Hell-Dunkel-Grenze
Ich fahre mit dem Fahrrad durch knietiefes Laub, es knistert, die Stadt ist völlig verwirrt irgendwo zwischen August und November hängengeblieben. Und während wir tagsüber in T-Shirts in der Sonne sitzen, klirrt abends die wahrhaftige Jahreszeit zwischen den Speichen. Mit den Lichtern des Krankenhauses kommt zurück, was immer noch nicht verdaut ist, der alte Sommer, der noch nicht ganz so ferne Winter, der sich in den Keller zurückgezogen hatte bis jetzt, denn nun kraucht er die Treppen zurück nach oben und steht dort im Hausflur mit seinem Staub und seinem schiefen Lächeln, ich hab ihn nicht vergessen, ich hatte sogar mit ihm gerechnet, ich habe mir nicht eine Sekunde eingeredet, mich nicht zu erinnern. Manchmal glaube ich, ich trage einen unsichtbaren Körper neben meinem sichtbaren herum, einen, der behält, was war, einen, der mitwächst und sich nicht einfach erneuert, so wie menschliche Zellen es nun einmal tun, einen, der zwar Konsistenz und Dichte ändert, aber eben nicht stirbt sondern auffrisst, was passiert, in sich einbaut und sich von Jahr zu Jahr zwar nicht selbst verdaut, aber zumindest neu zusammenwächst, wenn auch langsam. Einen zweiten Körper, der nicht kotzt, der nicht krampft, der einfach aufnimmt und sich assimiliert, weil er keine andere Wahl und sowieso keine andere Aufgabe hat. Als wäre mein Schatten gar nicht mein Schatten sondern ein anderer Speicher, eine Möglichkeit zu verstauen, was Hände, Arme, Beine, Füße, Knie und der ganze Rest nicht aufnehmen können, mein Backup aller Tage und Versprechen. Und dann im Laternenlicht läuft er neben mir her wie jemand, den ich lange nicht angesehen habe, aber immer bei mir trage. Wir fahren langsam, irgendwo hupt jemand und ich singe leise, was ich noch weiß.
Jeder hat diesen Haufen, Peter Pan ist umgezogen.