Die Sache ist ja die, dass es so viele Sachen sind.

Monat: Februar, 2014

Zürich III

Zwei

In einer selbst gewählten Einsamkeit, die sich nicht so anfühlt, eben weil sie ausgesucht ist, dann wieder stärker den eigenen Körper spüren, nicht den Verfall, aber doch Stofflichkeit, Fleisch, Muskeln, Haut und was sich darin spiegelt. Wie man so rausgeworfen wird als Mensch in die Welt, wie man sich nichts davon aussucht, also ich meine, wenn man so hinein fällt in das eigene Leben. „Hallo, das sind deine Beine, das ist dein Bauch, das ist dein Hirn und das wird alles wachsen, friss halt, wie es eben geht, oder lass es bleiben.“ Auf einem anderen Pflaster sich selbst bewusst werden, dass das erwachsen werden vor allem daraus besteht, mit den Dingen etwas anzufangen, obwohl man um ihre Herkunft, ihre Gebrechen, ihre Fragilität weiß. Dass es auch heißt, aus dem sich winden eine von Anfang bis Ende ausgeführte Bewegung zu machen, die nicht so sehr weh tut, die Windung beinahe zu institutionalisieren.

Um daraus dann wieder andere anzusehen, auch mit der Gelassenheit, die daraus erwächst, auch wenn man es nicht immer spürt. Dass man es irgendwie hinbekommen wird. Eine Richtung findet. Einen Umschlag. Eine Handschrift. Wie man plötzlich jene ansieht, von denen man denkt, sie wüssten darum nicht, um die Gratwanderung, das Zittern, jene, von denen man glaubt, sie hätten keinen Grund dafür, noch nichts erlebt, und sich selbst dann auf offener Straße ohrfeigt für diese überhebliche Naivität. You never know what’s behind. Und danach sorgsam die Gesichter wie Schaufenster betrachten, in denen die Mimik steht wie eine Schaufensterpuppe, die Jahre aber wie nicht geputzte Scheiben. So viel Wetter, da kommt man nie hinterher, das sieht man selbst irgendwann gar nicht mehr. (You’ll never know.)

Zürich II

Quaibrücke

Wie das klingt: Sich die Nacht um die Ohren schlagen. Wie einen kalten Lappen, ein Geräusch, das man noch nie zuvor gehört hat, plötzlich über einem, ohne dass man sehen kann, wo es herkommt, was es kann. In einer fremden Stadt das Fenster aufmachen, um den Regen zu hören, dastehen, den Kopf richtig rausstrecken, sodass das Fensterbrett den Rippenbogen spürt und zurück, du auch, selber, jaja. Warten, einfach warten, solange noch, bis das nächste Auto um die Ecke kommt und dann feststellen, dass die Einfahrt gesperrt ist. Leise Katzen. Die vielen Hügel hier machen einem die Langeweile schwer, ständig hat man etwas zu schauen oder zu beachten, all die Schilder, auf denen „Verbot!“ und dann erst darunter in kleiner Schrift steht, was eigentlich genau man nicht darf. Die Pudel warten vor Chanel, der Maroni-Mann hat sich ein Kissen mit Strippe an den Stuhl gebunden. Ich komme vorbei am Institut für angewandte Altersfragen. An den Häusern hängen Schilder: Zum Napf, zur Geduld, Paradies.

Zürich I

Zürichsee

Oben in dem kleinen Park, wo die Bank am Geländer steht, auf der man sitzen und die Berge betrachten kann, wenn die Wolken es zulassen, klopft ein Specht, die Stadt hört man nur in der Ferne als Rauschen, manchmal sehe ich mich um, um mich zu vergewissern, dass es kein Wind ist. Weiter hinten an der kleinen Anhöhe ein Herr im schwarzen Mantel mit Hund, er sieht sich um, bevor er den Rasen betritt und setzt achtsam einen Fuß vor den anderen, als ginge er über Wasser. Das Wasser aber liegt in der Ferne und schweigt, der Herr steckt die Hände tief in die Taschen des geöffneten Mantels, so tief, dass der Stoff spannt, beinahe als würde er von innen versuchen ihn zu zerreißen, der Hund springt ihm nicht ganz genehm um die Beine herum, dem Hund ist das alles egal, der will jetzt springen, deswegen springt er. Die ganze Zeit.

