Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Monat: September, 2015

Nephologie

Clouds

Als Mensch, der gern auf Wolken schaut, hat man dieser Tage eine gute Zeit. Wenn man den Kopf in den Nacken legt, sieht es ständig aus, als würde jemand euphorisch Theater spielen, als habe jemand um sich geworfen mit Kissen und Farbe, manchmal, als würde sich jemand versöhnen (mit etwas, mit jemand anderem, mit sich). Und wenn man nicht, sobald die Häuserfront an einer Kreuzung unterbrochen wird und man direkt in das Orangerotblaulila starrt, das sich zwischen die Fassadenkanten legt, vom Rad steigt, weil man so nicht fahren kann, wenn man sich beeilt, um noch vor Ende dort zu sein, wo keine Häuser sind, dort zu sein, wo man den Himmel nicht nur in Streifen sieht, sondern ausgelassen, wenn man es bis dorthin schafft, bevor das Drama sich wieder verzogen hat, kann man sich hinsetzen und den Kopf auf die Hände stützen und sich fragen, warum man eigentlich nicht raucht, weil das so ein Moment wäre, in dem man eine rauchen und sehr tief einatmen und fühlen könnte, wie das Gefühl, das auf den Zug folgt, sich im Körper verteilt und einen Ort sucht, man kann dann sitzen und trotzdem sehr tief einatmen und wieder ausatmen, vielleicht sogar hörbar, und sich vornehmen, das häufiger zu tun, wieder mehr so zu atmen, dass man es selbst hört, und dann kann man sich sicherer werden in der Vermutung, dass Mittelbarkeit einen hier und da rettet, dass nur etwas passiert, wenn man nicht so nah an allem steht, dass einen nichts mehr streifen kann.

In der unmöglichen achten Faltung

Der Dieb in der Nacht

Es gibt einen Punkt im Leben (interessant wird es, wenn man sich wie ich vertippt ((oder verliest)) und das t im Punkt vergisst, and sometimes it’s funny cause it’s true), vielleicht sogar manchmal mehrere, da kapiert man plötzlich, wovor man die ganze Zeit Angst hatte. Meistens liegt dieser Punkt dort, wo die Angst unwiderruflich vorbei ist. Diese zähe Angst, die sich nicht zerkauen und runterschlucken lässt, die zu groß ist, um sie verschwinden zu lassen und zu diffus, um sie zu fassen, die einhergeht mit einem schlechten Geschmack im Mund und einer randalierenden Faust im Bauch, diese Angst, die sich in den Kiefer setzt und ihn zum Knirschen bringt und vor der man solche Ehrfurcht hat, weil sie macht, dass man vergisst, wie es ist, ohne sie zu sein. Und ja, irgendwann ist man so weichgeklopft, dass man mitunter sogar denkt: Lieber diese Angst als gar nichts. Wenn man Glück hat, fällt genau in diesem Moment ein Klavier vom Himmel und man erschreckt sich so sehr, dass man die Angst einfach ausspuckt. Wenn man sie dann plötzlich von außen anschauen, umrunden, der Witterung aussetzen, von oben sehen und in Relation setzen kann, ändert sich alles, das Gefühl im Zahnfleisch, die Fähigkeit sich klar zu artikulieren, der Blick aus dem Fenster, der Schlaf. Als hätte jemand nachts ohne zu fragen die Fenster geputzt und man kann plötzlich wieder sehen und jemand anders fragt an der Haltestelle, ob alles okay ist, weil man erst so gehustet hat und dann so geschaut, und man sagt ohne darüber nachzudenken „Ja, es ist alles okay“ und erst später merkt man, wie ernst das eigentlich gemeint war, wie sehr es stimmt. Und ein paar Tage später wird man mit dem Bus noch einmal an der Stelle vorbeifahren, sich immer noch sicher, in Gedanken mit Bleistift umranden, wo man stand, wo man noch einmal auf die Uhr gesehen hat, an welcher Stelle man noch nicht wusste, was gleich passieren würde, aber man wird nicht den Stein markieren, an dem der Rest von der Faust klebt, denn man weiß, er wird in ein paar Tagen ohnehin den Dreck der Stadt angenommen haben und die Temperatur der Jahreszeit und vor allen Dingen wird er sich festtreten und irgendwann einfach keinen Unterschied mehr machen, irgendjemand wird über ihn drüber fahren, auf ihn kotzen, die Sonne wird scheinen und nach ein paar Stürmen wird er einfach vergangen sein. Denn „die Wahrheit ist, dass man eine Vorstellung (gleich wie groß sie ist) nur so und so oft falten kann, dafür gibt es ein physikalisches Gesetz, das hat etwas mit Dichte zu tun und Widerstand.“

Was mitunter passieren kann, ist, dass genau dann neben einem im Bus woandershin ein Buch liegt, das von der Ent-Täuschung, von Wahrnehmung und Parasiten erzählt, von der Angst und dem Sich-Davon-Losmachen, dem Ausspucken, dem Weggehen, und zwar so, dass es jeder versteht.

