„Keine Antwort, weil ich denk, dass das keine Frage ist.“
Wenn man da sitzt und hofft, dass diese Geschichte mit der Zeit und dem Besserwerden ein bisschen Bestand hat, wenn man da sitzt und Getränke in sich hinein schüttet, weil man meint, das könne ein bisschen etwas beschleunigen, raus spülen, und wenn einem die Zeit noch gegenüber sitzt und einen anglotzt, ist es schwer. Es ist nicht nur schwierig, es ist wirklich schwer, weil es eben schwer fällt, jemandem gegenüber zu sitzen und nichts sagen zu können, weil es keine leichte Sache ist, jemanden anzusehen, der etwas mit einem gemacht hat, eine Veränderung, und darauf zu warten, dass er sich rührt oder geht oder spricht oder das noch einmal tut vielleicht. Und dann sitzt man und legt die Fingerspitzen auf den Goldrand des Tisches, weil er so kalt ist und der Rest so warm, der ganze Rest so sehr durchblutet, dass man es puckern sieht unter der Haut, dieses kleine Auf und Ab, das so stetig ist und doch kaum groß genug, um Schatten zu werfen. Gleichzeitig wird so viel Energie frei in diesen Adern, dass man jeden Moment das Gefühl hat auseinander zu fallen, nicht standhalten zu können und überzulaufen, vielleicht hier und da aufzuplatzen. Wenn die Dinge sich selbst eine neue Form geben, wenn sich etwas mit einer gewissen Lautstärke und Geschwindigkeit verändert, hat man oft das Gefühl, dass dasselbe mit dem eigenen Körper passieren müsste, der eigenen Form, dem Gesicht und den Händen, das kann doch nicht alles einfach so bleiben, da passiert doch soviel, das muss doch mitmachen.
Aber man sitzt da und die Grenze, die die Haut zieht, bleibt immer dieselbe, auch wenn sie hier und da blutet, das passiert, im Grunde aber nur kleine Banalitäten, Schorf ist auch eine gute Beschäftigung. Und die eigene Masse hinter der Haut bleibt dieselbe, obwohl sie sich ganz schön herumwirft, einmal durchwalkt, es scheint, als würde man sich selbst, während man da sitzt und der Zeit versucht in die Augen zu sehen, von innen umgraben, das Geräusch ist wirklich ein ähnliches, die angetrockneten Stellen brechen auf und darunter ist alles ein bisschen dunkler. Man fördert Dinge zu Tage, die man lange nicht gesehen hat, die Krusten vermischen sich mit anderen Schichten und Farben, da kommen auch glänzende Dinge hoch, Flächen, in denen sich Licht spiegelt oder Knöpfe einer Jacke. Hin und wieder beult eine Stelle, das passiert, wenn etwas große Wellen schlägt, wenn es keine klar vorgegebene Richtung gibt sondern erst einmal nur ins Wasser gehauen wird mit einer flachen Hand oder der einen/anderen Faust.
Man kann die Zeit nicht die ganze Zeit anstarren, auch wenn man meint, davon ginge sie vielleicht eher vorbei, das würde ihr irgendwann unangenehm, unser Blick, irgendwann rutscht er einem ab, weil Augenlider müde werden, weil wir müde sind schon und weil man nicht ewig so tun kann, als hätte man sonst nichts zu tun als die Augenbrauen anzuspannen, festzuhalten, zu schlucken. Und dann beginnen wir irgendwann damit herum zu schauen, verlagern das Gewicht, die Gewichte, irgendwann halten wir die Abwehrstellung nicht mehr durch und gehen in Schonhaltung über, das sind die Stunden, die man so verbringt, da passiert eine ganze Menge, auch wenn sie sich augenscheinlich keinen Zentimeter bewegt, die Zeit, und wie angeklebt in ihrem Stuhl hängt und immer noch scheiße und riesig aussieht und viel zu groß und zu breit, viel zu sicher und –
Nach der Schonhaltung kommt der leise Rückzug, das ist dann, wenn wir die Dinge nach und nach kleiner werden sehen, noch nicht die äußeren, aber die in uns, nicht die Gründe für die großen Gefühle, nicht die großen Gefühle selbst, aber die Unordnung, das Chaos und all diese verbrüderten Umstände, in denen sich die großen Gefühle verheddern, mit denen sie sich verkleiden, weil das manchmal besser wirkt und besser aussieht, Eindruck schindet. Das ist keine Kapitulation sondern eine Entscheidung, die du nur für dich triffst ohne es zu merken, eine Bagatelle aus Selbstschutz, für die du später sehr dankbar sein wirst. Und wenn du deine Dinge langsam packst, die Gesten, das Schluchzen, all das, worüber jemand stolpern könnte, wenn er sich dir nähert, wenn du das zusammen räumst, hast du zu tun, benutzt deine Hände mal wieder so, dass sie die Chance haben sich abzukühlen. Sachen verrücken und saubermachen und neu anordnen, auch außen und um dich herum, als Verhaltenstherapie, die die Bewegung als solches in den Mittelpunkt rückt. Du beginnst wieder, dich einzusetzen, die Richtungen auszuschöpfen, nach und nach immer mehr.
Manchmal passiert es hier schon, dass die Zeit unruhig wird, wenn sie sieht, wie du sie nicht mehr die ganze Zeit betrachtest, sie rutscht und fummelt sich an den Rändern ihrer Kleidung herum, mitunter steht sie kurz auf, um sich gleich danach wieder zu setzen, du schaust kurz auf und bist dir sicher, sie hat sich nicht gerührt, alles beim Alten, und machst weiter. Und wenn du dich dann sortiert hast, lehnst du dich zurück. Du hast nichts mehr zu verlieren, das ist alles draußen, alles auf dem Tisch, soll sie doch sehen, was sie damit macht, diese Diva, mehr gibt es nicht, das bist du, das ist alles, was du zu geben hast, man kann das jetzt nehmen und gehen oder anschauen und in die Hand nehmen, man kann es liegen lassen und sich irgendwann daran erinnern. Wenn du dann einen Moment das alles noch einmal anguckst, was da vor dir liegt zwischen den goldenen Tischrändern, das eine hier, das andere dort, die Fäden entwirrt und sorgsam nebeneinander aufgereiht, und dann den Blick hebst, dann passiert es, dass sie in der Zwischenzeit aufgestanden, zur Garderobe gelaufen und mit ihrer Jacke im Arm zur Tür raus ist. Das ist der gute Moment. Indem du dich entscheidest, einfach sitzen zu bleiben. Nicht aus Erwartung, nicht aus Beweis sondern einfach, weil es gerade so angenehm ruhig ist. Kein Starkwind, die Küstennebelfelder abnehmend. Bleib so.