Die zehnte Woche Jahr
Jeden Tag stehen Geflüchtete vor dem Hotel, in kleinen Gruppen, mit scheuen Augen. Nur selten steht jemand allein davor. Manchmal sitzt jemand unter dem kleinen Dach auf der Treppe und telefoniert leise, oder tippt etwas ins Mobiltelefon. Das ist aber selten. Die meisten haben die Hände in den Taschen irgendeiner Jacke, die Arme an den Körper gepresst, sich schüchtern umschauend. Nur die kleinsten Kinder laufen manchmal rückwärts, breit lachend, bis gegen andere Beine oder einen Poller. Man kann den anderen Passanten ansehen, dass sie nicht wissen, wie sie schauen sollen. Dass ihnen etwas widerfährt, wenn sie die kleinen Gruppen Menschen von Weitem sehen, die Gedanken sieht man ihnen nicht an, aber dass sich etwas in ihrem Körper verändert, weil sie überall von Menschen lesen, die jetzt kommen, aber selten welche sehen. Da sind sie.
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Manchmal geht das Handy aus, während ein Podcast oder ein Song läuft. Dann stoppt es einfach für fünfzehn bis dreißig Sekunden. Als wolle es einem Platz zum Denken lassen. Manchmal bin ich enttäuscht, wenn es wieder angeht.
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Ich komme später nach Hause, das dunkle Blau ist gerade erst zu einem dunklen Grau geworden, in dem noch ein Rest hängt, alle Läden bis auf den Späti haben geschlossen, das Alibi-Casino auch. Am Anfang der Straße liegt ein Briefumschlag zwei schwarzen Punkten auf der Rückseite. Erst beachte ich ihn nicht wirklich, doch ein paar Meter weiter liegt noch einer, und weiter vorn unter der ersten Laterne der Straße liegen sechs. Alle aufgerissen, alle leer, die Punkte wurden mit Filzstift auf die Rückseite gemalt, alle liegen verteilt, ich erkenne weitere hellgraue Rechtecke am Boden die Straße hinunter. Irgendjemand wollte etwas sagen.
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Es ist gegen acht, als ich an der Straßenecke warte, von der aus man direkt in die orange gestrichene Küche schauen kann. Die Küchenzeile ist aus hellbraunem Holzimitat, an der Wand hängt eine weiße Uhr, die stehen geblieben sein muss, auf dem Fensterbrett steht eine dieser gummiartigen dunkelgrünen Zimmerpflanzen mit den lacken Blättern, auf die ich als Kind immer die Murmeln gesetzt und runterrollen lassen habe. In der Küche steht eine ältere Frau in einem beigen Pullover, blonde, kinnlange Locken. Sie räumt herum, vielleicht schneidet sie etwas oder wäscht ab, jedenfalls schaut sie angestrengt auf das, was da vor ihr geschieht und was ich nicht erkennen kann, ihre Schultern bewegen sich, manchmal schaut sie flüchtig durch den Raum, die Gardinen verdecken hin und wieder ihr Gesicht, sie schwitzt im Nacken. Dann greift sie nach einem Handtuch, fährt sich damit über den Hals, trocknet sich die Hände, zieht sich die Haare von ihrem Kopf. Mit dem Handtuch wischt sie sich über die Kopfhaut, die Perücke legt sie beiseite. Dann macht sie weiter.
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Am Sonntag begegne ich einem Dackel im Regenmantel. Man kann die Feuchte riechen, ein sehr kleiner Wald.
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Ein Paar macht seine Hochzeitsfotos in der Abendsonne auf dem kleinen Stück Rasen am Halleschen Tor. Vor der Amerikanischen Gedenkbibliothek steht ein Mann in Jeans vor dem kleinen Baum und macht Yoga, hinter ihm der große Lesesaal. Alle warten, der Winter geht.
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Sie haben das Haus gegenüber der rot gestrichenen Polizeistelle abgerissen. Ich kannte es, seit frühester Kindheit, vor allem den kleinen Spielzeugladen. Er hatte ein kleines Schaufenster und alles war über und über mit Zeug vollgestopft, sodass es dunkel wurde, sobald man den Laden betrat, der kleine Raum war bis zur Decke hin zugestellt, Kuscheltiere, Puppen, Autos und Schreibwaren. Ich liebte diesen Ort, obwohl ich selten etwas kaufen konnte, man trat durch die Tür und alles war möglich, man atmete den Duft von Plastik und Farbe, Holz und Süßigkeiten, Staub und Schweiß, die Möglichkeit der Auswahl und der Entscheidung, das Ansehen des Überflusses genügte mir schon, ich saugte ihn ein und hielt die Luft an, solange es ging.
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Es gibt diese zwei älteren Leute, die jeden Tag in ihrem immer leeren Burgerladen sitzen. Als der Laden neu war, standen sie gemeinsam am Tresen in der hinteren Ecke. Nach und nach rückten sie weiter nach vorn. Jetzt stellen sie das Schild nach draußen und sitzen direkt hinter der Scheibe daneben. Mit wild gemusterten Tassen vor sich, immer schweigend, die Arme verschränkt, die Haut leicht grau, ich sehe sie nie reden. Sie sitzen so nah an der Scheibe, dass man sich manchmal erschreckt, wenn man vorbeigeht.
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Vor dem Fußballplatz stehen ein Korbsessel, eine kleine Kommode, zwei große Zimmerpflanzen und einige Platten in einem Pappkarton herum. Alle sind blau angemalt. Nicht nur ein bisschen blau, sondern deckend mattblau, sodass man nichts mehr von der eigentlichen Farbe der Gegenstände erkennt, an einigen Stellen platzt das Blau bereits ab und liegt in kleinen Schuppen auf dem Pflaster. Dabn di da da.