein haben, so anstrengend und laut dieses Jahr auch war, nun laufen ein paar Fäden und Menschen zusammen, die Gespräche beginnen jetzt im kollektiven Zittern. Aber auch hier beobachte ich, dass die meisten in ihrem Schreck so sehr in sich selbst verharren, ist das so eine Großstadtgeschichte? Dass wir vergessen haben, wie es geht, andere Menschen zu sehen? Uns in Vereinen und Parteien mit Leuten auseinanderzusetzen, die wir so schlecht aushalten können wie die anderen Eltern beim Elternabend? Dass wir es hier so leicht haben, Menschen zu finden, die so sind wie wir, und deswegen den Luxus haben, einfach weggehen zu können und nicht zuhören zu müssen?


Dann die Eisenbahn sehen und das Lied für A. und dann fällt einem alles aus dem Gesicht. Wenn nicht jetzt, wann denn sonst. „Es ist so einfach wie Räuberleiter“. Wie sich auf dem Hof vom Astra nun mehr und mehr Jahre übereinander stapeln, all diese Sommer und Winter und all diese Lieder mit den Menschen darin, nur dass man niemals von der Seite wird draufschauen können und sie alle unterscheiden, sondern sich alles vermischt die ganze Zeit. Das hört ja nicht auf. Auf dem Weg nach Hause ist aber die Brücke noch da, nur die Lichter sind verrutscht, die nahen und die in der Ferne. Wie im Kaleidoskop, das jemand um ein paar Millimeter gedreht hat.