Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Monat: November, 2015

Lumen

Lumen

Ich stelle mich mit dieser Glühbirne an, als ginge es um was. Als bräuchte ich einen wirklich guten Moment, um die Leiter hervor zu hieven, drauf zu steigen, die Lampe abzuschrauben, die alte Birne rauszudrehen, runter zu steigen, die Leiter wieder zu verstauen, weil das Badezimmer mit aufgeklappter Leiter unbenutzbar wird, wenn man es erst einmal geschafft hat, die Leiter in diesem wohlgeformten Badezimmer überhaupt so aufzustellen, dass man sich selbst und die Einrichtung nicht kaputtmacht bei Besteigung. Jedenfalls stelle ich mich an und ich weiß wirklich nicht, wieso. Ich bin in der Lage, halbwegs komplexe Dinge zu tun den Tag über, ich sortiere und ordne, ich formuliere und erinnere, ich gebe durch und leite weiter, ich tausche aus und bastle um, ich denke und ich spreche und ich mache es so, dass irgendetwas dabei herauskommt, manchmal rette ich Menschen vor dem Ertrinken (ist das schon ein Talent?), aber ich bekomme es nicht hin, diese Glühbirne auszuwechseln.

Morgens habe ich sehr viel damit zu tun, mir eine Mahlzeit zuzubereiten, dem Wetter angemessene Kleidung auszuwählen und so an mir zu befestigen, dass sie nicht abfällt den Tag über. Ich denke jedes Mal, wenn ich morgens das provisorische Licht im Bad einschalte: „Jetzt könnte ich’s eigentlich machen“, das mit der Leiter. Aber meistens kommt eine Müdigkeit dazwischen, ein Einfall, häufig ein Gefühl, eine kleine Lethargie, die sich betonähnlich in mir ausbreitet, wenn ich den Kopf in den Nacken lege und an das Quietschen der Metallleiterstufen denke. Mittags bin ich nicht im Hause und wenn am Wochenende doch, passieren häufig so viele Dinge innen und außen, dass es mir unmöglich ist, diese Leiter für das zu benutzen, für das sie gedacht ist, oder gar einen Baumarkt zu besuchen, um das richtige Leuchtwerk auszuwählen, Essen kann ich einkaufen, gar kein Problem, manchmal sogar allerlei Unsinn oder beinahe praktische Dinge, nur die Glühbirne vergesse ich seit mittlerweile zwei Wochen. Und abends ist es sowieso immer zu spät für alles. Vermutlich werde ich die Birne erst auswechseln, wenn ich mir ob der mangelnden Helligkeit einen ernsten, körperlichen Schaden zugefügt habe, wenn es wirklich gar nicht mehr geht, wenn es draußen noch dunkler und so wenig heimelig geworden ist, dass selbst im Bad die alte Ordnung hergestellt werden muss, um überlebensfähig zu bleiben, erst dann. Vielleicht. Es geht da um was. Ich spür’s.

Wieder

Rehberge

Das Herantasten funktioniert ja häufig am besten, wenn man es einfach tut, sich nähert, wieder notiert, egal ob von Belang oder nicht, es verändert den Blick und der Winter, der braucht das, das Kleine, Vernieselte, die Sätze aus dem Treppenhaus und der Etage, in der alle immer ihre Dinge ablegen, die sie nicht wegwerfen wollen oder sich nicht trauen, vielleicht aus einer Scham vor sich selbst, denn „das ist doch noch gut“, vielleicht aus dem ehrlichen Wunsch „jemand anders könne sich freuen“ anstatt der Hoffnung, jemand werfe es für einen weg. Das tun die wenigsten, etwas wegwerfen für andere, nachbarliches Erbarmen als Satzzeichen.

Kennen Sie das eigentlich? An manchen Tagen bin ich so klein, dass das Licht im Bürotoilettenraum mich nicht erkennt, ich muss dann hüpfen, um nicht im Dunkeln zu stehen. An anderen Tagen brauche ich nur zu atmen und der Sensor des Desinfektionsmittelspenders erkennt mich und tropft scharfe Flüssigkeit auf den Boden.

Kennen Sie das? Sich nicht nur am, sondern im Leben fühlen (wieder).

Und am Wochenende Schnee.