Möwen

Man läuft dann ein paar Windungen nach unten, am Rand der Wege blühen erste Schneeglöckchen und plötzlich fängt es an zu regnen, als habe es jemand geschrieben, so plötzlich und so sehr, dass man gar nicht auf die Idee kommt, sich zu verstecken oder unterzustellen, weil man davon ausgeht, so schnell, wie es angefangen hat, müsse es auch wieder aufhören, eine andere Möglichkeit fällt einem gar nicht vor die Füße. Die gelben Zebrastreifen sind keine Dekoration, wenn man sich einem nur nähert, halten die Autos schon an, man könnte beinahe ein Spiel daraus machen, aber wir bringen hier niemanden an seine Grenzen, das tun wir nicht, alles ist so aufgeräumt, man fügt sich (ein). Vorne am Quai gehen die Anzüge der Stadt essen, putzen sich mit einem Taschentuch vorm Betreten des Lokals den Regen von den Schuhen. Löwen bewachen den See, die Enten die zerwindeten Frisuren.

Auf einen Kaffee mit Francesco Wilking.

Kaffee

Ich bekomme eine Nachricht: “Sorry, 10 Minuten“. Ich sitze und warte, der Kaffee und ich haben es warm, ich lese Max Frisch, da fühlt man sich eh immer ganz aus der Zeit gezogen. Francesco Wilking wollte sich im Haliflor in Mitte treffen, da kann man rauchen, ich weiß aber auch nicht, ob das der Grund war. Noch einmal 15 Minuten später ruft er an: “Sag mal, können wir uns auch in der Weinerei treffen? Meine Katze sitzt im Hof und will nicht reinkommen.“

Als ich in die Weinerei komme, steht Francesco neben dem großen Topf mit der Suppe, einen Rucksack auf dem Rücken, eine Schirmmütze auf dem Kopf. Wie ein kleiner Junge mit der Frisur von Helge Schneider. Meine erste Assoziation erschreckt mich, verfliegt aber mit der Zeit, er bestellt Espresso, ich Kaffee, wir setzen uns an einen Bartisch gegenüber. Und wo ist die Katze?

Francesco Wilking hat eine neue Band, sie heißt die höchste Eisenbahn und ich bin der Musik aufgrund des Namens aus dem Weg gegangen, bis meine Mutter anfing, von ihr zu schwärmen. Diese Sache mit den deutschen Texten ist eine schwierige für mich, die eigene Sprache in Musik zu finden, stellt mich immer wieder vor Herausforderungen. Aber auf dem Album “Schau in den Lauf, Hase“ der höchsten Eisenbahn wurde ich überrascht und war sogar von dieser Überraschung noch ganz durch den Wind. Jedenfalls sitzt da jetzt Francesco Wilking, der Rucksack liegt mittlerweile auf dem Barhocker neben ihm, und er klingt, wie man dem Klischee nach im Prenzlauer Berg irgendwie klingen muss. Es geht um die Schulsuche für die Kinder, das sei eine komplizierte Geschichte mit diesen Bewerbungen, Erstwünsche, Zweitwünsche. Ob es da Tricks gäbe, frage ich. “Naja, bestimmt. Aber stell dir vor, ich versuche einen Trick und dann funktioniert der nicht? Nein, das ist mir zu heikel“, sagt Francesco.

Die Katze sitzt im Hof und will nicht rein, er habe es eine halbe Stunde lang versucht. Sie würde ihn nur anmaunzen, aber nicht mitkommen. Ich sage, er müsse Desinteresse heucheln, dann klappe das schon, als er mitten im Gespräch noch einmal aufsteht, um nach der Katze zu sehen. Klappt. Siehste. Ich mag eigentlich keine Katzen, aber der Vater aus Mitte hat ein Katzenfoto auf dem Telefon und das Flauschtier guckt so eigenwillig, dass ich kleine Sympathien in meinem Kaffeeherzen spüre. Francesco sei eigentlich auch kein Katzentyp, aber die Kinder hätten sie nun einmal angeschleppt und “da kannste nix machen“. Die Katze ist vielleicht schwanger. Francesco googelt, woran man erkennt, dass eine Katze schwanger ist. “Scheiß Katzen“.

