Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Monat: Mai, 2014

Blattschnitt.

Wiese

SaÅ¡a sprach am Freitag bei der ZEIT am Ende kurz, als jemand fragte, von Heimat und Zuhause, von Ankommen und Weggehen, und ich kann ihn kaum noch zitieren, weil ich’s mir nicht direkt aufgeschrieben habe, aber schön hat’s geklungen und auf dem Weg nach Hause, als es schon richtig dunkel und nicht mehr ganz so verregnet war, da ist mir mein eigener Bezug dazu wieder ein- und beinahe zwischen die Speichen gefallen, fast hätte ich es laut gesagt, also dieses „Jawohl!“, denn solche Gedanken brauchen neuerdings immer ein wenig, um sich in mir zu setzen. (Früher hat sich in mir jede Regung als endgültiger Gedanke getarnt, mittlerweile habe ich ein Alter erreicht, in dem Nuancen als Möglichkeiten besser auszuhalten und sogar zu genießen sind und die wirklichen Gedanken, also die mit Anfang und Ende und Sitzfleisch, die brauchen länger, um aufrecht stehen und in mir herumlaufen zu können, die bauen sich erst nach und nach).

Jemand im Publikum fragte Saša also, ob er sich mit dem Dorf aus „Vor dem Fest“ auch eine neue Heimat geschrieben habe, und SaÅ¡a antwortete mit der Begegnung des Malers, der etwas gesagt habe, das auch ich vermutlich so schnell nicht vergesse: „Heimat ist, wo ich mich auskenne“. Und dann ging es um das Aneignen von Orten, also wie man sich beschäftigt damit und so immer näher rückt, wie man sich hinein gräbt in die Geschichte eines Platzes und damit auch seine gegenwärtigen Strukturen versteht, wie Wissen auch Nähe schafft und Verständnis – und da auf dem Fahrrad hab ich mir gedacht, das ist der Grund, warum ich immer diese Texte schreibe, Gefühle seziere, es ist ja so einfach, genau das ist die Erklärung. Vermutlich müsste ich jetzt darauf anstoßen oder mir etwas gönnen, ich hatte ja bisher nie eine Antwort auf die Frage, warum ich diese Bücher mache, also keine wirklich verwurzelte, man sagt dann immer, man habe Spaß daran und lügt damit nicht, aber man kämpft ja auch, also ich zumindest, mit den Zeilen und den Sachen, die man sich dann zu schreiben traut (oder eben auch nicht), und jetzt habe ich eine. Sagen wir es mal so: Ich laufe vermutlich so viel in diesen Worten herum, um all die Möglichkeiten, Begegnungen, Regungen, den menschlichen Atem, das Herz, das Hirn und vor allem Mischkalkulationen aus all dem nicht mehr ganz so unheimlich zu finden, um mich daran zu gewöhnen, auszuloten, zu versuchen und mich dann möglicherweise irgendwann auszukennen oder hier und da mindestens kurz souveräner so auszusehen. Diese Geschichten sind ein Versuch, mich bäuchlings heran zu robben. Da haben Sie’s.

Rollenware.

Wolken

An meinem Tisch sehe ich den ganzen Tag nur Füße, alle eingepackt, alle sorgsam verschnürt. Wenn die Sonne herauskommt und die Wetterberichtssprecherin gut geföhnt ist, dann kann ich sehen, wie sich morgens fünf Minuten mehr Zeit genommen wurde für den Bimsstein, man schrubbelt die Hornhaut weg, es gibt jetzt sogar elektrische Bimssteine. Sowas braucht der Großstadtmensch, er möchte sich mit dem Handgelenk keine Mühe machen, nicht schon morgens in der Dusche, deswegen kauft er Batterien für das Gerät, das leise an den Verhornungen kratzt, er kauft gleich die richtigen, da sind sich all diese Geräte ähnlich und der Großstadtmensch hat ein Auge dafür. Aber nicht auf mich, in Sichthöhe habe ich nun das Fenster abgeklebt. Wenn ich bequem sitze, sieht man nur meinen Scheitel. Wenn ich mich konzentriere, nur die Wand hinter mir, so ein Ladengeschäft wird man ja nicht los, wenn man es einmal hat, nicht einmal in der Großstadt, in die Fenster eines Ladengeschäfts schaut der vorbei eilende Großstadtmensch automatisch suchend hinein, auch etwas gelangweilt, aber niemals unvoreingenommen, niemals ohne Erwartung. So ein Schaufenster wird niemals ein Knopf sein, auf dem „Haltewunsch“ steht, den schaut niemand an, der wird nur benutzt, geschaut wird immer nur auf die Anzeigetafel, den Haltewunsch betätigt der Großstadtmensch ganz beiläufig, Hauptsache raus bald. Aber ein Ladengeschäft, da sieht er hinein, da hat er schon fünfzehn Satzanfänge für den Gedanken danach im Kopf, die von Beschwerde über Einkaufsliste bis hin zu Verwunderung reichen können, eine simple Feststellung passiert selten, die Meinung des Großstadtmenschen sitzt schon im Gedanken, bevor überhaupt gedacht wurde. Deswegen habe ich diese Folie gekauft und behutsam auf die Scheibe geklebt, bloß nicht stolpern im Auftrag, keine Rillen hinterlassen, keine Irritation, an den Rändern franst sie etwas, das macht nichts, der Rand liegt im Schatten der Hauswand. Wenn der Großstadtmensch nicht eilt sondern flaniert, sieht er nur meine Schienbeine, die Knöchel, die Füße, die Fußmatte, den Boden, den Papierkorb, die Tischbeine; die Tasche sieht er nicht, die steht auf dem Tisch, genau wie das Glas und der Stift und das Blatt und die Postkarte und die Lampe, die Lampe kann er erahnen, ich weiß, aber das macht nichts, mich ja auch. Mich kann man erahnen, aber zwischen da draußen und mir sind immer noch Staub und Glas und Folie und Luft, so viel Luft.