A little something in our lemonade.

Ufer

Es gibt diese Stücke, die hauen dir um die Ohren, was immer war und immer sein wird, und B. fragt zurecht: „Wenn das allen so geht, mit dem Sex und dass man ihn irgendwann nicht mehr hat, wenn das alles so geht mit dem Diskutieren darum und dem schweren Schweigen, wäre es dann nicht besser, wenn man es nicht so an die große Glocke hängt, jedenfalls nicht so?“ Wir sehen Erotic Crisis, wir können alle nicht so richtig sitzen bleiben, wir sehen und wir lachen auch manchmal laut und später beugt sich B. zu mir herüber und flüstert: „Das kennen wir alle, keiner lacht, weil’s so beklemmend ist, aber dass da einer sitzt, der nur in sein Handy tippt und den anderen nicht mehr mitbekommt, der sich um ihn bemüht, das kennen wir alle und ich wette, ganz vielen in diesem Raum geht es gerade schlecht“. Das Stück ist eine Vorführung, keine Komposition, all das, was wir bereits gesagt haben, wird noch einmal gesagt, all das, was wir bereits gesehen haben, wird noch einmal ohne Schnickschnack ins Licht gerückt, ja, anscheinend muss man sich heutzutage auf der Bühne auch die Unterhose ausziehen, damit Sex nach Sex aussieht, wir haben es eigentlich alle verstanden, aber zur Sicherheit wird das Licht gedimmt, zur Sicherheit sind die Darsteller wirklich nackt, damit auch jeder weiß, das hier ist die Bühne, aber euch allen könnte das passieren, zur Sicherheit machen wir noch einmal klar, dass es hier ums Echte geht, wenigstens spucken sie nicht.

Was meinen Blick ausruht, was ich mag, ist die auf zwei schmalen Leinwänden gezeigte Übersetzung des Textes der Figur Maya, denn sie spricht Englisch im Stück, mit ihrem Partner auch, und wenn die beiden sprechen, findet man die jeweilige Übersetzung in den Ecken des hohen Raumes, ganz zurückgenommen, nicht grell und sogar relativ klein. Ich rechnete nicht mit diesem Moment, nicht nach dem Stück, das einen manchmal laut auflachen und gleichzeitig erschaudern lässt, weil jeder schon einmal auf dieser Bühne stand, zumindest mit einem Fuß, weil es einen zurücklässt ohne etwas hinzuzufügen, es gibt keine Auflösung, keine Verwunderung, es gibt keine Regenrinne, durch die Herunterprasselndes abfließen kann, es gibt nur das, was gesagt wird, und wir alle schon kennen, die Leistung besteht vor allem in der Wiederholung und im Weglassen der Zimmereinrichtung unserer aller Leben, jedenfalls rechnete ich wirklich nicht mit diesem Schlag in die Magengrube, denn Maya steht am Ende da nach einem Wutanfall und ihre Figur ist wirklich anstrengend, jedenfalls steht sie vermutlich nicht einmal sondern sitzt und fragt dann, was man nicht fragen sondern eigentlich nur fordern kann: Would you please just let me go? Und der Satz bleibt auf Deutsch auf den Leinwänden stehen, während plötzlich das Klavier einsetzt, das niemand erkennt, nur T. sofort und ich sofort, das Klavier aus Fake Empire und mir rollt wirklich in dieser Sekunde alles aus den Augen und in den Bauch hinein, nicht das, nicht jetzt. (Eine Reihe vor uns öffnet eine junge Frau Shazam auf dem Handy, wie das wohl wäre, würde man das Lied jetzt immer noch nicht kennen, wie das wohl wäre, hätte man es noch nicht dreihundert Mal gehört, wer man wohl wäre?)

Und dann gehen wir hinaus und laufen am Deutschen Historischen Museum vorbei, alles ist dunkel, aus dem Boden zwischen den Pflastersteinen strahlen Lampen in die Höhe, dahinter der Dom und laufen wir über die Brücke, die Lichter flackern im Wasser und das Klavier sitzt mir immer noch zwischen den Schulterblättern, genau wie der Blick des alten Mannes vom Plakat der Ausstellung zur Fotografie des ersten Weltkriegs, also laufen und einatmen und ausatmen, laufen und sich an B. festhalten, während T. sich die Schuhe bindet, wir lachen verlegen, was soll man auch tun, wir wissen ja, wie es war.