Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Monat: Juli, 2015

A lot of sorrow

St. Agnes

In Wiederholung steckt immer ein gewisser Grad an Hinwendung. Zu einem Moment, einer Tätigkeit, einer Erinnerung, einem Prozess. Manchmal zu einer Gewohnheit. Nicht per se ist Wiederholung ein Ritual, aber sie kann es werden. Die Wiederholung einer Bewegung ohne Ende kann einem Sicherheit geben oder einen in schlimme Aussichten stürzen, die Wiederholung eines Schmerzes kann sich hineinfressen, die Wiederholung einer Erinnerung kann sich über alles legen, was es sonst noch gibt. In Wiederholung steckt meistens ein Stück Verfolgung, auch wenn diese nicht immer bewusst verübt wird, der Gegenwert reicht nicht zu einer Unterbrechung aus. Wiederholung hilft dazu, vom Zufall zu unterscheiden. Was sich wiederholt, dessen kann man sich sicherer sein – egal, ob es gut oder schlecht ist, die Wahrscheinlichkeit, dass es in diesem Zyklus noch einmal geschieht, ist relativ hoch. Und ist kein Ende in Sicht kann man sich entweder auf den Faden verlassen oder sollte sofort umdrehen, das hängt von der Qualität der Faser ab, von der Farbe, vom Anfang seiner Struktur und wie er gespannt ist. Aber in Fortführung gleicher Muster steckt trotz allem Energie, nichts vollführt sich ohne Antrieb, jedenfalls nicht vollständig. Und am Ende hängt es immer noch vom Menschen ab, in welcher Wiederholung er verharrt, welche Wiederholung zur wohltätigen Gewöhnung werden darf und an welcher Stelle es sich lohnt, sich einmal komplett durchzuschütteln.

Was Wiederholung noch sein kann, ist Durchwalkung. Wenn du das Gefühl siebenundzwanzig Mal durchlebst, den Song dreiundvierzig Mal hörst, das Bild fünfundsiebzig Mal ansiehst, macht das etwas mit dir. Du kannst dich entscheiden, voll zu sein, keinen Eindruck mehr aufzunehmen und trotzdem nicht aufzuhören oder du kannst dich entscheiden in der Wiederholung eine Erleichterung zu finden, mit jedem Mal ein Stück loszulassen, abzuwerfen, aufzutragen, fortzukommen, voran. Wiederholung eignet sich entgegen der Meinung vieler sehr gut als Liste, solange sie ein Ende besitzt, die Wiederholung wird nur zu guten Übung, wenn sie ein Ziel hat, ein Momentum, in dem sie sich selbst abschafft. Wiederholung, deren Ende absehbar ist, kann dich ins Jetzt zurückholen und danach freigeben. Wiederholung, deren Ende du selbst setzt, bevollmächtigt dich in Gänze.

Und so kommt es, dass sich in der Wiederholung eines Liedes in sechs Stunden andere Gefühle verstecken als in der Einzelversion von drei Minuten und fünfundzwanzig Sekunden, ein einziges Mal kann gar nicht leisten, was Wiederholung vermag. Deswegen brennt sich Chronisches ein, deswegen glaubt man jemandem mehr, der sich und seine Worte über eine Zeit hinweg einlöst, deswegen streicht man Menschen nicht nur einmal, sondern mehrfach über den Rücken, wenn es ihnen nicht gut geht, deswegen bleibt man zusammen. Sicher hat Einzigartigkeit, ein Moment seine Berechtigung, in ihm selbst steckt, was in der Abfolge nicht herauskommt, denn Anfang und Ende sind in ihm viel größer und stehen in einem anderen Verhältnis zum eigentlichen Ablauf.

Sitzt man vor The National und sie singen wortwörtlich a lot of sorrow, gibt es keinen Grund wegzulaufen, es gibt aber viele, um sitzen zu bleiben für diese sechs Stunden. Jeder Schmerz darf hier hinein, jede Menge, jede Erinnerung, alles darf stattfinden und auch mehrfach wiederholen, du darfst schwitzen und weinen und schweigen und wütend sein und enttäuscht und traurig und irgendwo, wo du nicht mehr sein willst, weil du weißt, gleich ist alles vorbei, dann musst du nichts davon mitnehmen, dann hast du es so oft gefühlt, dass du es nicht mehr fühlen brauchst.

