Zürich VI
Allein wegen der Tapeten sollte man die Toilette im Café Lang einmal besuchen, vielleicht auch wegen dem großen Spiegel und dem gedämmten Licht, vielleicht einfach weil man ganz kurz in irgendeine verwegene Zwischenzeit katapultiert wird, die auch noch anhält, wenn man die Stufen wieder hinauf durch den Raum mit der dunklen Holzvertäfelung zurück in den Raum mit dem hellen Holz geht und sich dorthin setzt, wo man zu gleichen Teilen den Gastraum sowie das Geschehen hinter der Bar beobachten kann, wo die Gläser schon mit Orange und Eis vorbereitet werden, wo man sich die Hände an der kleinen blau-weiß-karierten Schürze abwischt, die zweimal um den Bauch gebunden wird. Das kleine Milchkännchen hat einen Sprung am Ausguss, wäre ich alt und hätte ich Platz und zu viel Zeit, ich würde vielleicht Kännchen sammeln aus aller Herren Länder. Die Blumen sind frisch, wir stehen auf und überqueren die Straße vorbei an den Wartenden auf dem Limmatplatz, es riecht hier selten nach Essen fällt mir auf, vielleicht haben sie andere Lüftungen, aber es riecht immer irgendwie eher nach Wasser oder Wind und vielleicht ist das einfach stärker als stehendes Fett.
Durch den Tunnel Richtung Langstraße, ein anderes Zürich, mehr Kabel, mehr Menschen, mehr flackernde Schilder, alle ziehen etwas an Geschwindigkeit an, aber immer noch nicht laut, erst am späten Nachmittag wird gehupt und im Weg herum gestanden, meist aus Versehen, aber dann verheddern sich Autos und Spuren und das nach Hause Wollen aller. Die Tische vor der Sport Bar sind alle besetzt, dann kommt einer herein, ein rotes Tuch um den Kopf gewickelt, Spanisch sprechend, nicht mehr ganz so viele Zähne, er lacht so, dass man ihn sich merkt. Der Schokoladenkuchen kommt ohne Mehl aus, noch ein Kaffee und den Blick rausgeworfen auf das gute Licht der Stunde, gleißend und doch ganz langsam setzt es sich zwischen den Ästen der Bäume hindurch auf den Asphalt und bleibt dort einfach liegen, als könne man sich alles nehmen, was man wolle. Von allem ein bisschen.
Durch die kleinen Knoten dann wieder zurück, im Krokodil gibt es spanische Spezialitäten, hinter dem Tunnel links. Auf dem Asphalt haben sie ordentlich fünfmal hintereinander das Wort Besucher in die Spur geschrieben, wir haben es jetzt verstanden, hier ist mehr Schatten. Auf dem Röntgenplatz sitzen zwei ältere Herren auf der hölzernen Sitzgelegenheit und schauen jeden an, der auf den Platz kommt, sie lächeln, ohne zu lächeln, Kinder kommen nun von der Schule nach Hause, die Beete vor den Häusern sind alle gepflegt. In manchen Erdgeschosswohnungen stapelt man, was man nicht braucht, auf dem Fensterbrett wie eine Gardine. Zum Licht kommen hier Kreidefiguren. Wenn man langsam und ohne Hast durch das Industrieviertel läuft, wird man angeschaut. Hier will niemand sein, alle wollen irgendwohin und müssen hier durch. Aus der Versicherung kommt der Mann im Anzug gelaufen und zischt „Ach scheiße“, bevor er ins Auto steigt, ich schaue ihn an und er hebt entschuldigend die Hände, beinahe hätte ich geflüstert, sag’s nochmal.
Die alten Schienen führen noch in den Bauch vom Schiffswerk, man kann dort jetzt essen unter großen Schirmen, auch hier fallen verwunderte Blicke auf einen, wenn man schlendert statt auf die Uhr zu sehen, wenn man sich nach links und rechts umdreht und sich alles genau ansieht, das scheint man hier nicht gewohnt zu sein. Im Schatten dann noch einmal zum guten Buchladen und dort ausschnaufen, die Sonne brennt, der Fluss ist heute schneller als am Dienstag, zwei Schlauchboote wackeln unter der Brücke hindurch. Dort drüben am Ufer in dem kleinen Häuschen hinter dem Spielplatz könne man sich Hamster leasen, hat N. gesagt. Die kleine Frau im weißen Kleid fragt, ob sie mir helfen könne, ich danke und sage, die Auswahl der Bücher hier sei schon Hilfe genug, sie lacht und meint: „Wenn das doch immer so einfach wäre.“ Am Dienstag liefen The National, als wir den Laden betraten, heute spielt man Bon Iver. Pour a little salt.