„Er war ein ““ ein zuversichtlicher Mensch. Ich meine nicht, dass er die Dinge leichtnahm. Er machte sich oft Sorgen, um mich, um Louise, auch um Paul. Aber er war zuversichtlich, und wenn man genug Zeit mit ihm verbrachte, dann wurde man es auch. Er war niemand, der glaubte, dass alles gut werden würde, aber er glaubte, dass immer etwas gut werden würde, ein Teil des Ganzen. Und plötzlich schien es nicht länger wichtig, dass der Rest vor die Hunde ging. Es war auszuhalten, wenn er da war, man glaubte daran, es aushalten zu können. Ich weiß nicht, von wem er das hatte, von mir nicht. Und auch nicht von seinem Vater.“ (…) „Habe ich jetzt genug erzählt?“ Als er sieht, dass sie Anstalten macht aufzustehen, schnellt sein Arm vor, seine Hand legt sich auf ihre. Anders als bei der letzten Berührung ist sie auffällig kalt und wächsern. Es fühlt sich an, als trüge er Einmalhandschuhe. „Nein, eins fehlt noch“, sagt er. „Das Wichtigste. Ich will verstehen, warum du dir so sicher bist. Warum du keine Angst hast, dich zu irren – in mir.“ Agnes presst die Lippen zusammen. Weil Sie nicht aussehen wie mein Sohn, will sie sagen. Weil Sie nicht sprechen wie mein Sohn, sich nicht bewegen wie mein Sohn, nicht riechen wie mein Sohn. „Weil ich hier mit Ihnen sitze und Ihnen zuhöre und Sie ansehe und mich nicht zuversichtlich fühle“, antwortet sie.

(Der Roman „Der Dieb in der Nacht“ von Katharina Hartwell, aus dem die kursiven Textstellen stammen und den ich hiermit ausdrücklich empfehle, erschien am 31.08. im Berlin Verlag)

This is water.

Sportgastein

Irgendjemand murmelte etwas in dem Moment, als wir uns entschieden, doch noch auf den Berg zu gehen, als das irgendjemand sagte und keiner mehr genau wusste, wer es eigentlich gewesen war, und es auch niemand gewesen sein wollte, in dem Moment wischten wir uns einander ohne uns zu berühren die Haare aus der Stirn, sahen uns an und dann doch wieder auf die Schuhe, gingen alle aneinander vorbei in fahrigen Bewegen, eigentlich müde, aber dann doch freudig aufgeputscht durch winzige Erwartungssplitter, die schon den ganzen Abend in Schnuppen vom Himmel fielen, und während zwischen den Stühlen und Liegen auf der Terrasse Platz für einige kühle Bodenkacheln blieb, war es nun, als hätten wir eigentlich schon den ganzen Abend nebeneinander gelegen, redeten wir nun, als hätten wir schon seit Stunden gesprochen, wurden wir leiser, aber nervöser, ich rannte mit dem Schienbein aus Versehen gegen den Blumenkasten, N. warf beinahe ein Glas herunter, irgendjemand vergaß immer wieder etwas oben im Zimmer, und am Ende schlurften wir halbfertig zu den Autos, halbnervös und halbmüde und halberfreut, und all das setzte sich auf dem Weg in neuen Kombinationen wieder zusammen, niemand blieb allein, kein Wort, kein Mensch, kein Glas. Und während unten im Ort die Lichter nach und nach weniger wurden, grub sich der Sportgang in den Asphalt, hielt ich mich hinten links am Sitzpolster fest, denn ich erkannte keines der Häuser aus den umliegenden Orten wieder, ich konnte nur sehen, dass es im Tunnel noch dunkler wurde, als es eh schon war, und irgendwann schalteten beide Autos erst das Licht aus und dann die Musik und niemand sprach mehr, wir hätten vermutlich ewig den Berg hinauf kriechen können, aber plötzlich hielten beide Wagen, plötzlich stürzten alle vom warmen Blech weg hin in das Dunkel, hier oben viel kühler, hin in das Schwarz, hier oben ganz weit, und erst nach ein paar Minuten leuchteten wir mit den Handys einander hinterher, ich zählte leise durch, alle da, neben uns die runde Kuppel wie ein UFO, über uns alles ewig. An Seilen zogen wir uns den mit Plane überspannten Hügel hinauf, zwei Weingläser zwischen die Finger geklemmt, jemand rief, jemand lachte, wir befanden uns irgendwo zwischen oben und unten, zwischen Ferienlager und 30 werden, zwischen keinen Schritt planen und irgendetwas ändern. Wir breiteten die Tischtücher notdürftig aus, legten uns aneinander, zwei drei Decken darüber, jeder schaute in eine andere Richtung, wir meinten, so würden wir nichts verpassen, aber irgendjemand verpasst immer etwas, es geht gar nicht anders, und einmal kurz fragte ich mich, vielleicht versinkt man so, wenn man das Gefühl hat, man wird völlig erdrückt von allem, was über einem ist, man kann nichts mehr bewegen, aber alles ist wunderschön und man darf sich etwas wünschen und man kennt niemanden, aber man ist nicht allein und man kann gar nicht umfallen und alles, was du siehst, ist vielleicht schon tot oder gerade geboren worden, ist vielleicht schon längst nicht mehr da, und alles, was du fühlst, hat nichts mehr mit Kontrolle zu tun und alles, was du atmest, ist anders als sonst und es ist kalt und warm zugleich.

Irgendwann später rutschten wir den Hügel auf den Hintern hinab, den Wald ahnend, die vom Tau nassen Decken zogen wir hinter uns her, N. legte sich eine über die Schultern wie einen Mantel, selbst hier oben trug sie immer ein Kleid, die Gläser alle da, die Flaschen nicht ganz leer, aber wieder durch den Tunnel und dahinter war der Himmel dann beinahe vollständig verschwunden. Es stimmt,I wish you way more than luck.