Hiraeth

Wutzsee

„Die Schultern auf den Boden drücken wie Blätterteig, das leise Knacken an den Rändern, man kann gar nicht unterscheiden zwischen Parkett und Knochen, weil es knirscht, wo beides aneinander kommt und mit dem Blick an den Stuck kann ich nicht sagen, wer nachgibt, ich kann nicht einmal nachschauen, dann ginge die Verbindung kaputt, die Konstellation würde sich auflösen und ich hätte zu tun mit den Tränen, die mir aus den Augen laufen, die nur laufen können, wenn ich liege, weißt du, das Wasser kann nur raus, wenn ich einen Horizont mache, wenn ich mich wie ein Floß auf die Oberfläche lege, die niedrigste, die es gibt, dann findet es einen Weg, dann gibt es keinen Wärter. Sobald ich stehe wie die Buhnen, sind alle Schleusen verschlossen, dann geht nichts und das Wasser schlägt mit Wucht von innen gegen den höchsten Punkt meines Kopfes, von innen dorthin, wo es nicht hinkommt, dort, wo bei der Akupunktur die Nadel sticht, von innen gegen den Scheitel und die zwei Wirbel, über die sich F., mein Friseur, immer lustig macht, weil meine Locken dann noch einmal eine große Locke machen, die man nicht unter Kontrolle bekommt. Das Wasser kracht so sehr dagegen, dass ich manchmal glaube, S. kann es hören, wenn wir stehen, um gleich Tom Ka Gai zu löffeln, sie fragt, ob ich mich setzen möchte und ich möchte mich hinlegen, aber das kann ich nicht sagen, ich kann mich nicht unter den Tisch legen, deswegen warte ich bis zuhause, ich klettere in den fünften Stock, am liebsten würde ich auf der Treppe schlafen, oben anfangen und mit jedem Aufwachen eine Stufe nach unten. Je näher ich dem Boden komme, desto besser geht es mir, vielleicht reagiere ich komisch auf Anziehungskraft, vielleicht ist irgendetwas in mir verrutscht und deswegen zieht es mich, ich bin am sichersten, wenn ich liege und alle Stellen, die ich bewegen kann, auf den Boden drücke, bis es nicht mehr weiter geht, deswegen ist Hartes am besten, Waldboden funktioniert nicht, der trickst mich aus, Sand verrät mich, weil ich dann immer weiter graben muss mit den Ellbogen, weil ich immer denke, da kommt gleich ein Loch, ich bin sicher, irgendwo unter mir hat sich ein Tier eine Höhle gegraben und ich werde durch die Decke krachen, Asphalt ist wirklich am schönsten, Steinplatten sind gut, Parkett ist in Ordnung, Laminat ist zu weich.

S. kann eigentlich nicht mehr essen, es ist zu scharf, sie hat zu viel bestellt, hinter uns stellen sie bereits die Stühle hoch, der Kellner ist eine Frau, die Kellnerin ist ein Mann, wir wissen nicht genau, aber sie oder er möchte nach Hause, wir bekommen die Karten gereicht und zwei Minuten später sollen wir bestellen, ich tippe nur auf die Weißweinschorle, das Korbgeflecht des Stuhls presst sich in meine Oberschenkelhaut wie ein eingegipster, geflochtener Zopf. Das macht niemand, ne? Haare eingipsen, einzelne Haare eingipsen und warten. Alle würden brechen, alle Haare würden brechen, aber schön sähe das aus. Die Haare im Nacken von S. sind noch nass, sie war laufen vorher, es war ein langer Drehtag, sagt sie, sie braucht das, das Laufen, aber Berlin, das hasst sie, Berlin hasst sie mittlerweile und über die Snobs am Ufer schimpft sie, ich weiß nicht einmal, ob man dort überhaupt sitzen kann, aber ich weiß, dass jeder nervt, der irgendwo sitzt, wenn man rennt. Alle, die nicht rennen, nerven, wenn man selbst Geschwindigkeit machen muss. Schlimmer sind dann nur noch Vögel.

S. sieht müde aus und mich selbst kann ich nicht sehen, meine Beine spiegeln sich in der Glastür, draußen haben sie schon seit längerem keine Bedienung mehr, die Nachbarn beschweren sich jetzt auch im Friedrichshain, das Ordnungsamt ist schnell, alle müssen aufpassen, das kommt aber auch immer auf die Ecke an, eine Straße weiter sitzen sie noch, als wir schon in Richtung Hotel laufen wieder, alle reden andere Sprachen, ich möchte liegen und sie sollen einfach weitergehen, ich könnte meine Hand in den Gulli hängen und spüren, wie es dort unten kühler wird, ich könnte mir vorstellen hineinzufließen und S. könnte einfach weitererzählen von den Reisen, ich höre ihr gern zu, wenn sie vom Wandern erzählt und vom Klettern und wen sie oben in den Hütten trifft. Ich stelle mich nicht auf Balkone, ich stelle mich nicht auf Berge oder Terrassen, aber sie sieht schön aus dabei, ich kann gar nicht wissen, wie es sich anfühlt, aber ich möchte keine Blumen gießen oder pflücken, ich möchte nicht wissen, wie viel Platz nach oben noch ist, das ist mir zuviel, die Hauptsache ist, dass ich abschätzen kann, wie viel Raum zwischen mir und dem Boden ist, am genauesten bin ich, wenn ich liege, da ist nicht kompliziert dran, glaube ich eigentlich, ich habe das S. mal erzählt und sie hat gelacht und dann etwas von Wasserwaagen erzählt, was ich nicht verstanden habe, wir redeten dann über Baumärkte und ich habe mich gesehnt nach der Bad-Abteilung und den Fliesen. Fliesen sind gut, weil sie sich im Gegensatz zu Parkett nicht so aufheizen, und manchmal funktionieren in den Installationen im Bauhaus auch die Lichtschalter und man kann das Waschbecken von unten anschauen ohne geblendet zu werden. Wie Blätterteig mit Puddingfüllung.“