Wir reden wenig über die Musik, das kommt mir entgegen, ich spreche mit Musikern nicht gern über ihre Lieder, ich habe immer Angst sie zu langweilen und meine Fragen sind ja dann doch immer eher sehr persönlich gefärbter Natur, das interessiert niemanden, deswegen reden wir übers Schreiben, also das auf Papier und ohne Musik. Da kann ich mich reinfühlen. “Ich habe kein Vertrauen ins Schreiben. Ich hätte Lust ein Buch zu machen, aber diese Branche ist mir unheimlich. Wer da alles dann drin rummacht, also in deinem Manuskript, das ist gruselig. Geschriebene Sachen haben außerdem diese Halbwertszeit. Ich lese meine Sachen später und denke: Häh?“ Ob das mit Musik und Liedern nicht ähnlich sei, frage ich. “Nein, da entwickle ich eine Gelassenheit gegenüber dem Produkt. Manchmal ist es so, dass ich im Nachhinein, auch wenn die Platte schon fertig ist, noch etwas ändern möchte, aber das kann ich dann live manchmal umsetzen.“ Aber irgendwie müsse er ja auch zu den Sätzen in den Liedern kommen, schreibe er die nicht auch klassisch auf? “Vor allem singe ich sie. Ich singe nie Ladidabidubi. Ich singe immer Sätze.“

Francesco trägt eine Kette mit einem Jesus, der umgedreht aussieht wie ein Anker. Die habe er von seiner Mutter geschenkt bekommen. Er sei nicht wirklich gläubig. Ob er aus der Kirche ausgetreten sei? Nein, er glaube nicht. Das wisse er gar nicht so genau. Also auch nicht, wie man das überhaupt mache. Kirchensteuer? “Wo steht eigentlich, wie viel das ist?“ Dieser Mann schreibt mit Moritz Krämer kleine, tiefe Lieder über die große Liebe, Smartphonelächeln und verpasste Gelegenheiten. Francesco Wilking weiß, was ihm wichtig ist und was nicht, die anderen Sachen blendet er, wenn sie ihn nicht interessieren, einfach aus, so scheint es.

“Serien finde ich gut. Was aber nicht geht, ist dieses “˜alles auf einmal sehen‘. Man darf Serien nicht gucken, wenn man alle Folgen hat, das macht einen krank, es ist eh immer alles gleichzeitig, auch im normalen Leben, und am nächsten Morgen schreit man die Kinder an, weil man nicht genug geschlafen hat. Das möchte ich nicht“ sagt Francesco. Bei Mad Men und Breaking Bad war die Suchtgefahr zu groß. Ob er Kochsendungen schaue, frage ich, die harmlosen Geschwister der großen Serien, mit denen nie jemand spielt, die aber trotzdem ganz sympathisch sind, wenn man sich nur mal traut, sie anzusprechen. “Nein, ich komme ja nicht einmal mit Kochbüchern zurecht. Ich kann das nicht: Also erst lesen, was man alles braucht und das dann einkaufen und dann während des Kochens immer wieder lesen“¦ Nein. Aber so eine Echtzeitkochsendung, wo genau alles so lange dauert, wie es dauert, das wäre etwas für mich. Ich muss mitmachen können, dann schaue ich mir das auch an. Die Leute haben echt Nerven, weißt du. Ich verstehe nicht einmal, warum ich dieselben Nerven haben muss.“

Wir vergessen, ein Foto zu machen, aber laufen noch ein Stück in dieselbe Richtung, weil der Mittevater noch zum Lidl muss. Als wir dort ankommen, ist das Ladengeschäft fahl beleuchtet, keine Regale mehr, alles leer. “Samstag war ich hier doch noch einkaufen, die können mir doch nicht über Nacht den Lidl klauen!“ Es ist Montagabend, die Kinder sind im Urlaub. Er kommt noch mit bis zum REWE. Die zweite Katze wurde heute kastriert, deswegen muss er sich beeilen.