Temporäres

Boulangerie

Wir betraten den Laden in Mitte, vor dessen Tür Teppich verlegt und knödelige Absperrseile aufgehängt wurden, um Eindruck zu schinden dort, wo eigentlich jeder einen eigenen Teppich vor sich herträgt und an jeder Ampel ausrollt, um ihn bei Gelb wieder umständlich zusammenzufalten. Wir betraten den Laden, der einen eigenen Sicherheitsmann auf dem Teppich vor der Tür stehen hatte, denn wir leben in Tagen, da braucht ein Laden mit französischem Namen einen Sicherheitsmann oder zumindest das Gefühl, es gäbe einen. Vielleicht war auch der Sicherheitsmann ähnlich wie der ältere Herr in Schürze nur ein gecasteter Schauspieler. Der ältere Herr mit gräulichem Haar kam sofort hinter der Theke hervor gehuscht, glättete sich mit den braun gebrannten Händen erst die Schürze und dann erklärte er das Konzept des Ladens, der eigentlich kein Laden war, sondern eine Kampagne. Ein Modell, in der Agentur hatte man diesen Laden wohl eine Idee genannt und dann wortwörtlich umgesetzt. Es ist jedoch nicht so einfach einen Gedanken umzutopfen und manchmal braucht man mehr dafür als einen Kachelboden aus PVC, mehr als holzvertäfelte Wände und Menschen mit Schürzen und Trockenblumen in Flaschenvasen und mehr als grob geschnittenes Brot, das die Biokette hergestellt hat, und mehr als Marmelade mit Schnaps darin, um den es in der sogenannten Idee eigentlich gehen sollte.

Wir standen also verloren in dem Laden, der eigentlich kein Laden war, wir hatten doch eine Bäckerei erwartet und irgendetwas anderes, draußen wehten dem Sicherheitsmann die Haare ins Gesicht, (der Sturm heißt „Heini“, habe ich gelesen) und man reichte uns kleine, bedruckte Tüten mit zwei Baguettestücken und einem Gläschen Marmelade darin, Kaffee gab es nicht, aber die Marmelade hätte man in Gläsern einer Größe kaufen können, dass sie für drei Jahre genügt. Wasser gab es in wohlgeformten Gläsern neben den Trockenblumen, neben der in der Agentur sicherlich als Vintagekasse bezeichneten Bezahlapparatur, die aber keinen Job hatte und vermutlich auch nicht mehr funktioniert. Und wir standen also darin und betrachteten die Stühle und Tische, an die sich niemand setzen wollte, weil man sich ja nicht in eine Idee setzt, in einen Laden vielleicht, aber nicht in den Plastikblumentopf einer Idee, und wir lächelten verlegen und wollten das Baguette natürlich dennoch probieren und flüsterten gerade, als ein Mann den Laden betrat, ebenfalls älter, mit schnellem Schritt und etwas außer Atem: „Oh“, sagt er, „oh!“

Und der gecastete Herr setzte wieder zu seinem Vortrag an, der keine Varianten, sondern nur einen einzigen vorgegebenen Ablauf hatte, aber er kam gar nicht dazu, ihn vorzutragen (zu sagen, er würde ihn abspulen, wäre gemein), denn der eingetretene Mann, ich vermute, er wohnte in der Gegend, fing sofort an zu fragen: „Das bleibt doch hier, oder? Was kann ich kaufen? Das ist gutes Brot, das Getreide kenne ich! Wie lange haben Sie geöffnet? Oh wie schön, oh wie schön, sowas brauchen wir“ und er betrachtete die Wände mit großen Augen und die Wandmalerei mit dem Markennamen des Schnapses auch und er wusste gar nichts damit anzufangen, er war einfach davon ausgegangen, das hier sei ein neuer, ganz normaler Laden, er wusste nichts von der Idee irgendeiner Agentur, nichts von Viralität oder Pop-Up-Store-Konzepten, er hatte einfach keine Ahnung, ihm gefiel die neue Farbe des Erdgeschosses, ihm gefiel der zumindest gekachelt wirkende Boden, er wollte sprechen, also sprach er: „Ich komme nächste Woche wieder!“, und als der gecastete Herr mit seiner Schürze und seinen Artikulationshänden antwortete „Das geht aber nicht, wir sind nur bis Freitag hier, das ist ein-“, da verstand er ihn nicht, da wusste er einfach nicht, was das soll und sagte noch einmal: „Ich komme nächste Woche wieder, das ist doch prima, dass sie da sind!“, er wollte nichts wissen von nur vier Tagen Öffnungszeit, wie soll man auch eine Idee von einem Wunsch unterscheiden, wie soll man all die Risse auch sehen?

Daneben

Hand

(Wen anrufen?) Es sitzt dort, wo das Sodbrennen entsteht. (Wen sehen?) Es ist keine Angst, es ist eine Ahnung. (Wohin gehen?) Eine Annäherung an Orte, an denen man sonst nicht ist. (Wen festhalten?) Jemand hat an der Verbindung gezupft, zu denen, die man liebt. (Was tun?) Es ist die Skizze von etwas, das man selbst noch nicht erlebt hat. (Was fühlen?) Als habe man schon und noch nie davon gehört. (Wem zuhören?) Es schluckt Worte. (Was zulassen?) Es vervielfacht Schulterblicke. (Was zurückhalten?) Es flackert. (Was nachlesen?) Es verweigert sich. (Was fragen?) Plötzlich sehen wir mehr und weniger zugleich.