Ragnar Kjartansson & The National
A Lot of Sorrow
KÖNIG GALERIE in ST. AGNES

Chappuis Absorption

Pluto

Die Welt hat heute Pluto zum ersten Mal von Nahem gesehen. Und mir regnet es auf den Kopf, während ich auf dem Mittelstreifen der Urbanstraße stehe, kaum ein Auto vor oder hinter mir, aber oben zwischen den Baumschatten siebzig Grade von Blau, ich versuche das Lied zu vergessen, das mir seit Tagen im Kopf klebt und mich weich macht an Stellen, an denen ich das nicht gebrauchen kann. Jetzt, das ist neben der halben Stunde am Morgen das beste Licht, wenn man sich draußen aufhält (ist man drinnen, kann gleißender Sonnenschein ganz wundervoll aussehen, also wenn man ein Dach hat und eine Ecke, an der es vorbei fällt). Das Licht ist es, wenn die Menschen über den Himmel reden und das Blau wie noch nie, denke ich und warte noch länger und erinnere mich wieder an den Einfallswinkel des Lichts, denn der macht die Farbe, also doch keine Poesie, nur Ozon und wie das Licht damit umgeht. Ich schließe die Augen, ich warte, vielleicht bin ich ein Zwergplanet. Ich habe ein hydrostatisches Gleichgewicht, aber keiner kommt dran.

„In der blauen Stunde entfällt das direkte Sonnenlicht; übrig bleibt das Himmelsblau.“

Commotio cerebri.

Felden

Ein Jahr wie ein Leben, die Hälfte ist jetzt rum, von nun an ist einem alles egaler, sagen sie. Das ist die beste Zeit, sagen sie. Und ich halte meinen schwitzenden Kopf unter eine Pumpe, deren Schwengel mir auf den Kopf knallt. Eine Situation wie aus einem Comic mit Plonk und Sternchen und weil es so absurd ist, auch mit einem verirrten Lachen hinterher, einmal kurz nicht achtsam gewesen und schon hallt das Geräusch von Metall auf Knochen noch nächtelang nach, als hätte der Sommer mir eine gescheuert, aber keine Schlägerei, kein mit Bedacht gesetzter Schlag, sondern ein Schwächeln, ein Nachgeben des Wetters, zuviel Gravitation und dann auch noch mein Schwung, „das kann nicht gut enden“, sagen sie später in meinen Halbträumen, „das war ja klar“. „Akute, vorübergehende Funktionsstörung“, könnte man auch gut finden, wäre man in der Lage seinen Körper unfallfrei zu verlassen und die Dinge geordnet und klar von oben zu betrachten, kann man aber nicht, deswegen die Befindlichkeit nur mittelgut, als der Sommer sich danach in sich selbst übergibt, „etwas übertreibt“, ich beschwere mich nicht, ich liege in der Nacht, schwitze Laken durch, kann den Weg zum Kühlschrank im Halbschlaf (vermutlich schon immer), versuche, den Kopf ins Tiefkühlfach zu stecken, aber der Kühlschrank ist klein und der Kopf im Verhältnis (aber nur im Verhältnis) etwas zu groß, (kennst du das, wenn man meint zu spüren, wie das Gehirn an den Schädel klatscht?), und dann liegt man und merkt das Gepumpe von Blut und dem sonstigen Gelumpe, das durch einen hindurch muss, die Maschine läuft weiter, das kann sie ganz gut, das Jahr läuft auch weiter, das fragt man ja eh nicht, von nun an ist uns alles egal, „anterogade Amnesie wäre auch was für die Zeit nach Trennungen“, meinte L. neulich, „da könnte mal jemand ein Konzept für schreiben“, meinte sie noch hinterher und spuckte den Eiswürfel ins Gebüsch, „das hält man ja im Gaumen nicht aus“.

Dass wir vergessen und uns wieder wie selbstverständlich verlieren. In all den freundlichen Kleinigkeiten, die am Ende zählen werden. Essen und TV-Serien und Freunde, ein Kaffee auf dem Balkon, und der Hund, der nett schaut. Wir haben für Sekunden in die Hölle geblickt und sind gerade noch einmal davon gekommen.Es ist jetzt Juli, ein Jahr wie ein Leben, zur Hälfte vorbei, wir hecheln uns durch die Hundstage, wir beschweren uns nicht im gesprochenen Sinne, vom wortwörtlichen jedoch haben wir noch nicht genug Abstand, manchmal müssen wir uns vor Schaufenstern schütteln und wieder gerade hinstellen, man merkt das ja kaum noch, wenn man nur so geht. Ich habe dann wieder die Stimme der Ärztin im Ohr: „Vermeiden Sie ruckartige Bewegungen“. Okay, denke ich und lege mich sanft in die Kurve, so sanft und langsam, wie ich nur kann, das ist beinahe wie Einschlafen, aber auch das weiß man als Kind ja nie zu schätzen (wir sind jetzt erwachsen, auch wenn es nicht so aussieht), deswegen immer den Schildern nach, sanft in der Kurve, keine Eile, „das ist die beste Zeit“, sagen sie, „von hier aus kann man alles sehen“. Was war und was kommt und die seltsamen Menschen auf der Überholspur und das Getier am Wegesrand und man müsste doch ein Unmensch sein, würde einem nicht zumindest kurz schwindelig davon. Glaub mir, das Gewitter kommt bald und dann Fenster auf, Licht aus und warten.