Es gibt einen Punkt im Leben (interessant wird es, wenn man sich wie ich vertippt ((oder verliest)) und das t im Punkt vergisst, and sometimes it’s funny cause it’s true), vielleicht sogar manchmal mehrere, da kapiert man plötzlich, wovor man die ganze Zeit Angst hatte. Meistens liegt dieser Punkt dort, wo die Angst unwiderruflich vorbei ist. Diese zähe Angst, die sich nicht zerkauen und runterschlucken lässt, die zu groß ist, um sie verschwinden zu lassen und zu diffus, um sie zu fassen, die einhergeht mit einem schlechten Geschmack im Mund und einer randalierenden Faust im Bauch, diese Angst, die sich in den Kiefer setzt und ihn zum Knirschen bringt und vor der man solche Ehrfurcht hat, weil sie macht, dass man vergisst, wie es ist, ohne sie zu sein. Und ja, irgendwann ist man so weichgeklopft, dass man mitunter sogar denkt: Lieber diese Angst als gar nichts. Wenn man Glück hat, fällt genau in diesem Moment ein Klavier vom Himmel und man erschreckt sich so sehr, dass man die Angst einfach ausspuckt. Wenn man sie dann plötzlich von außen anschauen, umrunden, der Witterung aussetzen, von oben sehen und in Relation setzen kann, ändert sich alles, das Gefühl im Zahnfleisch, die Fähigkeit sich klar zu artikulieren, der Blick aus dem Fenster, der Schlaf. Als hätte jemand nachts ohne zu fragen die Fenster geputzt und man kann plötzlich wieder sehen und jemand anders fragt an der Haltestelle, ob alles okay ist, weil man erst so gehustet hat und dann so geschaut, und man sagt ohne darüber nachzudenken „Ja, es ist alles okay“ und erst später merkt man, wie ernst das eigentlich gemeint war, wie sehr es stimmt. Und ein paar Tage später wird man mit dem Bus noch einmal an der Stelle vorbeifahren, sich immer noch sicher, in Gedanken mit Bleistift umranden, wo man stand, wo man noch einmal auf die Uhr gesehen hat, an welcher Stelle man noch nicht wusste, was gleich passieren würde, aber man wird nicht den Stein markieren, an dem der Rest von der Faust klebt, denn man weiß, er wird in ein paar Tagen ohnehin den Dreck der Stadt angenommen haben und die Temperatur der Jahreszeit und vor allen Dingen wird er sich festtreten und irgendwann einfach keinen Unterschied mehr machen, irgendjemand wird über ihn drüber fahren, auf ihn kotzen, die Sonne wird scheinen und nach ein paar Stürmen wird er einfach vergangen sein. Denn „die Wahrheit ist, dass man eine Vorstellung (gleich wie groß sie ist) nur so und so oft falten kann, dafür gibt es ein physikalisches Gesetz, das hat etwas mit Dichte zu tun und Widerstand.“
Was mitunter passieren kann, ist, dass genau dann neben einem im Bus woandershin ein Buch liegt, das von der Ent-Täuschung, von Wahrnehmung und Parasiten erzählt, von der Angst und dem Sich-Davon-Losmachen, dem Ausspucken, dem Weggehen, und zwar so, dass es jeder versteht.
„Er war ein ““ ein zuversichtlicher Mensch. Ich meine nicht, dass er die Dinge leichtnahm. Er machte sich oft Sorgen, um mich, um Louise, auch um Paul. Aber er war zuversichtlich, und wenn man genug Zeit mit ihm verbrachte, dann wurde man es auch. Er war niemand, der glaubte, dass alles gut werden würde, aber er glaubte, dass immer etwas gut werden würde, ein Teil des Ganzen. Und plötzlich schien es nicht länger wichtig, dass der Rest vor die Hunde ging. Es war auszuhalten, wenn er da war, man glaubte daran, es aushalten zu können. Ich weiß nicht, von wem er das hatte, von mir nicht. Und auch nicht von seinem Vater.“ (…) „Habe ich jetzt genug erzählt?“ Als er sieht, dass sie Anstalten macht aufzustehen, schnellt sein Arm vor, seine Hand legt sich auf ihre. Anders als bei der letzten Berührung ist sie auffällig kalt und wächsern. Es fühlt sich an, als trüge er Einmalhandschuhe. „Nein, eins fehlt noch“, sagt er. „Das Wichtigste. Ich will verstehen, warum du dir so sicher bist. Warum du keine Angst hast, dich zu irren – in mir.“ Agnes presst die Lippen zusammen. Weil Sie nicht aussehen wie mein Sohn, will sie sagen. Weil Sie nicht sprechen wie mein Sohn, sich nicht bewegen wie mein Sohn, nicht riechen wie mein Sohn. „Weil ich hier mit Ihnen sitze und Ihnen zuhöre und Sie ansehe und mich nicht zuversichtlich fühle“, antwortet sie.
(Der Roman „Der Dieb in der Nacht“ von Katharina Hartwell, aus dem die kursiven Textstellen stammen und den ich hiermit ausdrücklich empfehle, erschien am 31.08. im Berlin Verlag)