Faro V

door

Die kleinen Dinge, die man wiederholt, machen ein fremdes Land weniger fremd. Man kennt und erkennt plötzlich etwas. Auch wenn es nur die Speisekarte einer Snackbar ist. Im Bus zum Strand sitzt vor uns die alte Dame, ihre schwarzen Haare hat sie sich über die bereits grauen gelegt und mit Haarspray und kleinen Spangen fixiert. Vor dem Aussteigen richtet sie die Gardine und nickt. Der Strand ist wieder leer, das Wochenende vorbei, in den Zwischenströmen von Insel und Festland arbeiten die Fischer und kontrollieren die Reusen. Ihre Autos stehen vor der kleinen Brücke direkt neben der Strasse, nicht auf dem Parkplatz dort, wo die Strandbesucher ihre Wagen abstellen. Weiter hinten ein kleines, zerfallenes Holzhaus. Neulich bei Ebbe watete daneben ein Mann nur in Unterhose in kniehohem Wasser und wusch sich darin. Woher plötzlich mein Bedürfnis nach Farbe und einer Leinwand kommt, weiß ich nicht. Viel Blau und Rotbraun, dazwischen kleine weiße Sprenkel. Ich hab das seit Jahren nicht gefühlt. Wenn das Wasser hoch steht, ist der Wind stärker.

Das Forum Algarve, ein riesiges Einkaufszentrum in Terrakotta. Die Dekoration davor und um das Haus herum ist für Menschen in Autos gemacht, hier kommt man direkt von der Autobahn, um in die Stadt zu fahren oder hinaus. Als Fußgänger daneben auf dem schmalen Gehsteig sieht man nur Steinmauern, laufen ist hier nicht vorgesehen. Nach dem zweiten Fußballspiel verlassen die paar Gäste ihre Sitze, die Algarve Big Band spielt auf einem leeren Platz. Morgens hört man aus dem Zimmer von T. als erstes Schniefen und Husten, danach das Piepsen des Laptops. Dann ist sie wach. Im Hof plötzlich aufgeregtes Gackern von Hühnern, aber kein Tier zu sehen. Es klingt, als säßen hunderte unter dem Tisch.

Vielleicht gibt es kaum etwas besseres als Schlafen im Zug. Ich meine, sicherlich gibt es besseres, zuhauf, aber an manchen Tagen eben nicht. Das flackernde Licht und wie die Geräusche mit dem Schließen der Augen anfangs lauter und dann erst später wieder leiser werden. Das leichte Ruckeln, die Stimmen und die Gedanken, die kommen, wenn man sie kommen lässt – stellvertretend für alles Vorbeifliegende, das man gerade nicht sehen kann. Manchmal kurz die Augen öffnen, sich vergewissern, weiterschlafen und irgendwo anders wieder aufwachen.

Am Bahnhof treffen wir S., wir kennen ihn von Weitem vom Strand und aus der Stadt. Hier lachen wir einander an und als der Zug einfährt, kommen wir ins Gespräch. Er ist aus Mailand angereist, arbeitet eigentlich als Radiologe. Es ist unser erster Tag mit grauweißen Wolken am Himmel. Später malt S. eine Schnecke in sein Notizbuch, weil ihm das englische Wort dafür nicht einfällt, gestern hatte er welche als Abendbrot. Wir verabschieden ihn in Lagos irgendwo zwischen den Touristenmassen, die einem den Weg nehmen, den man zumindest in Faro einfach spürt und nicht einmal auf der Karte suchen muss. Es scheint, als habe dieser zerwürfelte Ort alles auf Zugereiste ausgelegt, jedes Geschäft, jeden Putzlappen, jedes Wort. Man kann beobachten, wenn man es schafft ruhig zu bleiben, irgendwo im Schatten eines Balkons vielleicht: Kaufentscheidungen, Familienleben, Ehekrisen, Liebesgeschichten und wie sich Menschen etwas zu eigen machen wollen, das ihnen fremd ist, in dem sie alles dafür tun, ihr Zuhause mitzubringen, auch wenn sie genau davon wegfahren. Sie müssen auch immer alles anfassen, jeden Zaun, das 15. Kleid, das auf einem Bügel baumelt, einander. Der Strip Club heißt Aplauso.

Auf der Heimfahrt kommen plötzlich die Farben heraus. Alles, was auf dem Hinweg noch grau und vernebelt schien, ist jetzt in sattes Braun, Rot und Grün gefallen, so geht Leuchten. Zwischen den Plantagenbäumen immer wieder ältere Herren mit ihren Hunden, sie sehen dem Zug nach, die Hunde neben oder hinter sich, dann stapfen sie langsam weiter. Mittendrin steht ein graues Pferd auf einem Hügel mit aufrechtem Kopf, es bewegt sich keinen Zentimeter, zuckt nicht einmal. Als habe es all seine Sinne verloren. Und ich hab all meine wieder.