Im Anzug den Müll raus.

Berninger Brothers

Ich schrieb einmal über The National, sie wären mit keiner Geschichte verknüpft, eine von den Bands, die immer gehen, zu allem passen, vor denen ich keine Angst habe. Das stimmt nicht. Es stimmt nicht mehr. An Tagen mit aufgeschürfter Brust gehe ich ihnen mittlerweile aus dem Weg. Sie würden einfach in mich hineingreifen und ich hätte vermutlich nicht für örtliche Betäubung gesorgt, mir ist noch nie der Bauch, noch nie das Herz eingeschlafen, ich würde alles spüren.

Und bei der Premiere von „Mistaken For Strangers“ heute Abend erinnere ich mich wieder, warum ich Matt Berninger als Projektionsfläche so schätze, die Band mit ihrer Kunst. Denn ich mag Berninger nicht als Mann, ich könnte ihn vermutlich nicht ertragen, ach wer weiß das schon, ich kenne ihn einfach nur als Figur und diese Figur spielt auf der Bühne mein wütendes Herz. Mit jedem Stolpern und Krächzen und Schreien führt er den Abgrund auf, den man dann nicht mehr leben oder tragen muss, Berninger übernimmt den Drecksjob, er bringt den Müll raus, den wir vorher noch sorgsam im Zimmer verteilt haben, und er trägt einen Anzug dabei.

Ich schaffe es, den ganzen Film nicht zu heulen. Später nach dem Q&A sitzen wir beinahe allein im Kino, da kommt plötzlich ein Mädchen in unsere Reihe und sagt: „Hallo Lisa, ich wollte dir nur schnell sagen, ich mag deine Bücher und Texte so sehr. Dankeschön!“ Sie flitzt sofort wieder weg, noch bevor ich wirklich etwas sagen kann, danach ist mein Vorsatz im Eimer. Auf dem Heimweg flippe ich mit dem Fuß aus Versehen einen nassen, halben Toast übers Pflaster, der Mond leuchtet beinahe voll aus einer Seitenstraße heraus. Leave your home. Change your name. Live alone. Eat your cake.